Roger Boyes "Die meisten glauben: Europa ist ein Gefängnis"

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"Deutschland würde schnell mit uns ein Handelsabkommen abschließen"

Muss er zurücktreten, wenn die Briten die EU verlassen wollen?
Das ist dann eine Frage der Zeit. Womöglich ruft er Neuwahlen aus und tritt nicht wieder an. Jedenfalls wird er sich nicht halten können, wenn der Brexit kommt. Und selbst wenn er das Referendum gewinnt, ist er geschwächt.

Wieso das?
Wir Briten empfinden bekanntlich keine oder nur wenig Leidenschaft für dieses Europa. Wenn wir drin bleiben, hat Cameron eine Mehrheit erfolgreich überzeugt, gegen die Apokalypse zu stimmen, die aus seiner Sicht sonst droht. Das Problem ist das Bild dahinter. Die meisten glauben: Niemand kann die EU verlassen, Europa ist ein Gefängnis.

Die Frage der EU-Mitgliedschaft kommt immer wieder hoch. Ist es nicht legitim, die Bevölkerung über eine so wichtige Frage abstimmen zu lassen?
Natürlich ist es legitim. Und vom Grundsatz her finde ich die Idee gut. Cameron stellt die Frage aber mit der Absicht, sie danach nie wieder stellen zu müssen. Das ist naiv, denn ein Teil der Bevölkerung wird sich nie mit der EU anfreunden. Egal wie das Referendum ausgeht - wir werden noch europaskeptischer sein als vorher.

Die ältere Generation ist laut Umfragen eher für den Brexit, die jüngeren dagegen. Können die Kinder und Enkel ihre Eltern und Großeltern überzeugen?
Das Uni-Semester ist jetzt vorbei, viele fahren nach Hause. Und natürlich werden sie mit ihren Eltern und Großeltern diskutieren. Wer sich dabei durchsetzt, wage ich nicht zu prognostizieren.

Wie ist es bei Ihnen persönlich – raus aus der EU oder bleiben?
Mein Kopf sagt mir, wir sollten bleiben. Mein Herz sagt: gehen.

Was spricht für Sie dafür zu gehen?
Wir sind mittlerweile eine verstaubte Gesellschaft. Wir müssen uns dringend ändern. Ich glaube, dass wir den Schock brauchen, damit wir uns ändern können. Wir müssen eine soziale Revolution aus eigener Kraft schaffen, um wettbewerbsfähig und smart zu bleiben.

Was die Briten an der EU stört
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Der Schock träfe doch aber vor allem die Finanzmärkte.
Vielleicht ja, vielleicht nein. Die City of London ist gespalten. Die Hedgefonds sind für einen Brexit, die Investmentfonds dagegen. Der Pfund würde wohl fallen, was unserer Wirtschaft aber gar helfen dürfte.

Großbritannien müsste ziemlich viele Handelsabkommen neu verhandeln.
Das besorgt mich nicht. Deutschland würde ziemlich schnell eines mit uns abschließen. Wir sind in Europa der Hauptabnehmer für deutsche Autos. Ihr habt also ein Interesse an einem Abkommen mit uns. Wenn der Brexit kommt, wird alles deutlich weniger dramatisch als gedacht.

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