Russland Wie Putin die russische Provinz kaputt spart

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Rentner schalten in den "Überlebensmodus"

5. Warten auf Befehl von oben

In Moskau kennen wenige die Sorgen der Provinz. Regionalfürsten reisen meist in die Hauptstadt, um sich vor laufender Kamera des Staatsfernsehens von Putin knappe Anweisungen im Befehlston abzuholen. Dem Zuschauer im fernen Sibirien suggeriert das, Putin habe die Krise unter Kontrolle – auch den Gouverneur, den das Volk in den meisten Regionen für korrupt hält. Für Gennadi Gudkow ist das mehr Show als Politik.

Es ist keine zwei Jahre her, dass Gudkow selbst in der Duma saß. Doch der Abgeordnete der Partei „Gerechtes Russland“ wurde der Fraktion zu kritisch – und sie warfen ihn mit fadenscheiniger Begründung heraus, auch im neuen Parlament wird er nicht mehr vertreten sein. Gudkow wundert sich nicht, dass seit Anfang 2015 drei Millionen Russen unter die Armutsgrenze gerutscht sind: „Sie versprechen im Fernsehen, die Löhne blieben stabil, meinen aber die nominalen Rubel-Zahlungen.

Bei einer Verbraucherpreise-Inflation von 30 Prozent aufwärts hatten wir es zu Jahresbeginn mit einem dramatischen Reallohn-Einbruch zu tun“, sagt er. Putin spare stets bei jenen, die nie auf die Straße gehen würden: Beamte, Lehrer, Polizisten, die aus Angst um ihren Job den Mund halten, sowie Rentner, die einfach „in den Überlebensmodus umschalten“, so wie zu Sowjetzeiten: Man kocht Buchweizen, keine Nudeln. Statt Käse und Fleisch gibt‘s Kohl aus dem eigenen Garten.

Waffenfabrik in Ischewsk. Quelle: dpa Picture-Alliance

Richtig ärgerlich wird Gudkow indes, wenn man ihn nach den Gründen für diese Genügsamkeit fragt: „Ich fühle mich manchmal, als lebe ich in einem Land der Dummköpfe“, schimpft er: „Im Fernsehen sagen sie, an der Krise sei Amerika schuld, und die glauben das.“

Die Propaganda treffe die Russen nicht bei vollem Bewusstsein, sondern spiele mit Instinkten: „Sie wollen sich als Teil eines Imperiums fühlen und akzeptieren den Stolz auf ein großes Russland als Kompensation für ihren sozialen Abstieg und die Armut“, sagt Gudkow. Dieser Reflex funktioniere selbst bei gebildeten Landsleuten, die um die Welt gereist sind und vor vier Jahren noch in Moskau gegen Wahlfälschungen demonstrierten.

6. Ein Land spart sich krank

Wie ein Schneeteppich legt sich Lethargie über das Riesenland: Während der Wohlstand der Nullerjahre dahinschmilzt, friert jegliche politische Regung unter der Oberfläche des gesellschaftlichen Lebens ein. Vor sechs Jahren, als die russische Wirtschaft im Zuge der Finanzkrise um 7,9 Prozent in einem Jahr schrumpfte, lehnten sich Rentner, Autobauer und Gebrauchtwarenhändler gegen die Krisenpolitik des Regimes auf – heute hält das Land still, weil man die Schuld einem imaginären Feind zuschieben kann.

Dabei bestreitet selbst in Russland kaum ein Ökonom, dass diese Krise hausgemacht ist: „Das rein auf Ölexporten basierende Wirtschaftsmodell funktioniert nicht mehr“, sagt Igor Jurgens. Es brauche Reformen, eine Liberalisierung der Wirtschaft und die Anlehnung an den Westen, so Jurgens, „sonst endet das alles hier wie in der Sowjetunion.“ Der Ökonom glaubt, ja fürchtet fast, mit den aktuellen Reserven könne man noch bis zu zwei Jahre flickschustern: An ernsthaften Reformen ist im Moment niemand interessiert.

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