Russland Wie Putin die russische Provinz kaputt spart

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Trotz Boom in der Rüstungsbranche bleibt der Konsum nicht stabil

Und so freuen sich die Waffenschmiede von Ischewsk über volle Auftragsbücher. Im Kampf um gute Ingenieure überbieten sich die Unternehmen in ihren Gehaltsangeboten, die Rüstungsarbeiter sollen doppelt so viel verdienen wie der durchschnittliche Arbeiter. In der Stadt gibt es kaum eine Familie ohne irgendeinen Verwandten, der Waffen schmiedet für Putin und seine geopolitischen Träume. Da sollte doch zumindest der Konsum stabil bleiben, oder etwa nicht?

Im „zentralen Universalkaufhaus“, wo man von Schuhen bis hin zu Möbeln alles kaufen kann, gähnen die Verkäufer vor sich hin. Jeder erzählt, wie erschreckend schwach die Nachfrage sei. Im Adidas-Laden auf der Lenin-Straße betritt binnen 15 Minuten kein Kunde das Geschäft – und Verkäufer Maxim kommt ins Plaudern: „Der Verkauf läuft wesentlich schlechter als in den vergangenen Jahren. Die Kunden schauen oft auf das Preisschild und legen die Ware wieder ins Regal.“

2. Nichts klappt ohne den Befehl aus Moskau

Dabei ist der Rüstungssektor nicht die einzige Boom-Branche: Agrarkonzern Komos produziert Milch bis zum Anschlag, seit die Nachfrage nach heimischen Lebensmitteln im Zuge des Embargos gegen EU-Produkte explodiert. Zudem ist Udmurtien reich an Öl, das sich günstig fördern und selbst bei niedrigen Weltmarktpreise profitabel vermarkten lässt. Im Stadtbild deutet dennoch nichts darauf hin, wie reich diese Region eigentlich sein könnte.

Ein Minimum an Freizeitmöglichkeiten soll dazu dienen, das Volk bei Laune zu halten: Eine Eislaufbahn auf dem „zentralen Platz“ zwischen Puschkin- und Karl-Marx-Straße, ein Kino, ein Restaurant mit bayrischer Küche, die Schießbahn im Museumskeller – das sind die einzigen Neuerungen der postsowjetischen Moderne. Die Straßen dagegen sind nicht besser als in Afrika, die Wohnhäuser so trist wie einst zu Sowjetzeiten. Wieso sieht man nichts vom Reichtum?

Vom Gouverneur, nebenbei Inhaber der größten Straßenbaufirma der Teilrepublik, will sich nicht zur Tristesse in der stolzen Stadt der Rüstung äußern. Kritik an Moskau könnte schädlich sein für die Karriere. „Die Udmurten sind eben recht verschlossen“, begründet Viktor Ljubimow von der örtlichen Handelskammer – der einzige Halb-Offizielle in der Stadt, der einen ausländischen Journalisten empfängt und die Strukturprobleme benennt: „Unsere Region muss 65 Prozent der Steuereinnahmen nach Moskau abführen.“

Das beraube der Region die Möglichkeit einer eigenen Wirtschaftsförderung: Viele Unternehmen könnten profitieren vom niedrigen Rubelkurs, indem sie exportieren oder im Inland anbieten, was im Import zu teuer ist. „Ideen gibt es genug“, sagt Ljubimow, „aber sie schaffen es nicht in die Produktion.“ Mangels Mittel kann sich die Provinzregierung eine eigene Wirtschaftsförderung kaum leisten – und die Moskauer Banken schauen sich, Kredite an Provinz-Unternehmer zu vergeben.

3. Es fehlt das Unternehmertum

Ischewsk ist ohnehin keine Stadt der Unternehmer – und das nicht nur, weil Russland den Mittelstand nie wirklich förderte. Vielmehr stehen die Menschen hier noch mit einem Bein in der Sowjetunion. Bis in die Neunzigerjahre, als die Stadt für Ausländer verbotenes Territorium war, galt jeder Mitarbeiter eines Rüstungsbetriebs als Geheimnisträger. Sie mussten um Erlaubnis bitten, um wenigstens die Stadt verlassen zu dürfen.

Jene Kultur der Verschlossenheit, die so entstand, ist bis heute ein Hindernis: In Udmurtien, wo Russland die höchsten Selbstmordraten zählt, gibt es relativ wenige Selbstständige – und man muss entweder jung oder selbstbewusst sein, um sich vom Geheimniskrämer-Habitus der Vergangenheit zu befreien. Andrej Ljamin ist beides.

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