Schauspieler und Köche haben sich eingeschaltet, Fußballer, Wirtschaftsbosse, US-Präsident Barack Obama sowie der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. Es ist schon einmalig, dass die Änderung der italienischen Verfassung auf einmal weltweit interessiert. Im Mittelpunkt steht Regierungschef Matteo Renzi, der - zu seinem eigenen Ärger - die Abstimmung am Sonntag zu einem Votum über sich selbst gemacht hat. Scheitert die Reform, die das Regieren einfacher machen soll, so werden der Sozialdemokrat und seine Mannen wohl abtreten müssen. Nach Brexit und Trump-Wahl befürchten viele dann neue Unsicherheiten für Europa.
Umfragen deuten auf ein „Nein“ hin. Aber die Befürworter setzten alle Hoffnungen darauf, dass die Forschungsinstitute - so wie zuletzt bei der Wahl von Donald Trump in den USA - irren. Ausgeschlossen ist nichts, der Ausgang ist völlig offen. Wir setzen auf die Unentschiedenen, rief Renzi seinen Unterstützern bei der Abschlusskundgebung der Kampagne in Florenz noch einmal zu. Nichts weniger als die Zukunft des Landes hänge von dem Referendum ab.
Renzis wichtigste Reformprojekte
Renzis Arbeitsmarktreform beinhaltet eine Deregulierung, eine Lockerung des strengen Kündigungsschutzes, neue Hilfen für Arbeitslose sowie großzügige Steuererleichterungen für Firmen, die Vollzeit-Mitarbeiter einstellen. Ende 2014 brachte Renzi den „Jobs Act“ durchs Parlament - nach wochenlangem Gerangel. Die großen Gewerkschaften aber auch Politiker seiner eigenen Demokratischen Partei (PD) liefen dagegen Sturm.
Über die Schulreform wurde ebenfalls lange gestritten, doch Renzi setzte die „Gute Schule“ am Ende durch. Das Gesetz sieht vor, befristet angestellte Lehrer mit festen Verträgen auszustatten, Fächer wie Fremdsprachen und Informatik zu fördern und Klassen zu verkleinern. Bislang trage die Reform noch keine Früchte, bemängeln Kritiker. Gegen die Reform hatten Schüler und Studenten protestiert.
Mit der Wahlrechtsreform versprach Renzi, für stabilere politische Verhältnisse in Italien zu sorgen. Es sieht unter anderem eine Mehrheitsprämie für die siegende Partei vor und wird auch deswegen kritisiert, weil es die Regierenden mit zu viel Macht ausstatte. Angewendet wurde es noch nicht - und möglicherweise muss es nach dem Referendum auch noch geändert werden. Denn das Italicum bezieht sich nur auf die Wahl der Abgeordnetenkammer, nicht auf die Wahl des Senats, und damit auf die Zeit nach einer Verfassungsreform.
Vor dem neuen Gesetz zu Homo-Partnerschaften, das im Mai verabschiedet wurde, war Italien das letzte westeuropäische Land, in dem gleichgeschlechtliche Partnerschaften keine rechtliche Grundlage hatten. Renzi kämpfte für das Gesetz seit seinem Amtsantritt, wurde dafür von Schwulen und Lesben gefeiert und von Konservativen und der Kirche kritisiert. Adoption wird homosexuellen Paaren in dem Gesetz nicht zugestanden.
Man kann wohl nur in dem derzeitigen europäischen Krisenmodus so leidenschaftlich über trockenes Paragrafenitalienisch diskutieren. Kernpunkt ist, den Senat zu verkleinern und die Gesetzgebung zu beschleunigen. Aber die Folgen, sollte Renzi zurücktreten, wären über Italiens Grenzen hinaus spürbar. Viele würden darin lesen, dass die Populisten von der eurokritischen Fünf-Sterne-Bewegung oder der rechten Lega Nord weiter Zulauf bekommen - ein ungemütliches Szenario für die EU, aber auch für die Bundesregierung von Angela Merkel, die ein gutes Verhältnis zum EU-Freund Renzi pflegt.
Aber die Abstimmung ist auch ein sehr innenpolitisches Thema. Der zähe Wahlkampf erzählt viel über das Land, das in 70 Jahren 63 Regierungen gesehen hat. Es sind nicht nur die „Abgehängten“, von denen nach der Trump-Wahl überall die Rede ist, oder die „Wutbürger“, die gegen die Globalisierung und die Eliten stimmen wollen. Es sind viele gut situierte, gebildete Leute, die gegen die Reform sind. Und gerade bei den jungen Leuten gibt es laut Umfragen viele Nein-Sager, bei ihnen kommt der selbst erst 41 Jahre alte Renzi nicht gut an.
„Man kann so eine Reform vielleicht in Schweden oder in Deutschland machen - aber nicht in Italien, wo es so viele korrupte Politiker gibt“, sagt die Rechtsanwältin Giovanna Rossi. „Wenn Gesetze nicht mehr von zwei Kammern abgesegnet werden, ist die Tür für Kriminelle doch noch viel weiter offen.“
Vielen Wählern geht es wirklich um die Reform und nicht um Renzis Schicksal und schon gar nicht um das Europas oder das von Angela Merkel. „Ihr im Ausland seht das vielleicht anders. Hier ist es doch egal, welche Regierung wir haben, sie sind eh alle gleich“, meint Giovanna.
Politikverdrossenheit gehört in Italien zum guten Ton. Vor Regierungskrisen fürchten sich wenige. Es ging ja doch immer weiter, mal schlechter, mal besser, aber es ging weiter.
Eine Reform mit Folgen
Die wenigsten glauben, dass es einen Unterschied macht, wer an der Macht ist. Interessant wird daher sein, wie viele Menschen überhaupt am Sonntag wählen gehen. „Vielen meiner Freunde ist das Referendum egal“, erzählt der 18-jährige Karim Oukchir. Auch viele andere antworten auf die Frage, für was sie stimmen werden: „nichts“.
Nicht nur, dass die Reform mit heißer Nadel gestrickt und sogar nach Meinung der Regierung „nicht perfekt“ ist, macht Probleme. Sie ist einfach zu kompliziert für eine Volksabstimmung. Man verlangt den Wählern schon allerhand ab, die 47 Paragrafen, die geändert werden sollen, zu verstehen. Vor allem, wenn es beide Kampagnenseiten mit den Fakten nicht so ganz genau nehmen. Zeitungen zählen seit Wochen die „Lügen“ auf, mit denen die Lager versuchen, die Menschen auf ihre Seite zu ziehen.
Es war ein Wahlkampf mit gegenseitigen Beleidigungen und tiefen Grabenkämpfen. Der lauteste Gegner, der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, bezeichnete Renzi als eine „verwundete Wildsau“. Renzi wiederum rief zur Mäßigung auf, schimpfte aber dennoch auf allen Kanälen auf seine Gegner und wiederholte ein ums andere Mal, falls die Italiener „Nein“ sagen, sei ihre Zukunft verspielt. Auch das ist Angstmacherei.
Panikmache sehen viele Menschen auch in der Warnung - vor allem aus dem Ausland -, dass Italien bei einem „Nein“ der Euro-Ausstieg, eine Kapitalflucht und eine (noch) schwächere Wirtschaftslage droht. „Die Italiener werden auch am Tag nach dem Referendum noch ihren Kaffee trinken und ihr Cornetto essen“, sagt Tatjana Eifrig, Analystin bei der Bank Finnat. Denn die Reform packe sowieso nicht die wirklich tiefsitzenden Probleme des Landes an, nämlich Vetternwirtschaft und Korruption. Marktturbulenzen würden sich nach einiger Zeit wieder legen. Finanzminister Pier Carlo Padoan - der als Kandidat für eine Übergangsregierung gehandelt wird, sollte Renzi zurücktreten - sagte: Nach dem Wolkenbruch werde der Himmel wieder blau.
Fakten zum Italien-Referendum
Durch eine Verfassungsänderung soll das Regieren in Italien leichter werden. Die zweite Kammer, der Senat, wird quasi abgeschafft. So müssen nicht mehr alle Gesetze von beiden Kammern verabschiedet werden - was die für Italien typischen politischen Dauerblockaden auflösen soll. Kritiker sagen, dass die Regierung so zu viel Macht bekommt und die Reform nicht die wirklichen Probleme des Landes löst.
Ministerpräsident Matteo Renzi hat angekündigt, bei einer Niederlage in der Volksabstimmung zurückzutreten. Wenn also das „Nein“-Lager gewinnt, könnte ein Regierungssturz oder eine Regierungskrise folgen. Und auf politische Instabilität reagieren auch die Finanzmärkte. Es könnte auch zu Neuwahlen kommen, bei denen die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung punkten könnte. Auch das löst Verunsicherung aus, in unsicherem politischen Klima investieren Anleger ungern.
Die italienische Notenbank warnte bereits für den Tag nach dem Referendum vor Turbulenzen. Finanzminister Pier Carlo Padoan sagte: „Die Märkte sind in Sorge, dass der Reformprozess unterbrochen werden könnte.“ Er betonte aber auch, dass er keine schwere Krise erwarte, weil Italien mittlerweile wirtschaftlich besser dastünde. Auch Premier Renzi beschwichtigte: Am Tag nach dem Referendum würden nicht „die Heuschrecken“ kommen.
Der „Spread“ ist ein wichtiger Indikator für eine Krise, in diesem Fall ist er so etwas wie die Fieberkurve Italiens. Die Zahl misst, wie es um das Interesse der Anleger an italienischen Staatsanleihen bestellt ist. Je größer der „Spread“, desto schlechter wird Italien im Vergleich zu Deutschland aus Sicht der Investoren bewertet.
Denn mit der Größe ist die Differenz (Spread) zwischen den Renditen gemeint, die italienische und deutsche Staatspapiere mit zehn Jahren Restlaufzeit gerade abwerfen. „Wir erwarten, dass der „Spread“ bei einem Nein hochgehen wird, das müsste sich aber nach ein paar Tagen beruhigen, es wird ein Sturm im Wasserglas sein“, glaubt Tatjana Eifrig, Analystin der italienischen Bank Finnat.
Das Land leidet unter einer geringen Produktivität, Vetternwirtschaft und Korruption. Die Wirtschaft lahmt seit Jahren, das Wachstum für 2017 soll bei nur 0,9 Prozent liegen. Zudem ist Italien mit 133 Prozent des Bruttoinlandsproduktes das am zweithöchsten verschuldete Mitglied der Eurozone - gleich nach Griechenland. Seit Jahren schwelt eine Bankenkrise, die bisher nicht wirklich gelöst wurde. Die Geldhäuser sitzen auf faulen Krediten von 300 Milliarden Euro.
Sorgenkind ist vor allem die Krisenbank Monte dei Paschi di Siena. Derzeit würden die Probleme im Euroraum allerdings durch die lockere Geldpolitik überdeckt, sagt der Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier. Sobald die Europäische Zentralbank (EZB) die Zügel wieder straffer ziehe, könnten die Probleme stärker sichtbar werden.
Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft des Euroraums. Gerät sie weiter ins Trudeln, könnte das andere Länder mitreißen. Ein europäisches Rettungspaket wie für Griechenland würde für Italien wohl nicht funktionieren, weil das Land zu schwergewichtig ist.
Einige Experten sprechen sogar vom möglichen Euro-Ausstieg Italiens. So sagte Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in einem Interview: „Den Italienern wird gerade klar, dass Italien im Euro nicht funktioniert.“ Und der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn meinte: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien dauerhaft Teil des Euro bleibt, fällt von Jahr zu Jahr.“ Auch die Wirtschaftszeitung „Financial Times“ urteilte vor kurzem, dass das Referendum in Italien der „Schlüssel für die Zukunft des Euros“ sei.
Mit Blick auf Italien sagt Analystin Eifrig: „Einen Austritt aus dem Euro können wir uns derzeit gar nicht vorstellen.“ Zwar mehren sich in Italien auch die Euro-Gegner. Wenn es wirklich zu Neuwahlen kommen sollte und dabei die derzeit stärkste Oppositionspartei „Movimento 5 Stelle“ (Fünf-Sterne-Bewegung) gewinnen sollte, dann wird das Thema heißer. Denn die Protestpartei will ein Referendum über den Euro.
Aber: „Ein Referendum über einen Euro-Ausstieg kann gar nicht gemacht werden, das ist gegen die Verfassung. Das kann nur das Parlament bestimmen“, erklärt Eifrig. Sie sieht in der Schwarzmalerei eine Strategie der Befürworter der Reform, nach dem Motto: Je düsterer das Szenario, desto mehr Menschen werden aus Angst mit „Ja“ stimmen. Und generell gilt zumindest theoretisch das Prinzip: Wer den Euro einmal hat, der behält ihn auch. Wie ein Euro-Austritt überhaupt im Detail durchgeführt werden könnte, ist völlig unklar.
Aber die Sorgen sind nicht unberechtigt: Italien ist so hoch verschuldet wie weniger Länder der Welt. Renzi, der vor fast drei Jahren als „Verschrotter“ der alten Politik angetreten war, hat das trotz Reformen nicht in den Griff bekommen. Auch die Krisenbanken des Landes könnten bei politischer Instabilität weiter ins Wanken geraten, und dann würde es noch ungemütlicher.
Für Renzi gibt es durchaus Hoffnung, auch er hat Unterstützer im Volk. „Diese Reform wird dem Land, das seit so langer Zeit blockiert ist, neuen Schwung geben“, sagt die Studentin Cristiana bei einer Demonstration für das „Sì“. Und selbst wenn Renzi zurücktreten sollte, heißt das lange nicht, dass er den Italienern nicht doch erhalten bleibt: Dass er bei möglichen Neuwahlen als Kandidat seiner Partei PD ins Rennen geht, gilt als sicher.