Schengen-Abkommen Grenzkontrollen bremsen das Wachstum aus

Grenzübergang zwischen Rumänien und Ungarn – eine Außengrenze des Schengen-Raums. Quelle: imago images

Nach Österreichs Veto zur Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengen-Raum hoffen auch deutsche Unternehmer auf ein Umdenken in 2023.

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Die Laster stauen sich auf mehr als zehn Kilometern. Bis kurz vor Nădlac lief es wie am Schnürchen, aber nun heißt es Warten. 12 bis 14 Stunden. An einer Grenze mitten in der EU, zwischen Rumänien und Ungarn. Wie immer mittendrin: die Fahrer von Hanns Ulrich Dietrich. 30 Lkw schickt allein das Unternehmen Dietrich Logistic aus dem bayrischen Germaringen jeden Tag raus aus Rumänien, 30 rein. Das heißt 60 Mal Warten, 60 Mal 150 bis 200 Euro Extra-Kosten. So viel koste ein Lkw plus Fahrer am Tag, rechnet der Chef vor. Macht 9000 bis 12.000 Euro am Tag. „Vom sinnlosen CO2-Ausstoß haben wir da noch gar nicht geredet,“ ärgert sich Dietrich.

Es sollte anders kommen ab dem 1. Januar 2023. Doch bei der Abstimmung am 8. Dezember über die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum für grenzenlosen Verkehr von Personen und Waren stellte sich Österreich plötzlich quer. Die Niederlande hatten zuvor Bedenken gegen Bulgarien angemeldet, hätten sich aber wohl der Mehrheit gebeugt. So aber wurde lediglich Kroatien, beliebtes Urlaubsland für Österreicher, per einstimmigem Votum der EU-Mitgliedsländer Einlass gewährt.

Seither steht es um die Beziehungen der beiden Ausgeschlossenen zu Österreich nicht zum Besten. Niederlassungen österreichischer Unternehmen – in beiden Ländern zweitgrößte Investoren – wurden beschmiert, österreichische Produkte boykottiert. Repräsentanten von Strabag, Spar, Erste Bank, Raiffeisen und anderen äußerten Bedauern über den Konflikt und zum Teil offen Unverständnis über das Abstimmungsverhalten ihrer Regierung. Bukarest rief seinen Botschafter aus Wien zu Konsultationen zurück. Das ist Ausdruck massiver diplomatischer Verstimmungen. Zurückkehren soll Emil Hurezeanu erst, wenn die Koalitionsregierung aus konservativer ÖVP und Grünen in Wien ihre harte Haltung aufgibt.

Der Ärger reicht jedoch bis nach Deutschland. „Ein schwarzer Tag für Europa, wenn ein starkes vereintes Europa gefordert ist,“ urteilt Logistiker Dietrich. Das Familienunternehmen, das er in dritter Generation führt, ist bereits seit 1979 in Rumänien tätig. Noch Jahre nach dem Ende der Diktatur 1989 waren Schuhe wichtige Exportprodukte und Devisenbringer. „Jeder hat mich damals für verrückt erklärt,“ erinnert sich der CEO. Inzwischen fährt Dietrich-Logistic fast ausschließlich für die Automobil-Industrie, für die Rumänien inzwischen ein wichtiger Standort ist. Dietrich hat nach eigenen Angaben 40 Millionen Euro investiert und zählt 500 Beschäftigte in Rumänien.

Während das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und Bulgarien zuletzt lediglich rund 9,8 Milliarden Euro betrug, waren es zwischen Deutschland und Rumänien 2021 knapp 33 Milliarden Euro. Zahlreiche deutsche Unternehmen haben dort in den vergangenen Jahren investiert, auch in der Erwartung, dass die Aufnahme in den Schengen-Raum absehbar sei. Insbesondere nachdem die EU-Kommission Rumänien im November attestiert hatte, alle seine Verpflichtungen in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung erfüllt zu haben, schien der Weg bereitet.

Einer der bedeutendsten deutschen Investoren und Arbeitgeber in Rumänien ist der Autozulieferer Continental. In Timişoara stellte das Unternehmen im vergangenen Sommer für rund 20 Millionen Euro ein Forschungszentrum fertig. Gleichzeitig wurde das dort 2006 eröffnete Werk für 40 Millionen Euro zum dritten Mal erweitert, auf nunmehr insgesamt 18.000 Quadratmeter. In der von Continental selbst „Megafactory“ genannten Fabrik werden neben Airbagsteuergeräten, elektronischen Parkbremsen und diversen Steuergeräten vor allem Displays gefertigt.

Eine Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum hätte Continental die Aufgabe erleichtert. „Displaylösungen aus Timisoara liefern wir vor allem an die europäischen Fertigungsstandorte unserer Kunden – hierunter sind verschiedene EU-Länder, unter anderem auch Deutschland, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Erst kürzlich hatte das Unternehmen Aufträge für großflächige Displaylösungen im Wert von über zwei Milliarden Euro von internationalen Autoherstellern erhalten. Der Gesamtwert des Auftragseingangs für derartige Produkte mit einem Serienstart nach 2022 liegt inzwischen bei über sieben Milliarden Euro.

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von Dieter Schnaas

„Die Automobilindustrie ist ein weltweites Netzwerk, das auf unterbrechungsfreie Waren- und Dienstleistungsströme angewiesen ist,“ reagierte die Sprecherin auf die Entscheidung gegen eine Aufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum. „Grundsätzlich helfen Freihandelsabkommen Handelshemmnisse abzubauen. Alle Beiträge hierzu begrüßen wir.“

Nach Überzeugung der dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin unterstellten Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing (GTAI) gewinnt Rumänien für die Industrie eine zunehmende Bedeutung als Drehkreuz für Warentransporte von und nach Südosteuropa. Aufgrund seiner Lage könne das Land zu einer Drehscheibe für Transporte von Europa in die Länder des Kaukasus, des Nahen Ostens, Nordafrikas und weiter Richtung Zentralasien und China werden. Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hätten Transportdienstleister Lieferungen von der Nordroute der Neuen Seidenstraße auf die Südroute verlagert. Über Georgien und die Türkei kämen so mehr Waren und Güter im Hafen Constanța am Schwarzen Meer an.

Österreichs Forderung nach einem schärferen Vorgehen gegen illegale Einwanderung als Bedingung für einen Schengen-Beitritt halten Unternehmer ebenso wenig für nachvollziehbar wie Politiker – selbst innerhalb der Wiener Regierungskoalition und sogar innerhalb der ÖVP. Es stimmt zwar, dass insbesondere Rumänien eine wichtige Rolle beim Schutz der europäischen Außengrenzen zukommt: Mit gut 1700 Kilometern hat das Land in Osteuropa einen der längsten Abschnitte der EU-Außengrenze. In Wahrheit kommen die in Österreich nicht erwünschten Migranten aber fast ausschließlich über Serbien und Ungarn ins Land.

Andreas Lier, Managing Director für BASF in Bulgarien und Rumänien und Präsident der deutschen Außenhandelskammer in Bukarest, hatte sich bereits ausgemalt, dass durch den Schengen-Beitritt „weitere Investitionsentscheidungen für die Region begünstigt“ würden. Davon, so hoffte er, würde dann auch der deutsche Chemiekonzern profitieren.

Lier kennt ebenfalls die Lkw-Schlangen an den Grenzen. Er fährt oft die Strecke zwischen Bukarest und Sofia. „Die Reduzierung der mit Wartezeiten beim Zoll verbundenen Kosten sowie die Reduzierung von Verzögerungen in Logistikketten rationalisieren den grenzüberschreitenden Handel und schaffen einen fairen Preis für Waren, die für europäische Bürger bestimmt sind,“ sagt auch er. Deshalb liege es im Interesse aller Mitgliedsstaaten, dass Rumänien und Bulgarien Teil des Schengen-Raums würden. „Alle würden profitieren. Die Menschen, die Industrie, Europa und der europäische Gedanke und es würde zusätzliches Wachstum erzeugt werden, was gerade jetzt wichtig ist.“

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Ob es 2023 damit etwas wird? Die österreichische Europa-Ministerin Karoline Edtstadler gesteht offen ein, dass es Österreich bei seinem Nein nicht um Bulgarien und Rumänien geht. „Das Veto erfolgt nicht gegen einzelne Mitgliedstaaten, sondern gegen ein kaputtes System“, sagte die ÖVP-Politikerin zum Jahresende der österreichischen Nachrichtenagentur APA: Sie erwarte, dass Schweden das Thema Migrationspolitik auf die Agenda hebe, wenn das Land im ersten Halbjahr turnusmäßig die EU-Ratspräsidentschaft innehat. „Vielleicht Mitte des Jahres 2023“ könne die EU dann „schon einige konkrete Vorschläge und Lösungen am Tisch haben.“

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