Schlechte Chancen auf Einigung EU-Haushaltsgipfel: Ausgerechnet die „sparsamen Vier“ sind unzufrieden

Mit dem von EU-Ratspräsident Charles Michel vorgelegten Plan für die EU-Finanzen ist niemand so richtig zufrieden. Quelle: AP

Die EU-Staats- und Regierungschefs beraten ab heute über den EU-Haushalt. Die Chancen für eine Einigung stehen jedoch schlecht, ausgerechnet die „sparsamen Vier“ sind unzufrieden mit den Plänen des EU-Ratspräsidenten.

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Mit seiner intensiven Diplomatie hatte EU-Ratspräsident Charles Michel zuletzt sogar seine Kritiker überrascht. Binnen zehn Tagen sprach der Belgier mit Staats- oder Regierungschef aller 27 EU-Mitgliedsstaaten, um einen Kompromiss beim Streitthema EU-Finanzen für die Jahre 2021 bis 2027 auszuloten. Michels Mitarbeiter übertrugen die Positionen der Mitgliedsstaaten pflichtschuldig in Excel-Tabellen, um den Verhandlungsspielraum abzustecken. Da hänge sich jemand so richtig rein, hieß es in Brüssel anerkennend über den früheren belgischen Ministerpräsidenten, der ein wenig als Notbesetzung galt, als er ins Amt kam.

Doch seit Michel am vergangenen Freitag seinen Kompromiss für die mittelfristige Finanzplanung der EU vorgelegt hat, fühlen sich all jene bestätigt, die den Liberalen als politisches Leichtgewicht ansehen. Das Zahlenwerk macht eine Einigung beim EU-Gipfel zu den künftigen Finanzen der Union nicht leichter, der am am heutigen Donnerstag beginnt. Niemand ist zufrieden mit Michels Vorschlag.
Gewiss, beim Streit ums Geld ist der Kompromiss in der EU immer schwierig. Nettoempfänger wollen mehr, Nettozahler pochen dagegen auf einen möglichst kleinen Haushalt. Michel hat nun aber einen taktischen Fehler begangen, indem die Nettozahler verprellt hat. Ohne die wird es aber keinen Durchbruch geben.

Die Bundesregierung und die „sparsamen Vier“, also Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande sind unzufrieden, weil Michel die Rabatte auslaufen lassen will, die es bisher für Länder gab, die deutlich mehr nach Brüssel überweisen als anschließend zurückfloss. Der Nettobeitrag für Deutschland könnte im Jahr um zehn Milliarden Euro steigen, der für Frankreich dagegen nur um ein bis zwei Milliarden. Die Bundesregierung empfindet das als unausgewogen. Die „sparsamen Vier“ weisen darauf hin, dass sie bei einer Abschaffung der Rabatte - zusammen mit Deutschland - 75 Prozent des EU-Haushalts bestreiten würden. „Wir bestehen auf dauerhaften Korrekturen“, bekräftigen die Regierungschefs der vier Länder.

In Berlin ist auch die Unzufriedenheit groß, dass Ratspräsident Michel Zugeständnisse an Polen und Ungarn macht und den geplanten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus aufweicht. Dieses Druckmittel soll erstmals eingeführt werden, weil die Instrumente der EU-Kommission bisher zu schwach sind, um Länder zu disziplinieren, die ganz offensichtlich gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Wer etwa aus politischen Gründen beliebig Richter absetzt, dem sollen künftig Zahlungen aus Brüssel verwehrt bleiben. Michel schlägt vor, dass es nur so weit kommen soll, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten dafür stimmt.

Damit sind die Chancen gering, dass der Mechanismus in der Praxis angewandt wird. Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission hatte das Gegenteil vorgesehen: Der Zahlungsstopp hätte nur durch eine qualifizierte Mehrheit verhindert werden können. Das Instrument hätte somit deutlich mehr Kraft entfalten können.

Das Europäische Parlament, das der mittelfristigen Finanzplanung zustimmen muss, ist wenig begeistert von der Änderung des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus. Europa-Abgeordnete kritisieren zudem, dass Michel den Haushalt nicht ausreichend modernisiert, sondern auf Druck Frankreichs und Österreichs den Anteil der Ausgaben nicht so stark sinken lässt, wie das die EU-Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte. „Für von der Leyens Green Deal bedeutet der Vorschlag von Michel einen Rückschritt“, moniert der grüne Europa-Abgeordnete Rasmus Andresen. „Ohne deutlich mehr Investitionen für Klima, eine komplette Agrarreform und den Stopp der Förderung von fossiler Energie, werden wir die Pariser Klimaziele nicht einhalten.“

Ratspräsident Michel hatte angedroht, ab Donnerstag notfalls vier Tage lang über die EU-Finanzen verhandeln zu wollen. Dazu wird es vermutlich nicht kommen. In Brüssel heißt es, etliche Staats- und Regierungschefs haben schon angekündigt, nur bis Freitag bleiben zu wollen. Dann würde wohl ein weiterer EU-Sondergipfel im März stattfinden. Und der Versuch, den Streit um die EU-Finanzen zu beenden, kann in eine weitere Runde gehen.

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