Schnelltests Corona-Tests in der Schweiz: fehlender Anreiz, fehlender Betrug

In der Schweiz andere Voraussetzungen für Privatpersonen, ein Corona-Schnelltestzentrum zu eröffnen. Quelle: dpa

Auch in der Schweiz können Bürger sich in Testzentren und bei Ärzten kostenlos testen lassen – aber von Betrugsfällen ist dort nichts zu hören. Woran das liegt und worin die Unterschiede zum deutschen Testsystem liegen.

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Die Schweiz steht allgemein nicht im Ruf, besonders nachlässig oder unpräzise zu sein – so auch beim Coronatesten. Während in Deutschland zahlreiche Staatsanwaltschaften möglichen Betrugsfällen bei Corona-Schnelltests nachgehen und Gesundheitsminister Jens Spahn wegen womöglich einfach ausnutzbarer Vorgaben und ausbleibender Kontrollen zunehmend ins Zentrum der Kritik rückt, ist es in der Schweiz diesbezüglich still. Es seien bislang „keine Fälschungen bekannt“, sagt Jordi Michael, Generalsekretär der GDK (Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren) in Bern. Dabei übernimmt auch dort seit Mitte März der Bund alle Kosten für Schnelltests, vergleichbar mit dem Gratis-Testangebot in Deutschland. Was sind die Unterschiede?

Zunächst hat ein negatives Testergebnis in der Schweiz (noch) nicht denselben praktischen Wert und Nutzen wie in Deutschland. Restaurants und Händler verlangen in der Schweiz keinen aktuellen negativen Corona-Schnelltest als Eintrittskarte. Dort gelten andere Schutzkonzepte, etwa eine Maximalpersonenzahl pro Fläche und Schutzwände. Ein negatives Ergebnis eines PCR-Tests benötigen Schweizer in der Regel nur für Reisen ins Ausland; für Reisen nach Italien reicht ein negativer Schnelltest. Sonst werden Schnelltests meist „für die eigene Sicherheit“ benutzt, „wenn man sich trifft“, heißt es beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Die Tests sind aber keine Pflicht. Damit entfällt in der Schweiz der unmittelbare Anreiz, mit spontan gezimmerten Schnelltestbuden vor beliebten Restaurants oder Kaufhäusern schnelles Geld zu verdienen, wie es vielerorts in deutschen Städten zu beobachten war.

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Auch gelten in der Schweiz andere Voraussetzungen für Privatpersonen, ein Schnelltestzentrum zu eröffnen, wie Jérôme Weber von der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich erklärt: Privatpersonen benötigen dazu eine sogenannte „Berufsausübungsbewilligung für Medizinalpersonen“. In der Regel kontrollieren und bewilligen das die örtlichen Gesundheitsdirektionen der 26 Schweizer Kantone. Das erklärt auch, warum in der Schweiz die anderen beiden Testmöglichkeiten – in Apotheken und bei Ärzten bzw. in Krankenhäusern – offenbar populärer sind als in Deutschland, auch wenn genaue Zahlen zum Testverhalten noch nicht vorliegen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland müssen noch das Ende des zweiten Quartals abwarten, erst dann wissen sie, wie viele Coronatests die Ärzte hierzulande zwischen April und Juni abgerechnet haben. Aber die Verantwortlichen bei Bund und Bundesamt für Soziale Sicherung gehen davon aus, dass sich die meisten Deutschen mittlerweile in den mehr als 15.000 Testzentren testen lassen.

Der wohl größte Kritikpunkt im Zusammenhang mit den Betrugsfällen bei Coronatests in Deutschland ist die fehlende Kontrolle: Niemand fühlt sich zuständig, die Angaben der privaten Betreiber der Teststellen zu überprüfen. So war es möglich, dass einige Betreiber offenbar weitaus mehr Tests abgerechnet haben, als sie tatsächlich durchgeführt haben. Der Anreiz ist groß: Pro Test können Betreiber in Deutschland insgesamt 18 Euro abrechnen – 12 Euro für das Testen und das Mitteilen des Ergebnisses, und 6 Euro Pauschale für das Testkit. Laut einem Eckpunkte-Papier des Bundesgesundheitsministeriums will Jens Spahn das nun offenbar schnell ändern, sodass Teststellenbetreiber in Zukunft nur noch 8 Euro für die Probenentnahme und 3 Euro pro Testkit abrechnen dürfen.

Dass Betrüger hierzulande offenbar wahllos Fantasiezahlen als Getestete abrechnen konnten, war auch möglich, weil sie den Kassenärztlichen Vereinigungen keine Namen der Getesteten vorlegen mussten. Was gemeldet wurde, wurde abgenickt und erstattet. Das wird in der Schweiz deutlich strenger gehandhabt: Dort muss jeder Getestete seine Krankenversichertenkarte vorlegen. Denn die Teststellenbetreiber, Ärzte oder Apotheker müssen den Krankenkassen stets die Krankenversichertennummern aller Getesteten vorlegen, um die Leistung abrechnen zu können. Die deutsche Politik entschied sich dagegen, das Testen auf staatliche Stellen bzw. den Gesundheitssektor zu beschränken; es war von niedrigschwelligen und unbürokratischen Test-Angeboten die Rede. Wie sehen das die Schweizer? Ihr System sei „überhaupt nicht bürokratisch“, sagt Fosca Gattoni Losey, Co-Leiterin AG Testung des Bundesamts für Gesundheit. „Wir nutzen die Kanäle, die bereits bestehen.“ Das sei „unkompliziert und schnell.“ Und auch bei der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren heißt es, das Testen sei „rein administrativ kein komplexer, sondern ein automatisierter Prozess“.

„Es kommt darauf an, was man will“, relativiert dagegen Kai Sonntag von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg: „Man kann natürlich den Kreis derjenigen, die testen sollen, so einschränken. Bisher war das in Deutschland aber nicht gewollt, denn man wollte auf breiter Basis möglichst viele Teststellen eröffnen, damit man rein kapazitätsmäßig in der Lage ist, das auch zu stemmen.“

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Womöglich konnte sich die Schweiz allein aufgrund ihrer Größe für das deutlich sicherere, kontrollierbare System entscheiden, während in Deutschland der Druck auf die verantwortlichen Politiker nach dem sogenannten Impf-Debakel groß war, für möglichst schnelle und einfache Lösungen zu sorgen. „Wenn man das Testen zu einem großen Teil den Personen überlässt, die bereits im Gesundheitswesen registriert sind, kann man natürlich eine andere Infrastruktur nutzen“, erklärt Kai Sonntag und fügt hinzu: „Man muss sich nur im Klaren sein: Unsere Ärzte allein könnten das nicht leisten.“

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