Was für seine Bürger gilt, gilt längst nicht für die Mitgliedsländer der Europäischen Staatengemeinschaft. „Die Union achtet (…) den Grundsatz der Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, denen ein gleiches Maß an Aufmerksamkeit seitens der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zuteil wird“, heißt es in Artikel 9 im „Vertrag von Lissabon“, dem EU-Grundlagenvertrag, den alle 27 EU-Staaten unterzeichneten. Gut, dass Staaten ausdrücklich nicht im Verfassungstext erwähnt werden, sonst würden sich die Euro-Retter noch juristischen Ärger einhandeln. Denn nicht erst seit vergangenem Dienstag – jenem Tag, an dem die Euro-Finanzminister und der Internationale Währungsfonds (IWF) dem maroden Griechenland mit einem Bündel an Maßnahmen und geldpolitischen Tricks weitere Milliardenhilfen zusagten – weiß ein jeder Europäer: Gleichbehandlung unter den Mitgliedsstaaten gibt es seit dem Ausbruch der Schuldenkrise nicht mehr.
Deutschland darf zwar als größter Finanzier der Rettungsschirme zahlen, doch Widerspruch in Rettungsfragen ist unerwünscht. Griechenland bekommt Zinserlass auf Zinserlass, Irland und Portugal hingegen nicht. Der Regierung in Lissabon und Dublin stößt das Übel auf. Portugals Finanzminister Vítor Gaspar forderte beim Treffen der Euro-Finanzminister am Montagabend wenig überraschend, die gleichen Rechte und Pflichten bei der Rückzahlung der Kredite zu bekommen, sprich: ebenfalls bessere Kreditkonditionen zu erhalten.
Griechenlands neues Sparprogramm
Griechenland will mit dem neuen Sparprogramm die Staatshaushalte um 13,5 Milliarden Euro bis Ende 2014 entlasten. Weitere 3,4 Milliarden Euro sollen anschließend bis 2016 eingespart werden. Renten und Löhne werden drastisch gekürzt, das Rentenalter wird angehoben und Staatsbedienstete sollen entlassen werden. Das Paket ist eine der Voraussetzungen für die Zahlung weiterer Hilfen an das pleitebedrohte Land. Die wichtigsten Maßnahmen im Einzelnen:
(Quelle: dpa)
Die Rentner müssen mit Kürzungen um fast 4,8 Milliarden Euro rechnen. Alle Renten von 1.000 Euro aufwärts werden um fünf bis 15 Prozent gesenkt. Das Weihnachtsgeld für Rentner wird abgeschafft; es war bereits von einer Monatsrente auf 400 Euro gekürzt worden. Die Gewerkschaften rechneten aus, dass damit die Rentner im Durchschnitt 2.000 Euro im Jahr verlieren werden.
Die Abfindungen für entlassene Arbeitnehmer werden drastisch gesenkt. Arbeitgeber dürfen Verträge mit jedem einzelnen Arbeitnehmer schließen. Damit werden praktisch Tarifverhandlungen umgangen.
Auch den Staatsbediensteten werden die jeweils verbliebenen 400 Euro vom Weihnachtsgeld sowie vom Urlaubsgeld gestrichen. Viele Löhne und Gehälter sollen um sechs bis 20 Prozent verringert werden. Bis Ende 2012 sollen 2.000 Staatsbedienstete in die Frühpensionierung gehen oder entlassen werden. Bis zum Eintritt des Rentenalters erhalten sie dann 60 Prozent ihres letzten Gehalts.
Im Gesundheitswesen sollen 1,5 Milliarden Euro eingespart werden. Unter anderem sollen die Versicherten sich mit höheren Eigenbeiträgen beim Kauf von Medikamenten beteiligen. Zahlreiche Krankenhäuser sollen schließen. Andere sollen sich zusammenschließen.
Die Gehälter der Angestellten der öffentlich-rechtlichen Betriebe, wie beispielsweise der Elektrizitätsgesellschaft (DEI), sollen denen der Staatsbediensteten angeglichen werden. Dies bedeutet für die Betroffenen nach Berechnungen der Gewerkschaften bis zu 30 Prozent weniger Geld.
Familien, die mehr als 18.000 Euro im Jahr verdienen, haben keinen Anspruch auf Kindergeld mehr.
Das Rentenalter wird für alle von 65 Jahre auf 67 Jahre angehoben.
Weitere Details des Sparprogramms sollen mit Gesetzen geregelt werden, die in den kommenden Monaten gebilligt werden sollen.
Gaspar verwies auf den Gipfel im Juli des vergangenen Jahres, auf dem die Euro-Länder explizit festgelegt hatten, Ländern mit Hilfsprogrammen dieselben Konditionen anzubieten. Das Prinzip der Gleichbehandlung bei Zinsen und Rückzahlungsfristen müsse auch für Portugal und Irland gelten, machte Gaspar bereits vor dem Treffen mit seinen Amtskollegen deutlich. Auch der irische Finanzminister Michael Noonan kündigte am Montag an, einzelne Erleichterungen für Griechenland darauf prüfen zu wollen, ob diese auch auf Irland übertragbar wären. Schäuble warnte eindringlich davor: Dublin versuche gerade schrittweise wieder an den Markt zurückzukehren. Sollte nun auch das Land sein Programm nachverhandeln wollen, wäre das ein "verheerendes Signal" für die Märkte.
Die Euro-Länder hatten vergangene Woche den Zins, den Griechenland auf den EFSF-Kredit zahlt, um 0,1 Prozentpunkte gesenkt. Zudem muss das Land zehn Jahre lang gar keine Zinsen zahlen. Der Zinssatz auf EFSF-Kredite liegt zurzeit beim üblichen Marktzins, also 1,5 bis 2,0 Prozent im Jahr. Seit Mai vergangenen Jahres erhält Portugal Geld aus dem EFSF-Rettungsschirm, insgesamt 78 Milliarden Euro. Irland wurden als ersten Hilfsempfänger im November 2010 gar 85 Milliarden Euro aus dem Notfallfonds zugesagt.
Doch die Forderung der Atlantik-Anrainer nach einem niedrigeren Zinssatz für ihre Hilfskredite wurden von den Euro-Partnern abgebügelt. Niemand in der Währungsunion hat Lust, noch weitere Kosten zu schultern. Zumal auch die maroden spanischen Banken Finanzspritzen von 39,5 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungsschirm erhalten, wie das Ecofin-Treffen beschloss. Die Hilfen sollen Mitte kommender Woche fließen. Madrid hatte zuvor offiziell die Darlehen beantragt, die bereits im Juli pauschal in Aussicht gestellt wurden. Spanien hat damit gut gepokert und zunächst sein Ziel erreicht, nicht komplett unter den Rettungsschirm flüchten zu müssen - und harte Auflagen der Troika gestellt zu bekommen.