
Das weiße Hemd ist blutgetränkt, in den Händen hält Emilie Roemer eine Kettensäge. Der Lehrer aus dem kleinen Ort Boxmeer, nahe der deutschen Grenze, grinst triumphal. Vor allem wohlhabende Niederländer sind in Sorge. Sie fürchten, dass Roemer, Spitzenkandidat der Sozialisten, die Parlamentswahlen in einer Woche gewinnen könnte – und zum Rundumschlag ansetzt. Der 50-Jährige will die Einkommenssteuer für Wohlhabende auf 65 Prozent heraufschrauben und den Sozialstaat ausbauen. "Wenn Roemer Ministerpräsident wird, gehen wir in die Schweiz", warnen die Initiatoren sinngemäß mit der martialischen Anzeige in dem Magazin "Quote".
Sie sollten vorsichtshalber schon einmal die Koffer packen. In Umfragen liegt die "Socialistische Partij" (SP) von Roemer mal vor den Konservativliberalen des noch amtierenden Premiers Mark Rutte, mal gleichauf. Mit einigem Abstand folgen die Freiheitspartei des Rechtspopulisten Geert Wilders sowie die Christ- und die Sozialdemokraten.
Die wichtigsten Parteien - und ihre Chancen
Die "Socialistische Partij" übt fundamentale Kritik am Kapitalismus. Mit ihrem Spitzenkandidat Emile Roemer fordert die SP den Bau von Seniorenheimen und die "ehrliche Verteilung der Einkommen". Den Sparkurs der Regierung lehnt sie ab. Bei den Wahlen in der kommenden Woche könnte die Partei zur stärksten Fraktion gewählt werden. Glaubt man den Umfragen können die Sozialisten 36 Sitze erobern - und 21 Parlamentarier mehr entsenden als bisher.
Die "Volkspartij voor Vrijheid en Democratie" (Volkspartei für Freiheit und Demokratie) steht für liberale Positionen. Ihr Spitzenkandidat Mark Rutte ist der amtierende Ministerpräsident des Landes. Er steht für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs; die Senkung von Steuern und die Förderung von Existenzgründern stand lange Zeit im Mittelpunkt. Doch zuletzt rückte Rutte zunehmend in die politische Mitte. Die VVD kann mit einem ähnlichen Ergebnis wie bei den Wahlen 2010 rechnen und damit mit 31 Parlamentssitze kalkulieren.
Die "Partij voor de Vrijheid" (Freiheitspartei) mit Spitzenkandidat Geert Wilders punktet mit fremdenfeindlichen Parolen. Er wütet mal gegen den Islam, mal gegen Brüssel. Er fordert den Euro-Austritt der Niederlande und propagierte zuletzt ein Verbot von Tierschächtungen. Die Freiheitspartei tolerierte die Minderheitsregierung von Mark Rutte, beendete im April aber die Zusammenarbeit. Die PVV kann auf 15 bis 18 Parlamentssitze hoffen.
Die "Partei van de Aarbeid" (Arbeiterpartei) setzt auf sozialdemokratische Themen. Spitzenkandidat Diederik Samsom kämpft für Lohnerhöhungen, mehr Chancengleichheit und eine stärkere Umverteilung des Vermögens. Bei den Wahlen 2010 konnten die Sozialdemokraten 30 Sitze holen, in diesem Jahr droht ein deutlicher Rückgang auf 16 Sitze.
Die Christdemokratische Partei mit Fraktionschef Maxime Verhagen ist der politischen Mitte zuzuordnen. Bei einem Wahlsieg möchte die CDA ("Christen Democratisch Appél") Schulden abbauen, das Kabinett verkleinern und sich für eine bessere Bildung einsetzen. Bei den Wahlen 2002, 2003 und 2006 erhielten die Christdemokraten die meisten Stimmen. Nun aber droht der Abstieg. Laut neuesten Umfragen kann die CDA nur mit 13 Sitzen im neuen Parlament rechnen, das über 150 Sitze verfügt.
Die Haupanliegen der "GroenLinks" sind vor allem der Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Pazifismus. Die Fraktionsvorsitzende Femke Halsema strebt nach einem gesunden und sicheren Lebensraum für die Niederlande. Sie sucht hierbei nach Lösungen für alternative, nachhaltige Wohn- , Arbeits- und Unternehmensmöglichkeiten. Saubere Energie, gute öffentliche Verkehrsmittel und das Anlegen von Fahrradwegen sollen Arbeitsplätze schaffen. In den Niederlanden sind die Grünen eine Randerscheinung. Sie erreichten bei der letzten Wahl nur 4,6 Prozent.
"Die europakritischen Parteien am linken und rechten Rand haben an Stärke gewonnen. Ich hoffe aber, dass die Vernunft siegt und am Ende regiert“, sagt Axel Gerberding, Geschäftsführer der Deutsch-Niederländischen Handelskammer in Den Haag. "Die Niederländer sind eigentlich pragmatisch und gut informiert. Aber es gibt derzeit keine eindeutige Mehrheit, die Wahl wird sehr spannend."
Roemer hält sparen für kontraproduktiv
Sollten die Sozialisten die Wahlen am 12. September tatsächlich gewinnen und eine Regierung stellen können, würde Deutschland einen wichtigen Verbündeten für seine Politik in der Euro-Zone verlieren. Die Niederlande zählen zu den reichsten Ländern der Euro-Zone und tragen einen bedeutenden Anteil an den Rettungspaketen für die Pleitestaaten in Südeuropa. Die Regierung von Mark Rutte stütze bislang Bundeskanzlerin Angela Merkel, die einen harten Sparkurs zur Lösung der Schuldenkrise verlangt.

Roemer will davon nichts wissen. In der Krise zu sparen, hält der Sozialist für kontraproduktiv. An die Maastricht-Kriterien, wonach das Haushaltsdefizit nicht über 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen darf, fühlt sich Roemer nicht gebunden. "Wenn sich nach allen Investitionen herausstellen sollte, dass das Defizit etwas über drei Prozent liegen sollte, dann darf die Politik sich doch nicht davon leiten lassen, dass wir 1992 einen Vertrag beschlossen haben, der heute nicht mehr zeitgemäß ist", erklärte Roemer im Wahlkampf. "Ich bin Politiker geworden, nicht Buchhalter."
So ist es auch logisch, dass Roemer den erst im April beschlossenen Sparplan des Landes infrage stellt und schmerzhaft Strukturreformen auf die lange Bank schiebt. Die niederländische Wirtschaft, die in der Rezession steckt, ist besorgt.