Welche Erkenntnis also bleibt nach dem Blick auf die Euro-Nachbarn? Einerseits, dass die Europäische Union und der Europäische Binnenmarkt für die Länder Europas nicht wegzudenken ist. Auch Länder wie Kroatien oder Serbien, die noch nicht zur EU gehören, streben nach einer Mitgliedschaft in dem Staatenverbund. Kroatien etwa erhofft sich Stabilität und Wachstumsschübe und jede Menge Geld durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Große Begeisterung für Europa gibt es im Land trotzdem nicht. Für den Euro erst recht nicht.
Die Gemeinschaftswährung ist derzeit offenbar nur für Staaten interessant, die selbständig kaum auf eigenen Beinen stehen können. So wie Island. Der Inselstaat im Nordatlantik ist nach dem Kollaps seiner Banken auf der Suche nach stabilen Verhältnissen. Gerne hätte man bei der Rettung der maroden Banken – wie Spanien – Hilfe der Euro-Partner angenommen.
Die Chronik der Schuldenkrise
Um die Schuldenkrise einzudämmen, spannen die Finanzminister und der IWF einen Rettungsschirm (EFSF) für pleitebedrohte Euro-Mitglieder. Insgesamt 750 Milliarden Euro sollen im Notfall fließen. Der damalige Kanzleramtsminister Thomas de Maizière resümiert, jetzt komme „Ruhe in den Karton“.
Als erstes EU-Land schlüpft Irland unter den EFSF. Europäer und IWF schnüren ein Hilfspaket von 85 Milliarden Euro. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hält Sorgen vor einem Überschwappen auf Portugal für unbegründet: „Gerede über eine Ansteckung hat keine wirtschaftliche oder rationelle Grundlage.“
Nach einem Hilferuf aus Lissabon setzt die EU ein Rettungspaket für Portugal in Gang. Höhe: Rund 80 Milliarden Euro. Schäuble sieht die Gefahr einer Ausbreitung der Krise zunächst als gebannt an: „Die Ansteckungsgefahr ist geringer geworden.“
Die EU-Finanzminister beschließen eine Ausweitung des EFSF. Deutschlands Anteil steigt von 123 auf 211 Milliarden Euro. Damit bis zu 440 Milliarden Euro an Krediten gezahlt werden können, müssen die Euro-Länder ihre Garantien auf 780 Milliarden Euro erhöhen. Merkel verteidigt das: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“
Athen beantragt ein zweites Hilfspaket. Es beläuft sich schließlich auf 159 Milliarden Euro. Erstmals beteiligen sich auch private Gläubiger Athens, ihr Anteil beträgt rund 50 Milliarden Euro.
Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft nun auch Staatsanleihen von Italien und Spanien auf, um beide Länder zu stützen.
Nach einem Doppelgipfel beschließen die Euro-Länder das bislang dickste Paket zur Eindämmung der Krise: Griechenlands Schulden werden um 50 Prozent gekappt. Das im Juli beschlossene 109-Milliarden-Programm wird modifiziert: Nun soll es zusätzliche öffentliche Hilfen von 100 Milliarden Euro geben, sowie Garantien von 30 Milliarden Euro, mit denen der Schuldenschnitt begleitet wird. Die Schlagkraft der EFSF soll auf rund eine Billion Euro erhöht werden. Zudem müssen Europas Banken ihr Kapital um mehr als 100 Milliarden Euro aufstocken. „Ich bin sehr zufrieden mit den Ergebnissen“, bilanziert Merkel. Und Frankreichs Finanzminister François Baroin sagt erleichtert: „Es gab ein Explosionsrisiko. Das Abkommen von heute Nacht ist eine freundschaftliche, globale und glaubwürdige Antwort.“
Silvio Berlusconi steht vor dem Aus. Bei der Abstimmung über den Rechenschaftsbericht 2010 verfehlt er im italienischen Parlament die absolute Mehrheit. Am Abend kündigt er seinen Rücktritt an. Zuvor sollen aber noch die Brüssel zugesagten Reformen beschlossen werden.
Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou kündigt in Athen seinen Rücktritt an.
Nahezu alle Mitgliedstaaten einigen sich beim EU-Gipfel in Brüssel nach zähen Verhandlungen auf eine Fiskalunion. Großbritannien steht im Abseits. Eine Spaltung der EU wird abgewendet.
Die Eurogruppe gibt ein zweites Griechenland-Paket frei. Der IWF beteiligt sich daran mit 28 Milliarden Euro.
Spaniens Regierung kündigt an, zur Sanierung der maroden Banken ein Rettungspaket "light" zu beantragen. Die Eurogruppe sagt Madrid bis zu 100 Milliarden Euro zu.
Nach langem Zögern flüchten Spanien und auch Zypern unter den Euro-Rettungsschirm. Der Finanzierungsbedarf beider Länder zur Rekapitalisierung ihres Bankensektors ist noch unklar.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe genehmigt den ESM-Rettungsschirm unter Vorbehalten. Die Bedingung: Es müsse sichergestellt werden, dass die Haftung Deutschlands auf die vereinbarten 190 Milliarden Euro beschränkt bleibe. Ohne erneute Zustimmung Deutschlands - und damit des Bundestags - dürfen keine höheren Zahlungsverpflichtungen begründet werden. Damit kann Deutschland dem permanenten Euro-Rettungsschirm ESM beitreten. Bis zur Entscheidung aus Karlsruhe hatte Deutschland bislang als einziges Euro-Land den Vertrag über den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ ESM noch nicht ratifiziert. Erst mit der Beteiligung des größten Mitgliedsstaats kann der Rettungsschirm in Kraft treten.
In den Ländern aber, die wirtschaftlich stark und für die Zukunft gut aufgestellt sind, hat Europa und insbesondere der Euro an Attraktivität verloren. Staaten wie Schweden, aber auch Dänemark oder die Schweiz, die den Euro stützen könnten, fühlen sich durch den Ausbruch der Krise in ihrer Euro-Ablehnung bestätigt. Die Angst, wie Deutschland, Österreich oder Finnland zur Kasse gebeten zu werden, ist größter als die Furcht, politischen Einfluss in Europa zu verlieren.
Europa koppelt sich von der Eurozone ab
Eine exorbitante Aufwertung der eigenen Währung (Schweiz) lässt sich mit einer Koppelung an den Euro entgegenwirken. Mit der währungspolitischen Flexibilität dank der eigenen Währung (Polen) und die Erschließung neuer Märkte (Schweden) lassen sich wegbrechende Marktanteile im kriselnden Euro-Land egalisieren.
Für Europa bedeutet es, dass das Ziel, ein gewichtiges Wort in der Welt zu behalten, in die Ferne rückt. Je mehr sich die Europäische Union von der Euro-Zone abkoppelt, desto weniger Einfluss haben die 17 Euro-Staaten. Die Gemeinschaftswährung kann darüber hinaus nicht hoffen, dass durch das Hinzukommen neuer, wirtschaftlich starker Länder die Euro-Zone stabilisiert werden kann. Die Lasten bleiben auch in Zukunft auf den Schultern der vier verbliebenen Top-Schuldner der Euro-Zone, darunter Deutschland, hängen.