Schweiz „Die Flüchtlinge bleiben sehr lange in der Sozialhilfe"

Die Flüchtlingskrise macht auch vor der Schweiz nicht halt: Allerdings steigt die Zahl der Flüchtlinge weniger stark als im europäischen Schnitt. Nur in Sachen Integration muss die Schweiz besser werden.

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In der Schweiz sind die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge noch nicht erschöpft. Quelle: dpa

Zwei muslimische Schüler, die ihrer Lehrerin nicht die Hand zur Begrüßung geben wollten, wie es in Schweizer Schulen üblich ist, brachten die Schweiz diese Woche in die Schlagzeilen. Aus religiösen Gründen verweigerten sie den Handschlag, und die Schule gab ihnen Recht. Ein Fall, der in der Schweiz weniger Schlagzeilen machte als in deutschen Medien. Aber auch in der Schweiz ist der Ton schroffer geworden, die Ängste haben zugenommen.

Im Sommer des vergangenen Jahres sprach die SVP von einem „Asylchaos“, das in der Schweiz vorherrsche. Dabei liegt die Zahl der Flüchtlinge deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Aktuellen Zahlen des Staatsekretariats für Migration zufolge befinden sich derzeit knapp 68.500 Personen im Asylprozess, vergangenes Jahr sind 40.000 Asylgesuche eingegangen. Das Amt für Migration erwartet für dieses Jahr nur unmerklich mehr.

Die Menschen kommen vor allem aus Eritrea, Syrien, Afghanistan und Somalia und suchen in der Schweiz Schutz. Die hohe Anzahl aus Eritrea mag verwundern, hat aber einen einfachen Grund: Ein anerkannter Asylgrund in der Schweiz ist die „Flucht vor einem unbegrenzten Militärdienst“. Der Ausländeranteil liegt insgesamt bei derzeit 25 Prozent, in Deutschland liegt er bei unter zehn Prozent.

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„Die Flüchtlingslage ist sehr volatil“, sagt Léa Wertheimer vom Staatssekretariat für Migration. Ob jemand in der Schweiz ein Asylgesuch einreiche, hänge von vielen externen Faktoren ab, wovon die meisten zurzeit kaum voraussehbar seien. So ist es möglich, dass die Schließung der Balkanroute, die Grenzkontrollen Österreichs sowie die Rückweisungen Asylsuchender aus Österreich die Anzahl der Asylgesuche ansteigen lassen könnte.

Laut Justizministerin Simonetta Sommaruga habe die Schweiz zwar Maßnahmen in die Wege geleitet, insgesamt könne die Flüchtlingskrise aber nur zusammen mit anderen europäischen Staaten bewältigt werden. „Der Bundesrat erachtet eine solidarische Verteilung von schutzbedürftigen Personen innerhalb Europas als wichtig und hat darum vergangenes Jahr entschieden, dass sich die Schweiz grundsätzlich an einer solchen Verteilung beteiligt“, sagt Wertheimer vom Staatssekretariat für Migration. Voraussetzung sei aber, dass die europäischen Partnerstaaten die Dublin-Verpflichtungen einhalten, die die Aufnahme von Flüchtlingen in der EU regeln und unter anderem vorsehen, dass Flüchtlinge in dem Staat Asyl beantragen müssen, in dem sie europäischen Boden betreten haben.

Seit Jahresbeginn hat sich in Deutschland die Zahl der Asylanträge im Vergleich zu den Vormonaten mehr als verdoppelt. Aber es kämen weniger Flüchtlinge nach Deutschland, sagte Innenminister de Maiziere.

„Die Schweiz hat die ankommenden Flüchtlinge bisher sehr gut in den dafür vorgesehenen Strukturen unterbringen und betreuen können“, sagt Hugo Fasel, Chef der Schweizer Caritas. Problematisch sieht er hingegen, dass die Flüchtlingsfrage unter dem Titel „Asylchaos“ politisch intensiv bewirtschaftet würde,  und die Vorschläge für den Umgang mit Asyl und Flucht durch kurzfristige, größtenteils populistische Interessenslagen motiviert seien.

„Entgegen der in der öffentlichen Debatte immer wieder vertretenen Meinung, Europa oder die Schweiz könne doch nicht alle syrischen Asylsuchenden aufnehmen, zeigt sich, dass immer noch rund 80 Prozent der Menschen in Syrien selbst ausharren“, sagt er. Die Nachbarländer Syriens erbringen eine „unermessliche“ Solidaritätsleistung. „Im Vergleich dazu ist die Zahl von 40.000 Flüchtlingen, die 2015 in die Schweiz gelangt sind, gering“, sagt Fasel.

Negative Folgen befürchtet

Umfragen des Meinungsinstituts gfs.Bern zeigen allerdings auch, dass rund die Hälfte der befragten Schweizer negative Folgen des Flüchtlingsstroms fürchten: Dabei gehe es vordergründig um die Angst vor Arbeitsplatzverlust oder Lohndruck und erst nachrangig um eine Angst vor Überfremdung und steigende Kriminalität. „Migration hat seit jeher nachhaltigen Einfluss auf Gesellschaften und Arbeitsmärkte. Auch die aktuellen Flüchtlingsströme werden sich auf die Aufnahmegesellschaften auswirken“, sagt Dorothee Guggisberg, Geschäftsführerin der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), einem Fachverband, der Richtlinien für die Bemessung der Sozialhilfe erarbeitet und sich dabei nicht selten auch mit Flüchtlingen auseinandersetzt.

„Die Flüchtlinge bleiben oftmals sehr lange in der Sozialhilfe – mit geringer beruflicher Qualifikation und Sprachkenntnissen besteht kaum Aussicht auf eine Arbeitsstelle. Das ist nicht nur für die Flüchtlinge selber demotivierend und blockiert ihren Integrationsprozess, sondern führt bei den Kantonen und Gemeinden zu einer erheblichen finanziellen Zusatzbelastung“, sagt Guggisberg. Die Schweiz verfüge über Strukturen und Voraussetzungen, die Aufnahme zu regeln. Sorge bereitet aus Sicht der Sozialhilfe die sehr tiefe Erwerbsquote von Flüchtlingen mit Bleiberecht.

Was Flüchtlinge dürfen

Grundsätzlich sei es wichtig, dass „Unternehmen Flüchtlinge flexibel und also ohne bürokratische Hürden, und vielleicht zu etwas tieferen Löhnen als Ansässige anstellen können“, fordert Michael Siegenthaler, der an der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) für den Bereich Arbeitsmarkt zuständig ist. Auch ein kurzes Asylverfahren trage erwiesenermaßen zu einer guten Arbeitsmarktintegration bei. Schließlich könnten Personen ohne Asylentscheid oft nicht arbeiten und werden aufgrund ihres ungeklärten Aufenthaltsrechts auch nicht von Unternehmen angestellt.

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Eine Studie des Staatssekretariats für Migration aus dem Jahr 2014 verdeutlicht die Probleme: Danach lag die Erwerbsbeteiligung von Flüchtlingen nach zwei bis drei Jahren gerade einmal bei 20 Prozent, nach sieben Jahren bei 40 Prozent.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: fehlende Sprachkenntnisse, fehlendes Netzwerk und die Nichtanerkennung vorhandener Abschlüsse. Hinzu kommen politische Hürden, etwa das Verbot, in einem anderen Kanton zu arbeiten, als in demjenigen, in welchem man wohnt. „Bei gewissen Aufenthaltskategorien von ehemaligen Flüchtlingen in der Schweiz war es lange Zeit gar nicht das Ziel, diese in den Arbeitsmarkt zu integrieren, da sie eigentlich nur vorübergehend hier bleiben sollen. Aber aus gesellschaftlicher Sicht hat es sehr große Kosten, Flüchtlinge nicht zu beschäftigen“, sagt Siegenthaler. Statt Steuern zu zahlen, beziehen sie dann Sozialhilfe – und das ist in der Politik angekommen, deshalb wollen sie und die zuständigen Behörden nun die Hürden abbauen.

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