Ein Punkt, der die Katalanen berechtigterweise erzürnt, ist die Steuerungerechtigkeit. „Das undurchsichtige System der Steuertransfers zwischen den spanischen Regionen ist verrückt“, sagt der spanische Ökonom Luis Garicano von der London School of Economics, der gegen die Unabhängigkeit Kataloniens plädiert. Die Regierung von Ministerpräsident Mas geht davon aus, dass Katalonien über den Länderfinanzausgleich pro Jahr 16 Milliarden Euro an andere Regionen Spaniens abtritt. Das entspricht etwa acht Prozent der katalanischen Wirtschaftsleistung.
Im Veneto ist es ebenfalls die wirtschaftliche Misere, die den Ärger über die Alimentation von anderen Landesteilen anschwellen lässt. „Die Menschen wollen vermutlich auch deshalb Unabhängigkeit, weil sie sich von der Krise erdrosselt fühlen“, sagt Luca Zaia, der Regionalpräsident des Veneto. Vor allem forderten die Menschen niedrigere Steuern. Zaia gehört zur Partei Lega Nord-Liga Veneta und war unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi italienischer Landwirtschaftsminister.
Von sieben Euro, die die Region an Steuern zahlt, fließen nur fünf Euro in öffentlichen Leistungen zurück, rechnen seine Leute vor. „Ministerpräsident Renzi sollte den Mut haben zu sagen, dass die Hälfte Italiens, nämlich der Süden, bankrott ist“, fordert Zaia. In Venedig und Umgebung fantasieren sie schon vom ungeteilten Reichtum. Als eigener Staat käme der Veneto auf das siebthöchste Pro-Kopf-Einkommen in der gesamten EU.
In Flandern ist die Unabhängigkeit im politischen Diskurs in der jüngsten Zeit zwar in den Hintergrund geraten. Aber viele Beobachter vermuten, dass N-VA-Parteichef Bart de Wever sich auf die Regierungsbeteiligung nur eingelassen hat, damit die Koalition scheitert und er den Beweis geliefert bekommt, dass Belgien als Ganzes nicht überleben kann. In der Zwischenzeit schürt seine Partei den Unmut über die Transfers aus dem reicheren flämischen Norden des Landes in den ärmeren französischsprachigen Süden. Seit der Krise seien die Zahlungen auf beinahe acht Milliarden Euro pro Jahr geschnellt, so die N-VA. Unabhängige Zahlen existieren nicht.
Kosten unterschätzt
Ein unfairer Finanzausgleich zwischen Regionen ist für den katalanischen Ökonomen Gerard Padró, der an der London School of Economics lehrt, einer der wichtigste Gründe für den Wunsch nach einem eigenen Staat: „Wer seine Regionen fair behandelt, muss Unabhängigkeitsbewegungen nicht fürchten.“
Daraus ergibt sich allerdings nicht zwangsläufig, dass es den Regionen als souveränen Einheiten besser ginge. So neigen die Befürworter der Unabhängigkeit dazu, den Preis der Trennung zu unterschätzen. Die katalanische Regierung geht in ihrem Weißbuch zu einem unabhängigen Staat davon aus, dass der Handel mit Spanien kurzfristig um nicht mehr als zwei Prozent des katalanischen Bruttoinlandsprodukts einbräche, was jedoch abgefangen würde, weil keine Steuer nach Madrid mehr abzuführen wäre.