Mails, in denen ihm Folter angedroht wird, leitet er an den Staatsschutz weiter – Zuschriften, in denen von Mord die Rede ist, ebenso. Aber dann sind da ja auch noch die vielen Klagen Jugendlicher, mit dem Ende von Youtube würde ihnen der Lebensmittelpunkt geraubt. Eine Schülerin schrieb Axel Voss, ohne Youtube könne sie künftig keine Hausaufgaben mehr machen.
Voss, 55 Jahre alt, randlose Brille, schütteres Haar, befindet sich im Zentrum dessen, was man auf Neudeutsch einen Shitstorm nennt. Der Rheinländer mit dem versöhnlichen Ton, der seit 2009 im Europaparlament sitzt, war bisher in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Das hat sich schlagartig geändert, seit Anfang des Monats zwei Videos im Netz auftauchten, die für 2019 fälschlicherweise das Ende von Youtube ankündigten. Seither wird der CDU-Politiker mit meist aggressiven Mails überschüttet, seine Mitarbeiter haben aufgehört zu zählen. Falls Voss es selbst noch nicht gemerkt haben sollte, ließ ihn einer der aufgebrachten Absender wissen, er sei „der am meisten gehasste Mann des Jahrhunderts“.
Warum schießt sich die Internetgemeinde – angeführt von Jugendlichen – auf einen bisher eher unauffälligen Europaabgeordneten ein? Jurist Voss, der dem CDU-Bezirk Mittelrhein vorsteht, ist Berichterstatter für die umstrittene Reform des europäischen Urheberrechts im Europäischen Parlament. Seine Internetadresse erschien in einem der Videos, das Jugendliche auf das angebliche Ende von Youtube einschwört.
Als Voss vor zwei Jahren die Federführung für die Copyright-Reform übernahm, die sein Parteifreund Günther Oettinger vorgeschlagen hatte – damals noch EU-Digitalkommissar – wusste er, dass er sich auf ein technisch komplexes Dossier einließ. Er wusste, dass das Thema politische Sprengkraft barg; etwa Oettingers Forderung nach einem europäischen Leistungsschutzrecht, das den US-Konzern Google wurmte und Europas Verleger freute. Aber dass ausgerechnet Artikel 13 der Richtlinie einen solchen kollektiven Aufschrei auslösen würde, damit hätte Voss nicht gerechnet: „In dieser Hässlichkeit hätte ich das nicht erwartet.“
Zumal die Empörung mit den Fakten nichts zu tun hat. Noch ist die Richtlinie nicht beschlossen, noch ringen das Europäische Parlament und die Europäischen Mitgliedsstaaten um eine Einigung. Ende November und am 13. Dezember sind Verhandlungen dazu geplant. Vielleicht kommt Anfang Dezember eine weitere Sitzung hinzu, weil die beiden Institutionen weit von einer Einigung entfernt sind.
Mitgliedsstaaten und Europäisches Parlament sind sich immerhin darin einig, Plattformen wie Youtube und Facebook stärker in die Haftung zu nehmen. „Wir wollen Rechteinhaber besser schützen“, sagt Voss. Bisher haften die Plattformen erst, wenn sie von einer Urheberrechtsverletzung in Kenntnis gesetzt werden. Künftig sollen sie grundsätzlich haften, wenn auf hochgeladenen Filmen gegen das Urheberrecht verstoßen wird, etwa wenn Ausschnitte aus kommerziellen Filmen oder Musik von Laien benutzt werden. Das Europäische Parlament hat explizit auf eine Verpflichtung von sogenannten Uploadfiltern verzichtet, wie sie die Mitgliedsstaaten fordern. Im Parlament herrscht die Befürchtung, dass diese Filter völlig legale Inhalte sperren würden. Youtube-Chefin Susan Wojcicki fordert nun solche Uploadfilter, da das Unternehmen einen solchen Filter für Inhalte wie Musik schon entwickelt hat und einen Vorsprung bei dem Thema hat. Youtube könnte die Filter in Zukunft womöglich an kleinere Plattformen verkaufen und ein gutes Geschäft damit machen. Wojcicki hat die Protestwelle ausgelöst, weil sie Ende Oktober in einem Blogbeitrag geschrieben hatte: „Diese Gesetzgebung stellt eine klare Bedrohung für euren Lebensunterhalt und eure Möglichkeit dar, euch weltweit Gehör zu verschaffen.“ Mehr brauchte es nicht, um eine Welle der Empörung auszulösen.
Youtube folgte damit den Konzernen Google und Facebook, die im Sommer eine Kampagne ausgelöst hatten, die dazu führte, dass sich keine Mehrheit der Abgeordneten fand, die die Urheberrechtsverhandlung mit den Mitgliedsstaaten zu Ende verhandeln wollte. „Wir wurden bedroht, beschimpft und beleidigt“, sagt Voss über die 60.000 Emails, die damals in zwei Wochen eingingen.
Die Kampagnen zeigen, wie leicht es in Zeiten von Social Media ist, Menschen zu mobilisieren – losgelöst vom Sachstand. Voss ist skeptisch, ob sich die Debatte versachlichen lässt: „Das Misstrauen gegenüber der Politik ist groß.“
Wie Oettinger erlebt Voss, dass die Netzgemeinde mit großem Argwohn verfolgt, wenn Juristen sich daranmachen, das Internet zu regulieren. Das berechtigte Anliegen, Rechteinhaber zu schützen, wird dabei schnell in die Nähe von Zensur gerückt. Kritiker haben Voss nicht nur mangelnde Affinität zum Internet vorgeworfen, sondern auch mangelnde Kompetenz.
Ein bisschen will sich Voss nun doch zur Wehr setzen. In der kommenden Woche will er ein Video ins Netz stellen, in dem er den Sachverhalt aufklären will. Allerdings macht er sich keine großen Hoffnungen, dass er damit Gehör finden wird: „Es wird zerrissen werden.“