Auf den Alltag von Eronen hat das Grundeinkommen bislang keine Auswirkungen. Sie steht jeden Tag um viertel nach sechs auf. Dann frühstückt sie mit ihrer Familie, bis ihr Mann die Tochter in den Kindergarten bringt. Den Vormittag über ist sie alleine – die einzige Zeit, die sie für ihr Studium hat. Meist schafft sie jedoch nicht alles, was sie sich vornimmt. Es sind Tage wie heute. Sie hat gerade einen Aufsatz zur Hälfte durchgearbeitet, als sie aufbrechen muss, um ihre Tochter abzuholen. Dann die üblichen Erledigungen: für das Abendessen einkaufen, Zahnarzt, nach neuen Schuhen für die Kleine schauen. Wenn sie zu Hause sind, ist der halbe Nachmittag oft schon rum. Ein Alltag wie in vielen Familien.
Nettoeinkommen bei verschiedenen Grundeinkommens-Modellen
Diese Statistik gibt Nettoeinkommen eines Singles bei verschiedenen ausgewählten Grundeinkommens-Modellen im Vergleich wieder.
Quelle: Netzwerk Grundeinkommen / Statista
Bruttoeinkommen heute: 0 Euro
Netto heute: 631 Euro*
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 600 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 950 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 860 Euro
*Dem "Nettoeinkommen heute" bei einem Bruttoeinkommen von 0 Euro wurden die durchschnittlichen Kosten für Unterkunft und Heizung eines Singles von 280 Euro (Bundesagentur für Arbeit, 2007) zugrunde gelegt.
Bruttoeinkommen heute: 500 Euro
Netto heute: 807 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 850 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 1.218 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 930 Euro
Bruttoeinkommen heute: 750 Euro
Netto heute: 857 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 975 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 1.351 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 965 Euro
Bruttoeinkommen heute: 1.000 Euro
Netto heute: 887 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 1.100 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 1.485 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 1.000 Euro
Bruttoeinkommen heute: 1.500 Euro
Netto heute: 1.059,35 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 1.350 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 1.710 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 1.250 Euro
Bruttoeinkommen heute: 2.000 Euro
Netto heute: 1.319,63 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 1.700 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 1.923 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 1.500 Euro
Bruttoeinkommen heute: 2.500 Euro
Netto heute: 1.568,92 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 2.075 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 2.126 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 1.750 Euro
Bruttoeinkommen heute: 3.000 Euro
Netto heute: 1.804,67 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 2.450 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 2.318 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 2.000 Euro
Bruttoeinkommen heute: 4.000 Euro
Netto heute: 2.271,08 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 3.200 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 2.668 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 2.500 Euro
Bruttoeinkommen heute: 5.000 Euro
Netto heute: 2.797,41 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 3.950 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 2.975 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 3.000 Euro
Bruttoeinkommen heute: 7.000 Euro
Netto heute: 3.915,43 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 5.450 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 3.545 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 4.000 Euro
Bruttoeinkommen heute: 10.000 Euro
Netto heute: 5.586,13 Euro
Netto Solidarisches Bürgergeld (Althaus, CDU): 7.700 Euro
Netto Bedingungsloses Grundeinkommen (Die Linke): 4.400 Euro
Netto Grundsicherung (Grüne): 5.500 Euro
Und doch machen die 560 Euro einen Unterschied. Denn jede Minute übrig gebliebener Zeit kann sie nun nutzen, wie sie will: Arbeitet sie, geht das ohne Abzüge. Bleibt sie zu Hause, geht das ohne Existenzangst. „Früher dachte ich bei einem Zehn-Stunden-Job: Was soll ich damit? Ich hätte Quittungen aufheben müssen, das wäre mir von der Unterstützung abgezogen worden“, sagt sie. „Jetzt ist jeder verdiente Euro ein Euro mehr.“
Anreize durch Grundeinkommen
Die Experimentleiterin beobachtet diesen Effekt bei den meisten Probanden. „Wir sehen jetzt schon, dass viele zusätzliche Jobs annehmen“, sagt Toronen. Damit zahlen die einstigen Arbeitslosen auf einmal mehr Steuern und geben mehr Geld für Konsum aus. „Viele haben auch ein Unternehmen gegründet. Sie hätten sich das vorher nicht getraut, weil sie keine finanzielle Absicherung hatten“, sagt die Juristin.
Der Ökonom Ernst Fehr gehört zu den Wirtschaftswissenschaftlern, die untersuchen, wie sich Menschen verhalten, wenn es um Geld geht. Das finnische Experiment habe zunächst eindeutige Auswirkungen auf die Psyche der Teilnehmer. „Was man definitiv sagen kann, ist: Die Menschen sind weniger gestresst und dadurch zufriedener“, sagt er.
Fehr bezeichnet die Wirkung des Grundeinkommens auf Arbeitslose als Anreizeffekt: „Vorher haben sie Geld verloren, wenn sie Arbeit angenommen haben. Die Menschen sind nun aber eher geneigt, eine Arbeit anzunehmen.“ So spielt das Grundeinkommen einen Teil des Geldes, das es kostet, gleich wieder ein. Ein Nebeneffekt, der mittlerweile viele Liberale zu Freunden des Grundeinkommens macht.
Denn in der derzeitigen Gemengelage ist kaum noch überschaubar, wer nun eigentlich für und wer gegen ein Grundeinkommen ist. Während viele Techunternehmer dafür sind, sind die Arbeitgeberverbände dagegen und finden sich hier in ungewohntem Schulterschluss mit den Gewerkschaften, die die Idee ebenfalls ablehnen. Von CDU-Politiker Dieter Althaus kommt sogar ein eigenes Modell zur Finanzierbarkeit des Grundeinkommens, während die Grünen eher unentschlossen sind. Die FDP hingegen will immer mal wieder mit dem liberalen Bürgergeld den Sozialstaat verschlanken, und die Linke ist derweil komplett uneins in der Diskussion.
Selbst Nutznießerin Eronen ist hin und her gerissen: „Ich befürchte, viele Unternehmen könnten das Grundeinkommen nutzen, um Löhne zu drücken“, sagt sie. Es habe ja jeder genug zum Leben.
Gleichzeitig ist sie davon überzeugt, dass Menschen immer den Antrieb haben, mehr zu arbeiten. Das Geld vom Staat decke schließlich nur die Grundbedürfnisse. „Es wird immer Menschen geben, die mehr haben wollen. Jeder will doch seine Situation und sein Leben verbessern“, sagt Eronen.
Momentan lebt die Familie in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung am Stadtrand. Sie träumt davon, irgendwann mit ihrer Familie in ein größeres Haus zu ziehen, vielleicht sogar ein eigenes. Auch das ist für sie ein Antrieb, möglichst bald wieder zu arbeiten. „Zu Hause bleiben ist für mich keine Option. Da wäre mir langweilig, und außerdem wäre das doch verschenktes Potenzial“, sagt sie. In zwei Jahren wird sie ihr Studium abgeschlossen haben. Danach würde sie am liebsten Suchtkranke oder Flüchtlinge unterstützen.