Sozialstaat Finnland testet bedingungsloses Grundeinkommen

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Vollkommene Emanzipation des Menschen

„Es ist einfach gut, dass es nun endlich Daten darüber geben wird, wie sich ein Grundeinkommen tatsächlich auswirkt“, sagt Ökonom Fehr. Er selbst gehört eher zu den Skeptikern: „Falls so ein System flächendeckend eingeführt wird, erwarte ich, dass sich eine Subkultur bildet, die nur von Grundeinkommen und ein bisschen Schwarzarbeit leben wird. Und selbst wenn das nur ein Zehntel der Gesellschaft ist, unterminiert das die Akzeptanz des Sozialstaats in der Bevölkerung.“ Arbeiten für andere – das funktioniere in westlichen Gesellschaften nur, wenn der andere eigentlich auch arbeiten will.

Und deshalb wird Juha Järvinen oft angefeindet. Er sei ein „fauler Hippie“, er lebe „auf Kosten anderer“, und ohnehin sei er „selbst schuld“, wenn er vier Kinder in die Welt setze und dann keinen Job annimmt.

Sein Haus ist eine Mischung aus Villa Kunterbunt und Aussteigertraum mitten im nordfinnischen Wald, die nächste größere Stadt ist eine Autostunde entfernt. „Es ist nicht so, dass ich nicht arbeiten will. Doch hier gibt es keine Jobs“, sagt er. Zumindest keine, die mehr sind als „Hauptsache, Arbeit“. Schließlich sollte er einen Ein-Euro-Job in einer Putzfirma annehmen. „Sklavenarbeit“ nennt er das.

von Dieter Schnaas, Simon Book, Max Haerder, Mona Fromm

Humanisten in der Tradition von Erich Fromm sehen das Grundeinkommen als vollkommene Emanzipation des Menschen. Fromm argumentierte 1966, dass in einer Gesellschaft des Überflusses niemand mehr vom Hungertod bedroht sein müsse und damit aus der Psychologie der Angst befreit werden könne. Letztere sei schließlich der Grund, warum die Menschen Arbeitsbedingungen annehmen, die sie nicht möchten. „Ein garantiertes Einkommen könnte den Menschen zum ersten Mal von wirtschaftlicher Bedrohung wahrhaft frei und unabhängig machen“, schrieb der Sozialpsychologe.

Järvinen hat vor einigen Wochen zum ersten Mal seine alte Werkstatt wieder betreten. Er nutzt sie nun für sein neuestes Projekt. Er hat sich beigebracht, wie man Trommeln baut, aus Holz und Rentierhaut. Manche verkauft er für 900 Euro. Um das Holz in eine runde Form zu biegen, muss es heiß sein. Doch Järvinen hatte keinen Topf, um die meterlangen Bretter zu erhitzen. So hat er eine eigene Technik entwickelt: Er umwickelt das Material mit Alufolie und legt es für eine Viertelstunde auf den Ofen. Diese Idee passt zu der Arbeitsdefinition des Sozialwissenschaftlers Manfred Füllsack. Der Österreicher bezeichnet Arbeit als den Versuch, Probleme zu lösen. Und damit ist auch das Grundeinkommen vor allem eines: Arbeit.

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