Die EU-Kommission muss Bürgerinitiativen wie „Stop TTIP“ offiziell zulassen. Die Ablehnung der Kampagne im Jahr 2014 sei rechtswidrig gewesen, urteilte das EU-Gericht in Luxemburg am Mittwoch. Wie die Richter ausführten, stellt das Engagement der Bürger keine unzulässige Einmischung in die Vorbereitung des transatlantischen Freihandelsabkommens mit den USA dar. Sie befanden im Gegenteil sogar, dass die Initiative zur rechten Zeit eine legitime demokratische Debatte auslöse.
Die EU-Kommission hatte 2014 eine Registrierung der Bürgerinitiative verweigert, die sich außer gegen TTIP auch gegen das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, Ceta, gewendet hatte. Die Behörde argumentierte unter anderem, dass Bürgerinitiativen nicht fordern könnten, ein bereits eingeleitetes Verfahren rückgängig zu machen. Diese Sichtweise wies das EU-Gericht nun zurück.
Mit der Initiative wollten die Bürger erreichen, dass sich die Kommission für ein Ende der TTIP- und der Ceta-Verhandlungen einsetzt. Konkret sollte sie die Mitgliedstaaten dazu auffordern, ihr das Mandat für die Gespräche mit den USA und Kanada wieder zu entziehen. Die Brüsseler Behörde war zuvor von den EU-Nationen beauftragt worden, die jeweiligen Verhandlungen in ihrem Namen zu führen.
Wissenswertes zum internationalen Handel
Die Frage, ob Handel gut oder schlecht ist, gilt in der Volkswirtschaftslehre längst als geklärt. Eine weit überwiegende Mehrheit von Ökonomen vertritt die Meinung, dass internationale Arbeitsteilung nützlich ist und den Wohlstand steigert. Indes unter einer wichtigen Voraussetzung: Die Regeln müssen fair sein, damit das Kräfteverhältnis zwischen den Handelspartnern nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Das kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden - nachfolgend eine Übersicht.
Einfache Handelsverträge etwa zwischen zwei Ländern sind die unkomplizierteste Form von Handelsabkommen. Im Gegensatz etwa zu multilateralen Vereinbarungen sind nur zwei Parteien an den Verhandlungen beteiligt, was eine Einigung deutlich vereinfacht. Zudem geht es bei solchen Verträgen meistens nur um Handelsströme, insbesondere die Höhe von Zöllen. Andere Fragen wie Umweltstandards werden meist ausgeklammert. Das führt jedoch zum größten Nachteil solcher Abkommen: Von ihnen kann nicht erwartet werden, dass sie zwei Wirtschaftsräume umfassend miteinander verbinden, weil viele Fragen ungeklärt bleiben.
Wollen zwei oder mehr Länder über den Tausch von Waren und Dienstleistungen hinausgehen und ihre wirtschaftlichen Beziehungen umfassend regeln, werden die benötigten Abkommen umfangreicher und komplexer. Beispiele sind das zwischen der EU und den USA angedachte TTIP, das asiatisch-pazifische Abkommen TPP oder das asiatische Freihandelsprojekt RCEP. Derartige Abkommen regeln nicht nur Handelsfragen oder Zölle. Vielmehr geht es auch um Fragen des Verbraucherschutzes, der Umweltverträglichkeit von Waren und Diensten, den Schutz von Unternehmensinvestitionen oder die Angleichung von Produktstandards. Die Länder versprechen sich davon einen noch reibungsloseren Handel und mehr Wohlstand.
Eine Steigerung zu TTIP & Co. sind feste Verbünde aus mehreren souveränen Staaten. Als Paradebeispiel gilt die Europäische Union (EU), die nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine - wenn auch unvollendete - politische Union ist. Die Beziehungen der Länder sind über den EU-Vertrag geregelt. Der gemeinsame Binnenmarkt der EU verfügt über weitgehende Bewegungsfreiheit von Gütern, Dienstleistungen, Arbeitnehmern und Kapital. Auch sind viele rechtliche Fragen stark angeglichen, was Kritikern mitunter zu weit geht. Großbritannien bemängelte die Vereinheitlichung schon lange, beschloss den Austritt aber vor allem wegen des Zustroms ausländischer Arbeitskräfte. Wie kompliziert ein Abschied aus einem Wirtschaftsverbund ist, wird der Brexit zeigen.
Die WTO ist quasi eine Dachorganisation für den Welthandel. Ihr gehören 164 Mitgliedsländer an, darunter die Staaten der Europäischen Union, die USA und China. Die WTO als Handelsverbund zu bezeichnen, ginge viel zu weit. Vielmehr soll die Organisation die allgemeinen Regeln für den Handel überwachen und weiterentwickeln. Der Einfluss der WTO auf ihre Mitglieder ist indes begrenzt und basiert vor allem auf Kooperation. Eigene Sanktionsmittel im Falle des Regelbruchs hat die WTO im Grunde nicht.
Mit der Globalisierung galt der Protektionismus eigentlich als überwunden. Er ist das Gegenteil von Freihandel, weil dabei versucht wird, sich nach außen abzuschotten. Dazu dienen hohe Einfuhrzölle und -verbote, verbunden mit der Subventionierung eigener Exporte. Protektionismus kennt nach ökonomischer Lehre keine Gewinner, weil meist Vergeltungsmaßnahmen ergriffen werden. Ergebnis ist ein kleineres und teureres Güterangebot, das den Wohlstand verringert. Dennoch will US-Präsident Donald Trump der amerikanischen Industrie zu neuem Glanz verhelfen, indem er sie vor ausländischer Konkurrenz schützt. Kritiker wenden ein, dass nicht nur die Globalisierung, sondern auch die fortschreitende Technisierung für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich sei.
Die Organisatoren der Initiative begrüßten am Mittwoch das Urteil. „Die Ablehnung unserer Initiative durch die Kommission war willkürlich und politisch motiviert“, teilte Michael Efler von „Stop TTIP“ mit. Sein Kollege Karl Bär ergänzte: „Nach dem heutigen Urteil verdienen die 3,3 Millionen EU-Bürger mindestens eine Anhörung vor dem Europäischen Parlament.“ So viele Menschen hätten bei ihrer Unterschriftenaktion mitgemacht.
Bär kritisierte, dass es mehr als zwei Jahre gedauert habe, bis ein Urteil gefällt wurde. „In der Zwischenzeit wurde Ceta vom Rat und dem Europäischen Parlament verabschiedet.“
Bei TTIP liegen die Verhandlungen derzeit auf Eis. Grund ist der Machtwechsel in den USA. Präsident Donald Trump steht Freihandelsabkommen äußert kritisch gegenüber.
Die EU-Kommission muss nun allerdings damit rechnen, auch bei anderen Verhandlungen mit Bürgerkampagnen konfrontiert zu werden. Mit offiziell registrierten europäischen Bürgerinitiativen haben EU-Bürger die Möglichkeit, eigene Themen auf die Tagesordnung der EU-Kommission zu setzen. Sie benötigen dafür eine Million Unterschriften.