20 Millionen Euro, die hier fehlen, 50 Millionen Euro da, 10 Millionen Euro dort. Albert Peters kennt das inzwischen zur Genüge. Stets muss er die gleiche Frage verunsicherter Unternehmer beantworten. „Wo geht es hin mit Spanien?“, zitiert der Wirtschaftsprüfer und Anwalt, der für die Kanzlei Rödl & Partner von Barcelona aus Firmenkäufe und die Gründung von Niederlassungen in Spanien begleitet. Oder es, besser gesagt, gerne tun würde. „Die Unternehmer stellen keine politischen Bedingungen. Sie könnten sich auch mit einer Linksregierung arrangieren. Gift ist dagegen diese Unsicherheit. Denn Unsicherheit bedeutet Stillstand.“
Das Gift dürfte sich noch eine Weile ungehindert ausbreiten. Die ursprünglich für die letzte Juli-Woche geplante und dann auf die ersten August-Tage verschobene Abstimmung im Parlament über einen neuen Regierungschef ist erst einmal abgesagt.
Bei einem Treffen mit König Felipe VI. nahm der Vorsitzende der konservativen Partido Popular (PP) zwar den Auftrag zur Regierungsbildung an. Rajoy ließ aber in der anschließenden Pressekonferenz offen, ob er sich der Abstimmung stellen werde. Wie bereits in den Monaten nach der ersten Parlamentswahl vom 20. Dezember finden sich nämlich auch nach der Neuwahl vom 26. Juni nicht genügend Unterstützer im Abgeordnetenhaus, um Rajoy oder alternativ Pedro Sánchez von der Arbeiterpartei PSOE ins Amt zu hieven.
„Ein Kompromiss wird weder schnell noch einfach zu finden sein“, sagt Pau Vall i Prat. „Selbst wenn es gelingt, eine Minderheitsregierung zu bilden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie keine volle Legislaturperiode durchhält. So oder so steuern wir also über kurz oder lang auf Neuwahlen zu.“ Der Politologe sitzt in seinem Büro der jungen Universität Pompeu Fabra im ehemaligen Industrieviertel Poblenou von Barcelona, wo Stararchitekten in den Jahren des Baubooms zahlreiche spektakuläre Gebäude errichteten. Als die Blase platzte, zerbarst auch die bequeme Tradition des spanischen Zwei-Parteien-Systems, das seit dem Ende der Diktatur 1975 fraglos entweder PP oder PSOE an die Macht brachte.
Jeder schaut nur auf seinen eigenen Bachnabel
Eine moralische Verpflichtung zu Koalitionsvereinbarungen kennt die junge spanische Demokratie nicht. „Die Parteien schauen nur auf ihren Bauchnabel“, ärgert sich deshalb die emeritierte Moralphilosophin Victoria Camps. „Sie fechten Kämpfe untereinander aus, die nichts mit dem Gemeinwohl zu tun haben.“
Hohe Arbeitslosenquote und ein Heer an Geringverdienern
Dabei sollten sie eigentlich die zwar sinkende, aber mit aktuell 20 Prozent immer noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen. Vor allem die große Zahl der Langzeitarbeitslosen und das Heer der Geringverdiener in befristeten Jobs warten auf eine Regierung, die mit einer attraktiven Unternehmenspolitik die Schaffung qualitativ hochwertiger Stellen begünstigt. Die EU-Kommission dringt auf weitere Sparmaßnahmen, um das Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen. Vor allem die Ausgabenpolitik in den 17 autonomen Regionen steht dabei im Fokus. Bis zum 15. Oktober verlangt Brüssel die Vorlage des Budgets für 2017. Wie aber soll das gehen, ohne Regierung?