Spanien Arbeiten wird zur Ausnahme

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Lieber eine Linkskoalition als gar keine Regierung

20 Millionen Euro, die hier fehlen, 50 Millionen Euro da, 10 Millionen Euro dort. Albert Peters kennt das inzwischen zur Genüge. Stets muss er die gleiche Frage verunsicherter Unternehmer beantworten. „Wo geht es hin mit Spanien?“, zitiert der Wirtschaftsprüfer und Anwalt, der für die Kanzlei Rödl & Partner von Barcelona aus Firmenkäufe und die Gründung von Niederlassungen in Spanien begleitet. Oder es, besser gesagt, gerne tun würde. „Die Unternehmer stellen keine politischen Bedingungen. Sie könnten sich auch mit einer Linksregierung arrangieren. Gift ist dagegen diese Unsicherheit. Denn Unsicherheit bedeutet Stillstand.“

Das Gift dürfte sich noch eine Weile ungehindert ausbreiten. Die ursprünglich für die letzte Juli-Woche geplante und dann auf die ersten August-Tage verschobene Abstimmung im Parlament über einen neuen Regierungschef ist erst einmal abgesagt.

Die größten Schuldenstaaten
Die größten SchuldenstaatenPlatz 10: Spanien (0,73 Billionen Euro)Harte Zeiten kündigte der zukünftige spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy nach seinem Wahlsieg am 20. November an. In der zweiten Dezemberhälfte übernimmt der Vorsitzende der spanischen Volkspartei das Land mit der weltweit zehntgrößten Schuldenmenge: 733,2 Milliarden Euro wird die Staatsverschuldung Spaniens 2011 laut Internationalem Währungsfonds (IWF) erreichen. Damit steigen die Schulden verglichen zu 2010 um 14,4 Prozent (639 Milliarden Euro). Spanien hat seit 2009 schon vier Banken verstaatlicht, die von faulen Immobilienkrediten infolge eines Baubooms betroffen waren. Zuletzt bekam die Banco de Valencia am 21. November 2011 eine Kapitalspritze von drei Milliarden Euro von der spanischen Zentralbank am Montag mitteilte, die damit auch die Kontrolle über das Kreditinstitut übernahm. Quelle: dpa
Platz 9: China (0,799 Billionen Euro)Während die EU-Staaten gerade China um Milliardeninvestitionen für ihren EFSF-Rettungsschirm bitten, kämpft das Reich der Mitte selbst mit einer Schuldenkrise und einem deutlich langsameren Wachstum. Mit seinen 799 Milliarden Euro im Jahr 2010 ist China das Land mit den weltweit neuntgrößten Schulden. Diese sind zuletzt durch ein milliardenschweres Konjunkturprogramm gewachsen. Hinzu kommen hohe Schulden lokaler Regierungen und ein Schattenbankensystem, das sich seit zwei Jahren stark entwickelt hat. Zwischen zehn und 20 Prozent aller neuen Kredite stammen nach Schätzungen aus einem informellen Kreditmarkt, ein Geflecht von Unternehmen, Investoren, illegalen Geldverleihern oder auch Kredithaien. Quelle: dpa
Platz 8: Indien (0,9 Billionen Euro)Mit seinen 900 Milliarden Euro an Staatsschulden im Jahr 2010 landet das Schwellenland Indien auf Platz 8 der Länder mit den weltweit höchsten Schuldenmengen. Die Schulden machen 64 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) aus. Quelle: REUTERS
Platz 7: Großbritannien (1,4 Billionen Euro)1,4 Billionen Euro wird die Staatsverschuldung Großbritanniens laut IWF im Jahr 2011 betragen. Das sind 5,8 Prozent mehr als im Vorjahr, wo die Schuldenmenge noch 1,35 Billionen Euro betrug. Damit werden sie dieses Jahr 80,76 Prozent des britischen BIP erreichen. Quelle: dpa
Platz 6: Frankreich (1,73 Billionen Euro)Frankreichs AAA-Rating ist in Gefahr: Grund sind steigende Renditen für französische Staatsanleihen, die etwa mit 3,48 Prozent für Zehn-Jahres-Anleihen (22. November) nicht mehr auf AAA-Niveau liegen. Die Ratingagentur Moody’s hatte deshalb am Tag zuvor gewarnt, dass dies höhere Risiken für den Haushalt, sowie schlechtere Aussichten auf das Wirtschaftswachstum bedeutet. Am Ende könnte daher das Top-Rating kippen. Laut IWF werden die französischen Staatsschulden dieses Jahr um 8,5 Prozent auf 1,73 Billionen Euro steigen. Das macht 86,81 Prozent am BIP aus. Quelle: dpa
Platz 5: Brasilien (1,82 Billionen Euro)Mit seinen 1,82 Billionen Euro im Jahr 2010 hat Brasilien den weltweit fünfthöchsten Berg an Staatsschulden angesammelt. Der Betrag macht 66,84 Prozent am BIP aus. Die Quote soll laut IWF dieses Jahr auf 64,98 Prozent sinken. Quelle: REUTERS
Platz 4: Italien (1,92 Billionen Euro)Die Hauptaufgabe des neuen italienischen Ministerpräsident Mario Monti ist es, sein Land aus der Schuldenkrise zu führen. Der IWF prognostiziert, dass sich Italien dieses Jahr insgesamt 121,07 Prozent seines BIP geliehen haben wird. Die Staatsschulden sollen 2011 um 4,4 Prozent auf 1,92 Billionen Euro ansteigen. Im Vorjahr waren es noch 1,84 Billionen. Damit ist der Euro-Krisenstaat dass Land mit den weltweit vierthöchsten Staatsschulden. Quelle: dpa

Bei einem Treffen mit König Felipe VI. nahm der Vorsitzende der konservativen Partido Popular (PP) zwar den Auftrag zur Regierungsbildung an. Rajoy ließ aber in der anschließenden Pressekonferenz offen, ob er sich der Abstimmung stellen werde. Wie bereits in den Monaten nach der ersten Parlamentswahl vom 20. Dezember finden sich nämlich auch nach der Neuwahl vom 26. Juni nicht genügend Unterstützer im Abgeordnetenhaus, um Rajoy oder alternativ Pedro Sánchez von der Arbeiterpartei PSOE ins Amt zu hieven.

„Ein Kompromiss wird weder schnell noch einfach zu finden sein“, sagt Pau Vall i Prat. „Selbst wenn es gelingt, eine Minderheitsregierung zu bilden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie keine volle Legislaturperiode durchhält. So oder so steuern wir also über kurz oder lang auf Neuwahlen zu.“ Der Politologe sitzt in seinem Büro der jungen Universität Pompeu Fabra im ehemaligen Industrieviertel Poblenou von Barcelona, wo Stararchitekten in den Jahren des Baubooms zahlreiche spektakuläre Gebäude errichteten. Als die Blase platzte, zerbarst auch die bequeme Tradition des spanischen Zwei-Parteien-Systems, das seit dem Ende der Diktatur 1975 fraglos entweder PP oder PSOE an die Macht brachte.

Jeder schaut nur auf seinen eigenen Bachnabel

Eine moralische Verpflichtung zu Koalitionsvereinbarungen kennt die junge spanische Demokratie nicht. „Die Parteien schauen nur auf ihren Bauchnabel“, ärgert sich deshalb die emeritierte Moralphilosophin Victoria Camps. „Sie fechten Kämpfe untereinander aus, die nichts mit dem Gemeinwohl zu tun haben.“

Hohe Arbeitslosenquote und ein Heer an Geringverdienern

Dabei sollten sie eigentlich die zwar sinkende, aber mit aktuell 20 Prozent immer noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen. Vor allem die große Zahl der Langzeitarbeitslosen und das Heer der Geringverdiener in befristeten Jobs warten auf eine Regierung, die mit einer attraktiven Unternehmenspolitik die Schaffung qualitativ hochwertiger Stellen begünstigt. Die EU-Kommission dringt auf weitere Sparmaßnahmen, um das Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen. Vor allem die Ausgabenpolitik in den 17 autonomen Regionen steht dabei im Fokus. Bis zum 15. Oktober verlangt Brüssel die Vorlage des Budgets für 2017. Wie aber soll das gehen, ohne Regierung?

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