“As soon as you set foot in Andalucia, you leave part of yourself behind- you become your best you” – so wirbt die südspanische Region im Ausland für ihren Tourismus. Dieser Slogan (“Sobald du Andalusien betrittst, lässt du ein Teil von dir zurück und kehrst das Beste aus dir heraus”) hat inzwischen einen bitteren Nachgeschmack bekommen. Viele der eigenen Landsleute glauben, dass man eher schlechter wird, wenn man Andalusien betritt. Denn seit Jahren reißen die Korruptionsfälle in der Region nicht ab. Subventionsbetrug und Missbrauch von EU-Geldern sind an der Tagesordnung bzw. kommen durch die wirtschaftliche Krise bedingte höhere Sensibilität der Bevölkerung verstärkt in die Medien. “Über Jahre hat man diese Dinge totgeschwiegen. Eine Hand hat die andere gewaschen”, sagt Jesús Lizcano von der spanischen Niederlassung der Organisation Transparency International.
Jetzt kämpft unter anderen die andalusische Richterin Mercedes Carmen Alaya Rodríguez gegen den Sumpf aus politischen Machtsystem und unternehmerischer Korruption an. “Es haben sich regelrechte Systeme etabliert, wo immer von einer Hand in die andere gewirtschaftet wird, ohne dass irgendetwas Produktives dafür getan wird”, sagt der dort tätige Agronom Rafael Álvarez. Das habe die bei den Deutschen wegen Städten wie Marbella und Malaga so beliebte Region wirtschaftlich zurück geworfen.
Jetzt kam erneut ein großer Skandal vors Gericht, es geht um den Betrug bei Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen: Nach den Skandalen um falsche betriebsbedingte und von der andalusischen Regionalregierung mitfinanzierten Entlassungen (ERE-Skandal), wo rund 1,4 Milliarden Euro aufgrund von nicht existierenden Firmen bzw. Mitarbeitern in die falschen Taschen gelangten, macht die Region seit Monaten mit einer Veruntreuung von öffentlichen Geldern im Bereich Ausbildung und Weiterbildung negative Schlagzeilen. Eine Sondereinheit der Polizei untersucht die mögliche Veruntreuung von rund zwei Milliarden Euro. Besonders traurig: Der Bärenanteil dieses Geldes kommt aus der EU, die damit auch gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit von 55 Prozent ankämpfen wollte.
“Manchmal hat man den Eindruck, dass man einem Ausländer mehr vertrauen kann als seinen eigenen Leuten”, sagt José López, andalusischer Oliven-Landwirt und Vorsitzender der kulturellen Bürger-Vereinigung Amici, in dem malerischen Städtchen Alcalá la Real. Wie viele Spanier glaubt er, dass sein Land keinen Pfennig mehr bekommen sollte, wenn die Nutzung der Mittel nicht besser kontrolliert werde. Andalusien ist seiner Meinung nach nur eines der vielen spanischen Epizentren in Sachen Korruption. López, der immer wieder ausländische Redner nach Alcalá la Real einlädt, um zu erfahren, wie man anderswo über Spanien denkt, hofft, dass Länder wie Deutschland das Ruder rumreißen: “Die Hilfe, das heißt eine stärkere Kontrolle muss von außen kommen, innendrin verdirbt gerade alles.”
Bildung wird mit Füßen getreten
Aber es ist nicht nur Andalusien in Korruption um Ausbildungsgelder verwickelt, sondern auch die Autonome Regionalregierung Madrid, Handelskammern und das Arbeitsministerium. Allerdings sitzt der Hauptschuldige in dem Betrugsfall ebenfalls wieder in Andalusien, in Cordoba. Es handelt sich um das Unternehmen Sinergia Empresarial (unternehmerische Synergie), das alle Arten von betriebsinternen Weiterbildungs-Kursen angeboten hat, dafür Subventionen vom Staat oder den Regionalregierungen kassiert hat, aber kaum etwas dafür geleistet hat. Schülerlisten, Kursprogramme alles war gefälscht. Die Stundenzahlen wurden bei den angebotenen Paketen nicht eingehalten und die Schülerzahlen nach oben frisiert. Komisch, aber scheinbar hat das jahrelang keiner gemerkt.
“Der Missbrauch von Subventionen und EU-Gelder für betriebliche Fortbildung oder das Training von Arbeitslosen ist seit Jahrzehnten ein Problem, jetzt wird allerdings öffentlich gemacht und geahndet”, sagt Javier Morillas, Wirtschaftsdozent an der Universität San Pablo CEU in Madrid. Nach dem Skandal um die Stiftung Forcem (Fundación para la formación continua), die in den 90er Jahren und Anfang 2000 EU-Gelder in Höhe von 100 Mio. EUR veruntreute, kam in Madrid der Fall Imefe ans Licht. Hier war die derzeit regierende Partei PP mit verwickelt. In anderen Fällen wurden mit den Geldern Gewerkschaften und Parteien finanziert. Wie im Jahr 1999 über die Akademie Fidel Pallerols die christliche katalanische Partei CIU. Und man könnte endlos weitere Fälle aufzählen. “Der spanische Rechnungshof hat komplett versagt”, sagt Victoriano Ramírez, Politologe an der Universität von Granada. Es zeige, dass Bildung in Spanien mit Füssen getreten werde, sich nicht lohne und man scheinbar auch das Geld lieber in andere Dinge steckt als in die Weiterbildung.
Dabei bewegt der Markt in Spanien aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation jährlich Milliarden EUR. Seit dem Jahr 2005 wurden von verschiedenen öffentlichen Stellen in Spanien insgesamt rund 21 Mrd. EUR an Hilfen für den Ausbildungs- und Weiterbildungssektor bereitgestellt, rechnet man die Reduzierung von Sozialversicherungsbeiträgen, Subventionen, Steuererleichterungen etc. hinzu. “Aber zumindest werden jetzt mal einige der Schuldigen hinter Gittern gebracht”, sagt Abegg.
Die spanische Arbeitsmarktreform
Bis 2012 mussten einem Angestellten in Spanien bei grundloser Kündigung eine Abfindung von 45 Tageslöhnen pro Jahr im Unternehmen gezahlt werden. Die konservative Regierung reduzierte diese Abfindung auf 20 Tageslöhne und legte für die Zahlungen zudem eine neue Höchstdauer von 24 im Unterschied zu davor 41 Monaten fest.
Lange unterteilte der Arbeitsmarkt in Spanien sich vor allem in zwei Fraktionen: Eine „Elite“ nahezu unkündbarer Festangestellter und Angerstellten, die sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangelten. Die Einführung eines neuen, flexibleren Kündigungsrecht erlaubte 2012 erstmals auch das Aussprechen betriebsbedingter Kündigungen bei sinkenden Unternehmensumsatz.
Gleichzeitig wurden auch Gehälter variabler gestaltet. Unternehmen erhielten die Möglichkeit, in Absprache mit den Mitarbeitern Löhne und Arbeitszeiten individuell zu vereinbaren - ohne sich an die geltenden Tarifverträge halten zu müssen.
Weil in Spanien besonders viele junge Menschen arbeitslos sind, zahlt der Staat Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern eine Prämie. Pro eingestelltem 16-30-Jährigen gibt es bis zu 3300 Euro, für Frauen im gleichen Alter bekommt die Firma sogar bis zu 3600 Euro.
Besonders betroffen von der schlechten Wirtschaftslage sind auch die älteren Arbeitslosen. Die Regierung zahlt daher jedem Unternehmen, das einen über 45-jährigen Spanier einstellt, bis zu 3900 Euro (für Frauen bis zu 4500 Euro). Der neue Mitarbeiter muss in den 18 Monaten vor Vertragsbeginn jedoch mindestens zwölf Monate arbeitslos gewesen sein.
Befristete Verträge dürfen nur noch maximal zwei Jahre gelten und nicht mehr verlängert werden. Soll der Angestellte im Unternehmen bleiben, muss der Vertrag in einen unbefristeten umgewandelt werden.
Verwickelt in diese Veruntreuungen sind auch die Gewerkschaften, die deswegen in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen der Gesellschaft jegliche Glaubwürdigkeit verloren haben. “Es ist unglaublich, dass sie selber propagieren, gegen Arbeitslosigkeit zu kämpfen und dann selber in viele Skandale verwickelt sind, die mit falschen Entlassungen, Scheinfirmen und veruntreuten Ausbildungsgeldern zu tun haben”, sagt der spanische Schriftsteller und politische Aktivist Leon Arsenal.
Spanier fühlen sich komplett betrogen
Einer der Hauptgründe für diese Skandale rund um die Arbeitsnehmer ist seiner Meinung nach, dass die öffentlichen Finanzen nicht richtig kontrolliert werden vom spanischen Rechnungshof und viele von Steuergeldern finanzierte Institutionen ihre Finanzen nicht offenlegten, dazu gehören in Spanien auch die Gewerkschaften.
“Aber auch die Parteien”, kritisiert Ramírez, der ein Buch geschrieben hat, in dem er aufzeigt, das fehlende die Transparenz bei der Finanzierung von Politik und ein ungerechtes Wahlsystem, zu einem Zweiparteien-System geführt, das solche Korruptionsskandale wie der um die Weiterbildungskurse nur fördere. Das habe auch bei der regierenden Partei PP zu der immer noch nicht geklärten B-Buchhaltung geführt. Millionen Summen im zweistelligen Bereich sind in die Schweiz geflossen. Bisher wurde dafür erst der Buchhalter zur Verantwortung gezogen.
Spanische Politiker genießen seit jeher ein schlechtes Images beim Volk, durch die vielen Verwicklungen bei Missbrauch von Ausbildungsgeldern fühlen sich viele Spanier jedoch jetzt auch von gewerkschaftlichen Vereinigungen wie der UGT und CCOO komplett betrogen. Das ist ein Grund, warum heute nur noch rund 15 Prozent der spanischen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind. Nur in Frankreich, Estland und Litauen ist das Interesse noch geringer. Ihre Finanzierung erfolgt deswegen inzwischen hauptsächlich aus Steuergeldern. Aus dem Haushalt 2014 fließen 11,6 Mrd. EUR in die Kassen der spanischen Arbeitnehmervertreter. “Das ist ein Skandal. Sie sollten sich wie anderswo hauptsächlich über Mitgliederbeiträge finanzieren,” sagt Arsenal.
In Madrid steht die Arbeitnehmervertretung UGT unter Verdacht, falsche Angaben über Kurse an Unternehmen der Region gemacht zu haben. Die Autonome Region Madrid untersucht derzeit 150 Stiftungen, Firmen und Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Veruntreuung von Fortbildungshilfen über Sinergia Empresarial.
Hierbei geht es um die Veruntreuung von 17 Millionen Euro. “Die Korruption, die hier bei den Gewerkschaften vorherrscht, ist gefährlich für die gesamte Wirtschaft, weil wir keine richtigen Arbeitnehmervertretungen mehr haben, denen Unternehmen und Arbeiter vertrauen können”, sagt der Madrider Unternehmensberater Ignacio de Benito.
Für José Lopez aus Alcalá la Real gibt es nur einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation: “Die ausländischen Medien. Ihr müsst darüber berichten, was hier passiert, ohne Angst.” Er packt seinem ausländischen Besuch Oliven und Kirschen aus der Region ein: “Wir haben doch so viele gute Sachen, das gerät total in Vergessenheit, wenn wir nicht aus diesem Sumpf kommen.”