Valencia war bisher bereits die drittstärkste Wirtschaftskraft Spaniens. Aber der Konflikt in Katalonien, der am heutigen Freitag in der vom katalanischen Parlament illegal abgestimmten Unabhängigkeit gipfelte, hilft der Region, den wirtschaftlichen Abstand zu Barcelona aufzuholen. 2016 erwirtschaftete Valencia 111 Milliarden Euro. Das ist zwar nur halb so viel wie Katalonien.
Aber das regionale PIB wächst nach Einschätzungen der spanischen Bank BBVA in diesem Jahr um 3,2 und im kommenden Jahr um 2,7 Prozent, mehr als die spanische Wirtschaft insgesamt. „Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung in Katalonien, wo jetzt durch die Madrider Zentralregierung die Autonomie schrittweise durch die Anwendung der spanischen Verfassung ausgesetzt wird, kommt Valencia zugute”, glaubt der in Spanien tätige deutsche Rechtsanwalt Tim Wirth.
Dieses neue Klima zieht junge Unternehmer an, die sich immer häufiger in Valencia niederlassen. Am ehemaligen Gelände des America's Cup, der 2007 in Spanien ausgetragen wurde, sind Business-Schulen und Inkubatoren angesiedelt. Weitere Pläne sollen in den kommenden Jahren umgesetzt werden, um das Areal, zu dem auch der nicht mehr funktionierende und bankrotte Formel-1-Ring gehört, wirtschaftlich besser zu nutzen.
Valencia zeigt: Positives und gemeinschaftliches Denken sowie eine strikte Ausgaben-Kontrolle bringen nachhaltiges Wachstum, was auch politische Extremisten ins Aus manövriert. Das beste Beispiel dafür ist der valencianische Hafen, den seit zwei Jahren der Ökonom Aurelio Martinez leitet und der inzwischen auf Rang 5 in Europa ist. Der Hafen verknüpft Madrid und Zaragoza und soll in den kommenden Jahren um weitere zwei weitere Terminals auf fünf ausgeweitet werden. „Wir sind heute bereits der größte Auslandshafen Spaniens und Nummer eins beim Handel mit den USA und Asien. In diesem Jahr hoffen wir, die fünf Millionen Marke bei den umgeschlagenen Containern zu erreichen und damit auch den Abstand zum andalusischen Hafen Algeciras zu erweitern.”
Kataloniens Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland
Etwa 1300 deutsche Firmen sind in Spanien aktiv, davon sind etwa 40 Prozent in Katalonien ansässig. Sie kommen besonders aus den großen Industriebranchen Chemie, Pharma und Auto. Zu den Unternehmen zählen unter anderem Allianz, BASF, Bayer, Bosch, Haribo, Siemens, Lidl und Volkswagen. Mehr als 400 katalanische Betriebe sind in Deutschland vertreten, vom Sekterzeuger Freixenet bis zum Tourismuskonzern Grupo Hotusa.
Deutschland ist neben dem benachbarten Frankreich der wichtigste Handelspartner Kataloniens. 18,3 Prozent der katalanischen Importe stammten 2015 aus Deutschland. Sie summierten sich auf fast 14 Milliarden Euro. Aus keinem anderen Land bezieht die Region mehr Waren. Gefragt sind vor allem Fahrzeuge mit einem Anteil von 34,6 Prozent an den deutschen Lieferungen nach Katalonien, gefolgt von Maschinen und Anlagen mit rund zehn Prozent.
Umgekehrt gehen rund zwölf Prozent der katalanischen Exporte nach Deutschland, was einem Warenwert von mehr als 7,5 Milliarden Euro entspricht. Nur Frankreich nimmt noch mehr Waren ab. Die Region liefert vor allem Fahrzeuge (39 Prozent), Geräte und Elektromaterial (6,5) sowie Kunststoffprodukte (6,3) nach Deutschland. Rund 2700 katalanische Unternehmen exportieren regelmäßig in die Bundesrepublik.
Deutsche Unternehmen haben Milliarden in Katalonien investiert. Allein 2013 waren es fast 900 Millionen Euro, die vor allem auf den Pharmasektor entfielen. 2014 kamen gut 200 Millionen Euro hinzu. 2015 waren es mehr als eine halbe Milliarden Euro, wovon fast ein Drittel auf den Lebensmitteleinzelhandel und mehr als 16 Prozent auf die Chemieindustrie entfielen.
Katalonien mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern erwirtschaftet rund 200 Milliarden Euro. Das entspricht etwas einem Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts. Das Wachstum fiel 2015 und 2016 mit etwa 3,4 Prozent etwas stärker aus als in Spanien insgesamt. Allein Barcelona zählt mehr als 1200 Startup-Unternehmen.
Seit zwei Jahren regiert „Compromís“ zusammen mit den Sozialdemokraten in der Region Valencia unter der Führung von Ximo Puig. Der freut sich in diesen Wochen besonders, weil viele der aus Katalonien geflohenen 1500 Unternehmen ihren neuen Geschäftssitz in Valencia angesiedelt haben. Insbesondere die beiden größten katalanischen Banken, Banco Sabadell und Caixabank, gelten als großer Zugewinn für die Region, die neben Tourismus auf eine starke Automobil-, Textil- und Keramikindustrie sowie Handel setzt. Nach Deutschland gehen 12 Prozent aller valencianischen Ausfuhren, vor allem Öko-Produkte sind beliebt in Nordeuropa.
Schulden abbauen steht ganz oben auf der Liste
An einigen Stellen hat die Entwicklung in Valencia nicht Schritt gehalten: Verlassene und heruntergekommene Gebäude, Graffiti und verwilderte Bauflächen finden sich dort. Es fehlt an allen Ecken an Geld. Aber die Erasmus-Studenten lieben die spanische Vintage-Stadt am Meer, überall hört man ausländische Stimmen. Noch ist Valencia im Vergleich zu Barcelona nicht überfüllt und die Preise sind moderat. Wie Vintage wirkt inzwischen auch die erst 1998 eröffnete „Stadt der Künste und Wissenschaften”. Der Touristen-Renner muss nach 20 Jahren schon saniert werden: „Das genaue Gegenteil von Nachhaltigkeit, was da praktiziert wurde”, sagt Domingo.
Die autonome Region musste unter anderem wegen völlig falsch gemanagter Millionen-Projekte wie diesem 2013 staatliche Hilfe aus Madrid beantragen. Der regionale Haushalt brach zusammen und mit ihm auch die Hausbank Banco de Valencia. „Erst durch ein völliges Umdenken auf allen Ebenen und absoluter Kontrolle der Ausgaben haben wir die Wende geschafft und vermitteln heute das Image einer modernen und gesunden Region, in die es sich lohnt zu investieren”, sagt Domingo. Auch wenn „Compromís“ daran nicht alleine beteiligt ist, stellt die neue Partei jedoch die Weichen. „Die Politiker der großen Volksparteien werden jetzt stärker kontrolliert, das Gemeinwohl steht im Vordergrund, nicht die Parteiinteressen”, sagt Domingo. „Compromís“ stellt auch den Bürgermeister von Valencia – Joan Ribó, ein gelernter Landwirt. Er hat viel zu tun, denn die Schulden der Stadt belaufen sich immer noch auf rund 660 Millionen Euro. Sie gehen dank der neuen Regierung zurück.
Nationalismus a la Cataluña hat keine Chance in Valencia
„Barcelona hat sich eindeutig ins Aus manövriert”, sagt Matthias Meindel, Unternehmensberater im Immobiliensektor in Deutschland und Spanien. Die valencianischen Universitäten und Forschungseinrichtungen gehören zu den besten des Landes. „Wir wollen internationaler werden, wir denken nicht in Grenzen oder Nationen, sondern in Resultaten” , sagt Álvarez, der deswegen auch eine Situation wie sie derzeit Katalonien erlebt in Valencia für unmöglich hält: „Wir gehen hier einen dritten Weg, indem wir Patriotismus fördern, unsere Sprache pflegen, aber keine Flagge gegen eine andere hissen. Die valencianische und spanische gehören zusammen.“