Und plötzlich ist sie wieder da, die Angst vor dem Staatskollaps in Italien. Europas Märkte, Währungshüter und Politiker überbieten sich in Warnungen vor den wirtschaftlichen Folgen der neuen italienischen Koalitionsregierung aus Cinque Stelle und Lega.
„Das ist ein Spiel mit dem Feuer“, sagt der Vorsitzende der Konservativen im Europäischen Parlament, Manfred Weber. „Irrationale oder populistische Aktionen könnten eine neue Euro-Krise hervorrufen. Deswegen kann man nur appellieren und sagen: Bleibt im Bereich der Vernunft.“ Und EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis sagt: „Das ist unsere Botschaft an die neue Regierung: Es ist wichtig, auf Kurs zu bleiben.“
Derweil finden 60 Prozent der Italiener laut Umfragen vom Montag, dass sie die Pläne der angehenden Regierungsparteien im Großen und Ganzen begrüßen.
Italien: Ökonomen sorgen sich wegen zukünftiger Regierung
Die künftige italienische Koalitionsregierung aus Fünf-Sterne-Partei und fremdenfeindlicher Lega stellt aus Sicht des Münchner ifo-Instituts die Grundlagen der Eurozone in Frage, sagt ifo-Chef Clemens Fuest. „Der Eurozone droht eine neue Krise. Die EZB sollte überprüfen, ob sie weiterhin italienische Staatsanleihen kaufen kann.“
Was Experten wie Lorenzo Codogno, vormals Chefökonom im italienischen Finanzministerium und heute Leiter des Beratungsunternehmens LC Macro Advisers, besonders große Sorgen bereitet, ist die eurokritische Haltung beider künftiger Regierungsparteien, auch wenn es in ihrem Programm nicht mehr wie früher heißt, es müsse Staaten erlaubt werden, die gemeinsame Währung aufzugeben. „Obwohl sie ihre Wortwahl abgemildert haben, steuern sie mit ihren Plänen auf einen Kollisionskurs mit Brüssel zu“, sagt Codogno. Für den Wirtschaftsfachmann enthält das Regierungsprogramm unter dem Strich „unrealistische Ziele, Ausgaben, die weit über dem Machbaren liegen - im Grunde ein Buch voller Träume. Nur dass es für mich eher Alpträume sind.“
Raj Badiani, Wirtschaftsberater bei IHS Markit, meint: Italien sei möglicherweise künftig nicht mehr in der Lage, für sein wuchtiges Rentensystem aufzukommen, sollte die Regierung auch noch wie geplant Hunderttausende Migranten ausweisen, die wichtige Arbeitskräfte in dem Land mit seiner alternden Bevölkerung stellen. 15 Prozent des jährlichen BIP verbraucht Italien allein für seine Alterszahlungen. „Wenn sie diese Menschen nach Hause schicken und das Rentenalter wieder herabsetzen, trägt sich das System mittel- bis langfristig nicht mehr“, sagt Badiani.
„Ganz allgemein kann man zum Thema Finanzpolitik sagen: Europa hat klare Fiskalregeln, und die sollten eingehalten werden,“ richtete Coeure mahnende Worte in Richtung der italienischen Koalition. Es gehe um das Vertrauen in die gemeinsame Währung. Es sei aber noch zu früh, um Vorhaben der designierten Regierung Italiens konkret zu kommentieren.
Der Chefvolkswirt der DZ Bank sprach mit Blick auf das Programm der Koalition von einer „politischen Kampferklärung an der bisherigen Austeritätspolitik Brüssels“. „Galt bislang die Devise 'Sparen und Reformieren' als Patentrezept, Krisen zu überwinden und neuen vorzubeugen, will Rom zukünftig genau das Gegenteil tun.“
Nun ist Panikmache vor einem vermeintlichen Staatszusammenbruch Italiens ein fröhlich gepflegtes Hobby an nordeuropäischen Markt- und Regierungssitzen. So war es 2011, als Regierungschef Silvio Berlusconi in seine Endphase taumelte. So war es im Sommer 2016, als die Banca Monte dei Paschi zu kollabieren drohte. So war es Anfang 2017, als der Investorenliebling und Sozialdemokrat Matteo Renzi als Ministerpräsident ein wichtiges Referendum verlor.
Immer blieb in der Folge das angekündigte Chaos aus. Wie krisenanfällig ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone also wirklich? Ein Check.
Schwäche 1: Verschuldung
Da ist etwa die Staatsschuld, die 132 Prozent des Bruttoninlandsproduktes oder 2,2 Billionen Euro beträgt.
Es gibt dafür einen vom bisherigen Finanzminister Pier Carlo Padoan verabschiedeten Plan zu deren Rückbau. Nur ist dieser Plan mit der neuen Regierung wohl obsolet. Und er lebte schon davon, dass die Zinsen niedrig und die Risikoaufschläge für Staatsanleihen ebenso moderat bleiben – zumindest letzteres gilt seit einigen Tagen nicht mehr.





Womit Italiens politische Hängepartie zum Problem für die Euro-Zone wird. Die Versprechen der „Fünf-Sterne“-Bewegung etwa mit konstantem Haushaltsdefizit und Verringerung der Staatsschulden setzen ein jährliches nominelles Wachstum von sieben Prozent voraus. Zudem muss Italien dieses Jahr ohnehin 55 Milliarden Euro neu finanzieren, rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Von der Haushaltspolitik geht also das größte Risiko für die Euro-Partner aus. Übersteigen die Ausgabenpläne, die einzelne Ökonomen auf 70 bis 120 Milliarden Euro jährlich addieren, die Zahlungsfähigkeit des Staates, dürfte das Investoren davon abhalten, bei der Refinanzierung der Staatsschulden mitzugehen. Der italienische Haushalt geriete unter Druck und damit die gesamte Währungsunion. Es wäre der Griechenland-Effekt.
Was dafür spricht, dass diese Gefahr reell ist? Die EU-Regeln zur Verschuldung? Sparmaßnahmen? „Scheißegal“, sagte Lega-Chef Matteo Salvini.
Schwäche 2: Marode Konzerne
Zwar siedelt im Norden Italiens eine mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft, mit der in Europa allenfalls Schwaben mithalten kann. Allerdings übertüncht selbst sie die Schwäche nicht: Vor allem in Sachen vitaler Großkonzerne ist Italien ein Entwicklungsland.
Das wirkt sich auf die gesamte Wirtschaft auf: Im Jahr 2016 etwa ging die Produktivität um 0,4 Prozent zurück. Seit 1995 stieg sie nur um 0,3 Prozent. Das liegt an maroden Industrien, von denen sich keine Regierung verabschiedete.
Das Stahlwerk Ilva im apulischen Tarent etwa ist zwar Europas größtes. Aber auch Europas marodestes. Weil an dem Werk im wirtschaftlich abgekoppelten Mezzogiorno, dem Italien südlich von Rom, allerdings nahezu alle industriellen Arbeitsplätze an dem Werk und seiner Umgebung hängen, wächst sich die Zukunft des Werks zur Hängepartie aus. Die größere Regierungspartei, Cinque Stelle, würde das Werk nun am liebsten schließen. „Nichts da“, heißt es von der Lega. Man müsse den Arbeitern erst Perspektiven geben.
Ähnlich ist die Lage bei der Fluglinie Alitalia. Deren Flieger fliegen nur, weil der Staat den Betrieb aufrechterhält. Mit der Lufthansa steht ein Interessent vor der Tür, der allerdings auf grünes Licht aus Rom angewiesen ist. Die Cinque Stelle wäre den ökonomischen Ballast gerne los, die Lega pocht auf einen Behalt der Airline in Italien. So wird sich auch in dieser Frage nichts bewegen.
Bei der ältesten Bank der Welt ist die Situation ähnlich: Die Banca Monte dei Paschi aus Siena wurde von der scheidenden Regierung in den vergangenen Jahren zunächst aufgefangen, dann restrukturiert. Bis 2019 soll sich der Staat komplett aus ihr zurückziehen. „Sehr gut“, sagt die Lega. „Auf keinen Fall“, finden die Cinque Stelle. Ergebnis: Keins der Bankenprobleme ist gelöst, der Aktienkurs des Unternehmens aber seit Anfang vergangener Woche schonmal um zehn Prozent gefallen.
Schwäche 3: Soziale Spaltung
In Italien wächst eine Generation der Hoffnungslosen heran, weil der Wirtschaft vor allem im Süden des Landes jede Dynamik fehlt. In Kalabrien, Kampanien oder Sizilien sind mehr als 30 Prozent der unter 30-Jährigen arbeitslos. Keine Partei – weder Mitterechts noch Mittelinks – hat das bisher in den Griff gekriegt.
Kaum ein junger Italiener schafft es, sich im Vergleich zu den Eltern zu verbessern. Jüngere Italiener lernen so von Beginn an, sich vor allem auf die eigene Familie zu verlassen – sie haben schlicht keine andere Möglichkeit. Allein in 2017 wanderten mehr als 300.000 Italiener ins Ausland ab. Und wer blieb, der wählt Protest.
QAuch deswegen haben die Cinque Stelle im Italien südlich von Rom alle Wahlkreise gewonnen. Sie versprechen nun ein Grundeinkommen von 780 Euro pro Einwohner ab 2020. Das soll allerdings an eine aktive Arbeitssuche geknüpft werden – und entspricht eher dem deutschen Hartz IV. Damit gäbe es in Italien erstmals eine Art soziale Grundsicherung. Nachteil: Sie könnte bis zum 20 Milliarden Euro im Jahr kosten – und damit womöglich Italiens soziale Spaltung etwas lindern, gleichzeitig aber das Schuldenproblem verschärfen.