Stefan Walter Wie der unbekannte Bankenaufseher tickt

Künftig überwacht die Europäische Zentralbank die wichtigsten Geldinstitute der Währungsunion. Der Deutsche Stefan Walter spielt dabei eine Schlüsselrolle.

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EZB Quelle: dpa

Von seinem spartanisch eingerichteten Eckbüro im vierten Stock des Frankfurter Japan Centers könnte Stefan Walter den Blick auf das Grün der Gallusanlage genießen. Aber dafür hatte der frischgebackene Generaldirektor der Europäischen Zentralbank (EZB) keinen Blick. Sein neuer Arbeitsplatz lässt jedes Zeichen individueller Gestaltung missen, denn er war voll damit beschäftigt, sein Team zu besetzen. Im Postfach stapeln sich die Bewerbungen. Die Zeit drängt: Anfang November übernimmt die EZB die Aufsicht über die 120 wichtigsten Banken der Euro-Zone, darunter 21 deutsche.

Walter wird im neuen Aufsichtsmechanismus eine Schlüsselrolle spielen, denn er soll sich mit seiner Truppe vor allem um die besonders systemrelevanten unter den direkt von der EZB kontrollierten Banken kümmern. Wie tickt der bisher Unbekannte, der bald eine für die finanzielle Stabilität Europas so wichtige Aufgabe übernimmt? Und was haben die Banken in seinem Verantwortungsbereich von ihm zu erwarten?

Die drei Pfeiler der Bankenaufsicht

Walter wirkt am liebsten im Stillen, der große Auftritt ist seine Sache nicht. Für die Banker, die künftig unter seiner Aufsicht stehen, ist das ein subtiles, aber klares Signal: Hier kommt kein vom Jagdeifer getriebener Bankenschreck im Stile eines Sheriffs der New Yorker Wall Street, die viele Jahre sein Arbeitsplatz war. Bei dem Berkeley-Absolventen und ehemaligen Generalsekretär des mächtigen Basler Ausschusses für Bankenaufsicht haben sie es mit einem lautlosen Jäger und akribischen Aufseher zu tun, der sich Zeit nimmt, genauestens in die Geschäftsbücher zu schauen, um dann in der Sache umso unerbittlicher argumentieren zu können.

Von welcher Aufsichtsphilosophie lässt er sich leiten? „Die Ursache künftiger Krisen werden wir in den von konstanter Innovation getriebenen Finanzmärkten nicht vorhersehen können.“ Daher müsse die Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors gestärkt werden, unabhängig davon, woher der Schock komme.

Stoßdämpfer einbauen

Daraus wird klar, dass er in keinen Regulierungswettlauf mit den Banken einsteigen will, bei dem die Aufseher angesichts des Einfallsreichtums der Branche ohnehin den Kürzeren ziehen. Stattdessen will Walter für „Stoßdämpfer“ in Form starker Kapital- und Liquiditätspolster sorgen.

In seinem Job meidet er die Öffentlichkeit. Reden, wie kürzlich bei einem Aufsichtskongress der Bundesbank, hält er selten. Passend zum leisen Auftritt finden sich an Walters Arbeitsplatz nur Schreibtisch, Rechner und Aktenschrank – Bilder oder sonstige Deko Fehlanzeige. Die spartanische Einrichtung dort ist aber nicht nur dem Zeitdruck und der Vorläufigkeit der Unterbringung geschuldet – die Bankenaufseher werden bald in das alte EZB-Gebäude am Willy-Brandt-Platz ziehen –, sondern auch Zeichen des Charakters: Walter konzentriert sich auf seine Aufgabe und investiert keine Zeit in Oberflächlichkeiten und Statussymbole.

Mit seinen ultrakurz getrimmten Haaren strahlt der 49-Jährige Disziplin und Selbstbeherrschung aus. Die unauffälligen schwarzen Socken und Schuhe zum Anzug im gedeckten Grauton signalisieren Understatement. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich der scharfe Blick eines Aufsehers auch für Details bei der Kleidung: das filigrane Muster auf der Krawatte, die goldfarbenen Manschettenknöpfe oder die abgerundeten Kragenspitzen am weißen Businesshemd.

Seine Frau hat Walter in New York kennengelernt, wo sie als Wirtschaftsanwältin arbeitete, Berkeley-Absolventin auch sie. Beide bewohnten dort mit ihren drei Kindern ein Brooklyner Stadthaus mit ortstypischer Backsteinfassade.

Laut offizieller Hierarchie steht er gleichberechtigt neben drei weiteren Generaldirektoren, die Chef-Bankenaufseherin Danièle Nouy aus Frankreich unterstellt sind. Inhaltlich ragt Walter aber heraus, weil er mit seiner Abteilung für die 30 systemisch relevantesten, sprich gefährlichsten, der 120 Banken unter EZB-Ägide verantwortlich ist. Bekommen solche breit vernetzten Großinstitute Probleme, schlägt das schnell auf andere Banken und das gesamte Finanzsystem durch. In Deutschland fällt etwa der Branchenprimus Deutsche Bank in diese Hochrisiko-Kategorie.

Die zentrale Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB jenseits nationaler Zuständigkeiten und Sonderregeln ist der erste Schritt auf dem Weg zur Europäischen Bankenunion. Die soll verhindern, dass nach der Finanz- und Schuldenkrise erneut Steuergeld für die Stützung des Finanzsektors ausgegeben werden muss.

Neben der direkten Aufsicht über die systemrelevanten Kreditinstitute führt die Zentralbank eine indirekte Aufsicht über alle anderen rund 6000 Banken in der Euro-Zone. Dieses Ressort leitet der Finne Jukka Vesala. Hier bleiben in erster Linie die nationalen Aufsichtsbehörden zuständig, in Deutschland also die BaFin in Bonn. Vesalas Leute greifen aber ein, wenn das aus ihrer Sicht zum Beispiel wegen der akuten Schieflage einer Bank nötig wird.

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