
In der Stadt fragt man ja bekanntlich seinen persönlichen Taxifahrer, wenn man wissen will, was das Volk so denkt. Wir hier auf dem Land haben keine Taxifahrer, aber Paketboten, Landfrauen, Elektriker, Schoppentrinker und Installateure, die uns sagen können, woher der Wind weht.
Der jüngst erhobene Befund ist interessant. Die Griechen? Die spinnen, jedenfalls ihre Regierung, die jetzige und alle vorhergehenden. Raus mit ihnen aus dem Euro – und Deutschland selbst am liebsten gleich mit. Die Flüchtlinge? Völlig irre, die Politiker! Wie kann man 200 fremde junge Leute in einem 500-Seelendorf unterbringen wollen? Und sollen wir jetzt wirklich nicht mehr im Bikini im Garten liegen dürfen?
Wenn das einmal raus ist, geht’s ins Detail. Die Griechen? Furchtbar, wie sie unter ihrer Regierung zu leiden haben. Das kann man doch nicht zulassen! Die Flüchtlinge? Grauenhaft, die Toten im Mittelmeer! Nein, auf die syrische Familie in der Nachbarschaft lassen wir nichts kommen und unseren Kurden nimmt uns niemand!
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So sind sie, die Landleute? Voller Doppelmoral? Und wo kämen wir hin, wenn jeder nur seinen persönlich bekannten Flüchtling haben wollte?
Genau - wir kämen zu den erfreulichen Seiten der Menschen: sie denken konkret, nicht abstrakt. Und die meisten von ihnen verfügen über eine Ressource, die kostbar ist: Mitleid. Umso schlimmer, wenn eben das, dieses kostbare Mitgefühl, ausgebeutet wird. Genau das geschieht derzeit.
Von Grexit bis Graccident - die wichtigsten Begriffe zur Schuldenkrise
Der Kunstbegriff wurde aus den englischen Worten für „Griechenland“ (Greece) und „Ausstieg“ (Exit) gebildet - gemeint ist ein Ausstieg oder Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone. So etwas ist in den EU-Verträgen allerdings gar nicht vorgesehen. Die Idee: Würde Griechenland statt des „harten“ Euro wieder eine „weiche“ Drachme einführen, könnte die griechische Wirtschaft mit einer billigen eigenen Währung ihre Produkte viel günstiger anbieten.
Neuerdings wird auch vor einem unbeabsichtigten Euro-Aus der Griechen gewarnt. Das Kunstwort dafür besteht aus Greece und dem englischen Wort für „Unfall“ (Accident) - wobei das Wort im Englischen auch für „Zufall“ stehen kann. Gemeint ist ein eher versehentliches Schlittern in den Euro-Ausstieg, den eigentlich niemand will - der aber unvermeidbar ist, weil Athen das Geld ausgeht. Mittlerweile taucht die Wortschöpfung auch als „Grexident“ auf.
Staaten brauchen Geld. Weil Steuereinnahmen meist nicht ausreichen, leihen sie sich zusätzlich etwas. Das geschieht am Kapitalmarkt, wo Staaten sogenannte Anleihen an Investoren verkaufen. Eine Anleihe ist also eine Art Schuldschein. Darauf steht, wann der Staat das Geld zurückzahlt und wie viel Zinsen er zahlen muss.
Im Grunde handelt es sich ebenfalls um Anleihen - allerdings mit deutlich kürzerer Laufzeit. Während Anleihen für Zeiträume von fünf oder zehn oder noch mehr Jahren ausgegeben werden, geht es bei T-Bills um kurzfristige Finanzierungen. Die Laufzeit solcher Papiere beträgt in der Regel nur einige Monate.
Manchmal hat ein Staat so viel Schulden, dass er sie nicht zurückzahlen kann und auch das Geld für Zinszahlungen fehlt. Dann versucht er zu erreichen, dass seine Gläubiger auf einen Teil ihres Geldes verzichten. Das nennt man Schuldenschnitt. Dieser schafft finanzielle Spielräume. Allerdings wächst auch das Misstrauen, dem Staat künftig noch einmal Geld zu leihen.
Seit 2010 hatten immer mehr Staaten wegen hoher Schulden das Vertrauen bei Geldgebern verloren. Für sie spannten die Europartner einen Rettungsschirm auf. Er hieß zuerst EFSF, wurde später vom ESM abgelöst. Faktisch handelt es sich um einen Fonds, aus dem klamme Staaten Kredithilfen zu geringen Zinsen bekommen können.
In der Euro-Schuldenkrise wurde der Begriff für das Trio aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission gebraucht. Sie kontrollieren die verlangten Reformfortschritte. Im Euro-Krisenland Griechenland ist die Troika deswegen zum Feindbild geworden. In seinem Schreiben an die Eurogruppe spricht Athen nun von „Institutionen“. Auch die Europartner wollen das Wort „Troika“ nicht mehr verwenden. In offiziellen Dokumenten war ohnehin nie die Rede von der „Troika“.
Das Geld ging an die falsche Stelle
Die politische Klasse verwechselt das Allgemeine mit dem Besonderen nicht etwa, weil sie beides nicht unterscheiden könnte. Sie pokert mit dem Mitgefühl, indem sie alles über einen Kamm schert. „Den Griechen helfen“ heißt nun schon seit Jahren, gutes Geld (der Steuerzahler) schlechtem hinterherzuwerfen. Das Geld ist irgendwo versickert, wo es in Griechenland schon seit Jahren, achwas: Jahrzehnten (Jahrhunderten?) den Bach runtergeht. Es hat Banken stabilisiert, einen korrupten Staat am Leben erhalten, eine unproduktive Masse von Staatsabhängigen alimentiert – und jene entmutigt, die dem Glauben anhängen, dass es darauf ankommt, mit produktiver Arbeit sein eigenes Leben in Unabhängigkeit zu gestalten.
In Griechenland fehlen die Grundlagen wirtschaftlichen Handelns, von der Sicherheit des Eigentums an Grund und Boden (bis heute gibt es kein Katasterwesen) bis hin zu funktionierenden Institutionen und unbestechlichen Behörden. Das ist den anderen Euroländern nicht erst seit heute bekannt. Und die Griechen wissen es schon lange, davon zeugt ihre Steuermoral: warum dem Staat freiwillig Geld geben, das in dunklen Kanälen auf Nimmerwiedersehen verschwindet?