Allerdings gehört auch Macron nach Herkunft und Gehabe zur herrschenden Klasse. Er war einst Mitglied der sozialistischen Partei und Wirtschaftsminister unter Präsident Francois Hollande. Und er ist Absolvent der ENA – wie so viele der französischen Elite.
„Wirtschaftsliberal“ jedenfalls ist er nicht. Macron würde wahrscheinlich wenig an den lieb gewonnenen Gewohnheiten der Franzosen rütteln – obwohl das überfällig wäre. Die 35-Stundenwoche, der Mindestlohn und ein übertriebener Kündigungsschutz blieben schon in seinem „Loi Macron“ von 2015 unangetastet. Ein Jahr zuvor forderte er von Deutschland 50 Milliarden Euro zur Belebung der europäischen Wirtschaftszone. Auch das lässt nicht auf Aufbruch und Reformwillen schließen – und macht die Begeisterung des einstigen Wirtschafts- und jetzigen Außenministers Gabriel nicht recht verständlich.
Doch noch ist nichts entschieden. Sollte Macron tatsächlich im zweiten Wahlgang gewinnen, muss er die ungleich schwierigere Aufgabe bewältigen, das Parlament auf seine Seite zu bringen. Am 11. Juni findet der erste Wahlgang zur 15. Nationalversammlung statt, Macrons Bewegung „En marche“ muss dann Kandidaten für 557 Wahlkreise aufstellen, die Hälfte davon, so hat er es im Wahlkampf versprochen, dürfe nicht der herrschenden politischen Klasse entstammen. Ob das gelingt? Man kann, hoch gesprungen, noch immer als Bettvorleger landen.
Frankreichs Präsident - das mächtigste Staatsoberhaupt
Von allen Staatsoberhäuptern der Europäischen Union hat der französische Präsident die größten Vollmachten. Seine starke Stellung verdankt er der Verfassung der 1958 gegründeten Fünften Republik, ihr erster Präsident war General Charles de Gaulle.
Der Staatschef wird seit 1965 direkt vom Volk gewählt und kann beliebig oft wiedergewählt werden. Seit 2002 beträgt seine Amtszeit noch fünf statt sieben Jahre.
Der Präsident verkündet die Gesetze, kann den Premierminister entlassen und die Nationalversammlung auflösen. In Krisenzeiten kann er den Notstandsartikel 16 anwenden, der ihm nahezu uneingeschränkte Vollmachten gibt.
Der Staatschef ist gegenüber dem Parlament nicht verantwortlich. Durch eine 2007 beschlossene Verfassungsänderung sind Staatschefs im Amt vor Strafverfolgung ausdrücklich geschützt. Das Parlament kann den Präsidenten nur bei schweren Verfehlungen mit Zweidrittelmehrheit absetzen.
Frankreichs Staatschef ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hat in der Verteidigungs- und Außenpolitik das Sagen. Seine stärksten Druckmittel sind der rote Knopf zum Einsatz von Atomwaffen und das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat.
Der Präsident ernennt den Premierminister und auf dessen Vorschlag die übrigen Minister, leitet die wöchentlichen Kabinettssitzungen und nimmt Ernennungen für die wichtigsten Staatsämter vor.
Seine Macht wird jedoch eingeschränkt, wenn der Regierungschef aus einem anderen politischen Lager kommt und der Präsident keine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung hat. Dieser Fall der „Kohabitation“ war bei der Verabschiedung der Verfassung nicht vorgesehen. Er trat aber bereits drei Mal ein, zuletzt 1997 bis 2002, als der konservative Staatschef Jacques Chirac mit dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin auskommen musste.
Die Kluft zwischen Provinz und „weltoffenen“ Metropolen wird übrigens nicht nur in Frankreich immer größer. Ähnliches ist in Großbritannien, den Niederlanden, aber auch in Deutschland zu beobachten. Die Menschen, die nicht den Ehrgeiz haben, alle Flughäfen dieser Welt zu kennen, können und werden ihre Lebensweise nicht aufgeben wollen. Insbesondere im traditionsbewussten, „vaterländischen“ Frankreich, in la France profonde, glaubt niemand an die Vorzüge einer grenzenlosen EU. Und erst recht will man ihr nicht die nationalstaatliche Souveränität opfern.
Auch ein „EU-freundlicher“ Emmanuel Macron braucht Mehrheiten im Land. Man wird sehen.