
„Wir als Deutsche“ – klar: das darf in keiner Rede fehlen, in der die deutsche Regierung das renitente Staatsvolk zu irgendetwas überreden will. Auf dem Fuße folgt das Wieselwort „Solidarität“. Das ist mindestens so wirksam wie der Appell an die „Menschlichkeit“. Wer will schon ein unsolidarischer Unmensch sein?
Niemand, vor allem hierzulande nicht. Und deshalb hat vieles auch außerhalb des Parlaments eine Mehrheit, was ökonomisch widersinnig ist. Die „Rettung“ Griechenlands gehört dazu. Jeder mit ein bisschen Gefühl möchte „den Griechen“ helfen, erst recht „die Deutschen“ (mit ihrer Vergangenheit, klar).
Erbarmen fordern daher nicht nur diejenigen, die den Lederjackencharme von Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis unwiderstehlich finden – frisch, frech und sexy. (Über Geschmack lässt sich ja nicht streiten.) Doch gerade den notleidenden Griechen wird eine weitere Verlängerung der Agonie nicht helfen – mal abgesehen davon, dass Erbarmen gewiss nicht der primäre Beweggrund der Euro-Elite ist. Im Fall Griechenland hilft jeder vor allem sich selbst.
Weitere Stationen im griechischen Schuldendrama
Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB). Dabei könnte eine Aufstockung und Verlängerung der Notfallhilfe für Griechenland bewilligt werden. Die griechischen Banken haben immer größere Probleme, weil Bürger des Landes ihre Konten aus Furcht vor der finanziellen Zukunft abräumen. Seit vergangenen Mittwoch können die Banken griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit für EZB-Kredite hinterlegen, um an frisches Geld zu kommen.
Das Ultimatum der Europartner für Griechenland läuft ab. Bis dahin soll Athen einen Antrag für eine sechsmonatige Verlängerung des Hilfsprogramms stellen - zusammen mit verbindlichen Zusagen.
Das bereits verlängerte Hilfsprogramm der Europäer endet. Aus dem Programm stehen noch 1,8 Milliarden Euro aus.
2,1 Milliarden Euro müssen an den IWF und 1,9 Milliarden Euro an Zinsen gezahlt werden.
Die Finanzminister der Euro-Zone kommen routinemäßig zusammen, Griechenland dürfte wieder ein Thema sein.
Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU.
Im Juni sind 2,62 Milliarden an Schulden fällig, im Juli 5,12 Milliarden und im August 3,69 Milliarden Euro. 6,68 Milliarden davon sind Schulden bei europäischen Institutionen. Insgesamt muss Athen 2015 rund 22,5 Milliarden Euro zurückzahlen.
Die Debatte im Bundestag darüber war unter Niveau, aber immer noch besser als jene, in der sich damals die FDP als Opposition erledigt hat. Diesmal muss man es einigen CDU-Abgeordneten danken, dass das deutsche Parlament nicht völlig ohne Opposition dastand. Genau das wird der Grund gewesen sein, warum man diesmal Widerspruch zuließ, das macht sich einfach besser.
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Ja, soviel Zynismus darf man unseren Politikern durchaus zutrauen. Doch selbst der CDU-Politiker und „Abweichler“ Klaus-Peter Willsch hat am Thema vorbeigeredet, denn die Pointe zündete nicht, dass wohl niemand von der griechischen Regierung einen Gebrauchtwagen kaufen würde – wozu auch? Als Autohändler brauchen wir die Griechen nicht.
Es geht immer mehr Vertrauen verloren
Im Ernst: es geht doch längst um etwas anderes. Der Euro hat Europa augenscheinlich nicht nur nicht geeint, er hat es auch nicht, wie verkündet, zu einem mächtigen Global Player gemacht. Die Kosten dieses politischen Experiments zum Nachteil der ökonomischen Vernunft sind unüberschaubar. Aber eines zeichnet sich bereits jetzt ab: von Krise zu Krise geht Vertrauen verloren.
Das schwindende Vertrauen in die Demokratie ist bedenklich genug. Doch das Fundament einer gedeihenden Gemeinschaft besteht nicht nur darin, dass seine Mitglieder regelmäßig zur Wahl gehen – auch die Demokratie kann schließlich abgewählt werden. Jüngst hat die „Arabellion“ ihren begeisterten Zuschauern im Westen diesen Zahn gezogen. Die Basis des friedlichen Zusammenlebens und von wirtschaftlichem Erfolg besteht weit mehr noch aus Vertragssicherheit, Rechtsstaatlichkeit, funktionierenden Institutionen. In Euroland aber regiert mittlerweile der Vertragsbruch.
Was „die Griechen“ betrifft, so sind sie so wenig schuld am Desaster wie „die Deutschen“ – es ist schon seltsam, wie beliebt nationale Klischees neuerdings wieder sind. Wenn wir anständigerweise zwischen Regierung und Bevölkerung unterscheiden, dann wird man „den“ Griechen die Herrschaft raffgieriger Familienclans seit Beginn der souveränen staatlichen Existenz im Jahre 1830 nicht vorwerfen können. Und wer möchte ernstlich Steuerehrlichkeit gegenüber einem korrupten Staatswesen empfehlen?
Vor allem aber fehlt Rechtssicherheit in einem für wirtschaftliches Gedeihen ganz entscheidenden Punkt: noch heute hat Griechenland keine Rechtssicherheit, was das Grundeigentum betrifft, da es kein verlässliches Katasterwesen gibt. „Es bewahrt vor Willkür und Korruption. Ohne ein Kataster investieren keine Unternehmen. Ohne ein Kataster fließen keine Agrarsubventionen. Es ist die Bedingung für eine funktionierende Marktwirtschaft“, analysiert Richard Fraunberger.