Es mag sein, dass die französischen Präsidentschaftswahlen in der Hauptstadt unter Polizeischutz stattfinden mussten. Hier in der Provinz, in „La France profonde“, spürt man davon nichts – auch nicht im wunderschönen Örtchen Largentière, einst wohlhabend durch Silberbergbau und Seidenproduktion, heute nur noch touristisch attraktiv. Die Sonne scheint und vor der Mairie, dem Wahllokal, stehen keine Polizisten, sondern leichtgekleidete Menschen, die sich lebhaft unterhalten.
Die Gegend, in der ich mehrere Monate im Jahr verbringe, das alte Vivarais, gehört heute zum Department Ardèche. Das Vivarais war eine der Hochburgen der Widerspenstigen, der Rebellen. Es ist das Land der Camisards und Maquisards, der Hugenotten und der Resistance. Der Affekt gegen „die da oben“ in Paris sitzt hier noch immer tief: „Die Cevennen müssen brennen“, erklärte im letzten Krieg gegen die widerspenstigen Protestanten Anfang des 18. Jahrhunderts ein General des Königs. So etwas merken sich die Geschichtsbewussten.
Und wie haben sie nun gewählt, die Nachfahren der Rebellen? Aus dem ersten Wahlgang am Sonntag ist Marine Le Pen mit 23,1 Prozent als Siegerin hervorgegangen.
Was sagt das über die Region? Wenig.
Denn auch der linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon erreichte 21,8 Prozent (landesweit: 19,6), dicht gefolgt vom Wunderkind Emmanuel Macron mit 21,7 Prozent. Der konservative Francois Fillon erzielte immerhin noch einen Achtungserfolg von 17,3 Prozent (landesweit 19,9 Prozent). Wenn man annimmt, dass Le Pen eher von Menschen gewählt wird, die auf dem Land leben und unterdurchschnittlich verdienen und dass Mélenchon Punkte bei den Arbeitslosen macht, während Macron ein Kandidat der Besserverdienenden und der Städter ist, zeigt sich auch hier die Spaltung des Landes jenseits der alten Gesäßgeographie von links und rechts. Euphorisch stimmt das nicht.
Wer sich wie der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel begeistert und beruhigt darüber zeigt, dass mit Emmanuel Macron ein EU-freundlicher Kandidat das Rennen machen dürfte, blendet nicht nur die Spaltung des Landes, sondern auch das Außerordentliche dieses Wahlgangs aus: die klassischen Parteien der Konservativen und der Linken sind bedeutungslos geworden. Es half ihnen nicht einmal, dass die hohe Wahlbeteiligung sich vor allem der regen Anteilnahme der über 60-Jährigen verdankte, die mehrheitlich für Fillon votierten. Le Pen hat auch bei den Jungen ihre Anhänger.
Es ist gut möglich, dass Emmanuel Macron der nächste Staatspräsident wird. Was sich die Franzosen damit einhandeln? Unklar. Doch womöglich haben die wenigsten ein Programm gewählt. Der junge, gutaussehende Mann scheint zumindest eines zu versprechen: Aufbruch aus den verkrusteten politischen Strukturen, unter denen Frankreich schon so lange leidet. Auch die einstige Begeisterung für Sarkozy speiste sich aus diesem Wunsch. Es folgte tiefe Enttäuschung.