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Stephans Spitzen

Warum der Steuerstaat keine Hilfsbereitschaft mag

Cora Stephan Politikwissenschaftlerin

Die Sparzwänge der hoch verschuldeten europäischen Staaten haben die Jagd auf Steuersünder populär gemacht. Platz für Milde bleibt da nicht, wie das Beispiel von Salvatore Picardi, Gigi und der Pizza zeigt.

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Ein obdachloser Mann hält eine Tasse Tee in der Hand Quelle: dpa

Salvatore Picardi ist ein guter Mensch, mindestens einmal am Tag, wenn morgens Gigi in seinem Fleischerladen steht. Gigi ist um die sechzig und ein bisschen besonders, behindert hätte man ihn früher genannt, aber er gehört einfach dazu, deshalb darf er sich bei Signore Picardi immer etwas aussuchen – ein Brötchen oder ein Stück Pizza. Bezahlen muss er nicht.

Doch nun soll der Wurstverkäufer für seine guten Taten 150 Euro Buße zahlen. Warum? Eine Polizeistreife hat Gigi nach einem Kassenbon gefragt, den muss in Italien jeder vorzeigen können, ob er ein Auto gekauft oder bloß in der Bar einen Espresso getrunken hat. In Gigis Tüte war aber keiner, warum auch, er hatte ja nichts gekauft.

Jährliche Einnahmen der öffentlichen Hand aus Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen

Die Geschichte geht mir seit Tagen im Kopf herum. Man kann sich darüber so schön aufregen, über absurde Vorschriften und übereifrige Polizisten. Man kann natürlich auch lobend hervorheben, dass man sich in Italien bis zur Schmerzgrenze um Steuerehrlichkeit bemüht, ein Leuchtturm geradezu im Vergleich zum Schlendrian in anderen Ländern, man denke nur an Griechenland! Allerdings legt der Vorfall auch den Gedanken nahe, dass es nicht Steuern allein sind, die ein Gemeinwesen am Leben halten.

Denn er zeigt ja vor allem, dass der italienische Staat selbst Akte persönlicher Hilfeleistung für eine Sache zu halten scheint, bei der er im Spiel sein muss, fiskalisch gesehen. Individuelle Milde, nennen wir sie das Prinzip Gigi, wird kriminalisiert, denn Fürsorge gilt als eine Angelegenheit des Staates, für die er seinen Bürgern Steuern abknöpft.

FAQ - Instrumente zum Kampf gegen Steuerbetrug

Ja klar, wo kämen wir hin, wenn jeder selbst entscheiden würde, wie er seine Solidarität mit den Arme und Minderbemittelten auszudrücken beliebt? Der Sozialstaat, wie er sich in Ländern wie Deutschland oder Schweden entwickelt hat, strebt nicht nur nach der Lufthoheit über Kinderbetten, er versteht unter Solidarität vor allem das, was durch seine Hände geschieht. Appelle an die Solidarität der Bürger gelten daher ihrer Eigenschaft als Steuerbürger, nicht den Privatmenschen, die ihre Kinder selbst erziehen oder allein bestimmen möchten, wem sie ihre Hilfsbereitschaft zugutekommen lassen.

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