Stichtag 1. Juli CovPass: Jetzt droht Reisenden ein Flughafenchaos

Der digitale Impfnachweis wird ab dem 1. Juli zu viel Chaos führen. Quelle: dpa

In Rekordzeit haben EU-Mitgliedsstaaten ein digitales Impfzertifikat eingeführt. Doch so einfach wie von Politikern versprochen wird der Sommerurlaub nicht. Vor allem an Flughäfen droht ein großes Durcheinander.

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Es ist ein Projekt, mit dem sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) profilieren wollte. Pünktlich zum 1. Juli soll das Reisen in der EU wieder reibungslos ablaufen. Der digitale Impfpass, in Windeseile von EU-Kommission und Mitgliedsstaaten eingerichtet, soll dafür sorgen, dass die Europäer ihren Sommerurlaub schon 2021 in vollen Zügen genießen können.

Doch statt unbeschwert in die lang ersehnten Ferien aufzubrechen, müssen sich Europäer auf Chaos an den Flughäfen einstellen. Beim europäischen Flugverband Airlines for Europe (A4E) rechnet man zum Stichtag 1. Juli mit „einem großen Durcheinander“. Bis zu zehn EU-Mitgliedsstaaten hätten Luftlinien nicht informiert, wie sie das Impfzertifikat umsetzen wollen. Die Fluglinien schweben im Ungewissen. Es drohen lange Schlangen beim Anflug und bei der Ankunft, wenn Zertifikate doppelt überprüft werden. Sogar ein dritter Check des Zertifikats ist nicht ausgeschlossen, weil manche Mitgliedsstaaten auf Nummer sicher gehen wollen.

Die Europäische Behörde für Luftsicherheit (EASA) hat gemeinsam mit dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ausdrücklich vor einem solchen Szenario gewarnt. Doppelte Checks seien überflüssig und zu viele Menschen an den Terminals als Gesundheitsrisiko einstufen, so die beiden Organisationen.

Die EU-Mitgliedsstaaten lässt diese Einschätzung kalt. Sie machen auf ihrem Hoheitsgebiet völlig unterschiedliche Vorgaben, wie mit dem Zertifikat umgegangen werden soll. Manche halten es für unerlässlich, dass die Zertifikate sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise überprüft werden – weil es an Vertrauen unter den Mitgliedsstaaten mangelt.

Manche Mitgliedsstaaten haben die Überprüfung des Impfpasses auf den Flughafenbetreiber oder die Fluglinie abgewälzt. „Dabei haben die Fluglinien gar nicht die notwendigen Geräte“, heißt es beim Branchenverband A4E.

Bei manchen Ländern ist es gar nicht sicher, ob sie rechtzeitig live gehen können. Am Vorabend des Stichtags waren sieben EU-Länder mit dem Gateway noch nicht verbunden, darunter beliebte Feriendestinationen wie Zypern und Malta, aber auch Irland, Schweden, die Niederlande, Ungarn und Rumänien.



Unter Reisenden ist die Verwirrung groß. Bei Nicola Beer (FDP), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, stapeln sich die Zuschriften. „Bürgerinnen und Bürger werden von den Mitgliedsstaaten orientierungslos und mit großen Fragezeichen alleine gelassen“, beobachtet Beer. „Von EU-weiter Anerkennung des Impfnachweises ist derzeit noch keine Spur zu erkennen.“ Auf Nachfrage sei in Deutschland oft zu hören, Urlauber sollten lieber ihren gelben Ausweis einstecken, um auf Nummer sicher zu gehen.

Die meisten Länder verlangen zusätzlich zum Impfausweis weiterhin ein Formular zur Einreise. Oft ist das sogenannte Passenger Locator Form (PLF) digital, in den Niederlanden dagegen in Papierform mitzuführen. In Belgien müssen auch Geimpfte schildern, ob sie Händewaschen für sinnvoll halten. Fluglinien kontrollieren das PLF teilweise sehr streng – und mehrmals, Ryanair etwa beim Einchecken und beim Einsteigen erneut. Dahinter dürfte sich die Furcht verbergen, Urlauber zurückbefördern zu müssen, wenn sie die Einreisebedingungen eines Landes nicht erfüllen.

Das Impfzertifikat sollte eigentlich auch dafür sorgen, dass EU-Länder nur in Ausnahmefällen die Grenze dicht machen. Aber in Europa tun sich immer noch Länder schwer, Fremde ins Land zu lassen. Finnland etwa will vorerst keine Urlauber einreisen lassen. Und Deutschland hat gerade sehr heftig auf die stark steigende Inzidenz der Delta-Variante in Portugal reagiert und verlangt 14 Tage Quarantäne auch für vollständig Geimpfte. „Das ist unverhältnismäßig“, kritisiert der Europaabgeordnete Peter Liese, Gesundheitsexperte der christdemokratischen Fraktion. Vor allem die Tatsache, dass die Quarantäne auch nicht durch Testen verkürzt werden, kann stört den Mediziner. Wenn nach dem Sommerurlaub die Quarantäne droht, wirkt das Versprechen des Impfasses leer.

Ein großes Problem des Impfzertifikats liegt darin, dass EU-Mitgliedsstaaten grundsätzlich selbst über ihre Grenzen entscheiden, und die EU-Kommission ihnen nur Empfehlungen geben kann. Liese fordert, dass sich die Mitgliedsstaaten stärker absprechen müssen, damit der Sommerurlaub 2021 gelingt. „Bisher läuft das nicht rund.“

Mehr zum Thema: Britische Touristen werden zum EU-Streitthema. Wegen der Delta-Variante kontrollieren Portugal und Spanien Briten jetzt strenger.

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