Stichwahl in der Türkei Die Probleme bleiben

Eine Erdbeben-Überlebende steht neben ihrem Zelt, eine große Flagge mit Erdogans Konterfei weht davor. Quelle: REUTERS

Erdogan wollte die Lira im Vorfeld der Wahlen schützen. Jetzt sind aber die Devisenreserven aufgebraucht und die Anleger reagierten verhalten auf die Stichwahl. Wie geht's weiter für die Türkei?

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Türkei-Touristen wundern sich derzeit über die ungewohnt hohen Preise. Ein Abendessen zu zweit mit einer Flasche Wein kostet in Istanbul derzeit kaum weniger als in Düsseldorf oder Berlin. Dabei war das Land in den vergangenen Jahren für seine niedrigen Preise bekannt. In regelmäßigen Abständen stürzte die türkische Lira in Euro und US-Dollar ab. Bis die Preise im Land nachzogen, vergingen stets ein paar Wochen, in denen Besucher ein Schnäppchen machen konnten.

Dieses Mal ist es andersrum: Die Preissteigerungen im Land sind schneller angezogen – und die Lira ist im Vergleich zu Euro und US-Dollar verhältnismäßig stark. Der Grund sind die massiven Goldverkäufe und andere Interventionen, um die Lira zu stützen. Erdogan wollte im Vorfeld der Wahlen einen weiteren Abwärtsrutsch der Lira verhindern.

Jetzt aber sind die Devisenreserven aufgebraucht. Lagen diese vor einem Jahr bei 1,4 Milliarden, klafft laut Financial Times bei der Zentralbank mittlerweile ein Minus von 13 Milliarden US-Dollar. Die Goldreserven liegen bei noch rund 15 Milliarden US-Dollar. Viele Analysten gehen deswegen davon aus, dass die Lira bald wieder abrutscht. Derzeit bekommt man für einen US-Dollar knapp 20 türkische Lira. Kurse von 1 zu 24 oder sogar 1 zu 30 gelten als realistisch.

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Erdogan hatte die absolute Mehrheit bei der Wahl am vergangenen Sonntag knapp verfehlt. Er kam auf 49,5 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer, der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu, auf 43 Prozent. Nur wenige trauen der Opposition noch große Chancen auf einen Sieg am 28. Mai zu. Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Stimmen des ultra-nationalistischen Kandidaten Sinan Ogan zu Erdogan gehen werden. Ogan war der Außenseiter der Wahl und kam überraschend auf 5,2 Prozent. Zwar waren schnell erste Zweifel über die Wahlergebnisse aufgetaucht. Einige Wahlkreise hatten Auffälligkeiten und Fälschungen gemeldet. Dass die Wahl aber offiziell angefochten wird, ist höchst unwahrscheinlich.

Wahlbeobachter der OSZE meldeten keine Unregelmäßigkeiten, und zudem dürften sie nichts daran ändern, dass eine Stichwahl am 28. Mai notwendig ist.



Die Börse reagierte verhalten auf das knappe Ergebnis. Am Montag nach der Wahl eröffnete der türkische Leitindex BIST 100 mit einem Minus von sechs Prozent, um sich im Laufe des Handelstags wieder leicht zu erholen. Doch die Talfahrt setzte sich im Laufe der Woche fort. Am Donnerstag vor einer Woche, als Muharrem Ince auf seine Kandidatur zu Gunsten der Opposition verzichtete, war der BIST 100 um acht Prozent gestiegen.

Zahlreiche Anleger hatten darauf spekuliert, dass die Türkei unter einer neuen Regierung wieder zu einer konventionellen Geld- und Wirtschaftspolitik zurückkehren würde. Die Rating-Agentur Moodys sagte: „Ein Wahlsieg Erdogans bedeutet wahrscheinlich eine Fortsetzung der unorthodoxen und nicht nachhaltigen Wirtschaftspolitik.“ Daraus resultiere eine hohe Inflation und Druck auf die Währung. Die Kosten, sich gegen einen türkischen Zahlungsausfall zu versichern („Credit Default Swaps“), stiegen am Montag sprunghaft an.
Sollte die Opposition wider Erwarten die Wahlen am 28. Mai doch gewinnen, tritt sie ein schweres Erbe an. Das Leistungsbilanz-Defizit des Landes ist nach wie vor enorm und erreichte Anfang dieses Jahres 24 Milliarden US-Dollar. Die Türkei importiert mehr als sie exportiert. So steht die Lira unter ständigen Abwertungsdruck. Importe werden teurer, was wiederum die Inflation anheizt.

So kann die Abwärtsspirale in der Türkei durchbrochen werden

Die Abwärtsspirale zu durchbrechen, ist eine komplexe und strukturelle Veränderung, die Jahre in Anspruch nehmen dürfte. Nötig hierfür sind Investitionen und ein Aufstieg in der Wertschöpfungskette. All dies gelinge leichter, wenn sich Rechtsstaatlichkeit und Investitionsklima bessern, was womöglich mit einer Oppositionsregierung eher der Fall wäre.

Der aktuelle Wahlkampf aber zeigt auch, dass dies nicht automatisch mit einer Niederlage Erdogans der Fall wäre: Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu stellt unter anderem das Flüchtlingsabkommen mit der EU in Frage, was zu Spannungen mit Europa führen wird. Für die Opposition scheint ohnehin klar, dass die Wahl nur noch mit den Stimmen von Rechtsaußen gewonnen werden kann, was zu einem populistischen und nationalistischen Wahlkampf führt. Kılıçdaroğlu veröffentlichte etwa am Mittwoch ein Video, in dem er ankündigte, so bald wie möglich, „zehn Millionen Flüchtlinge aus dem Land zu werfen“.

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Die AKP setzt dagegen auf nationales Prestige und Militär: Am Goldenen Horn in Istanbul liegt gerade die TCG Anadolu vor Anker, Ankaras einziger Flugzeug- und Dronen-Träger. Darauf zu sehen, ist der aktuelle Export-Schlager der Türkei, die Bayraktar-Dronen. Seit April dieses Jahres ist der Flugzeugträger offiziell Teil der Flotte. Über die genauen Kosten schweigt die Regierung. Zwischen 500 Millionen und einer Milliarde US-Dollar soll er gekostet haben.

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