Streit auf dem EU-Gipfel Europas Einheit bröckelt

Schluss mit Einigkeit? Der EU-Sondergipfel zeigt die Probleme in Europas Politik Quelle: dpa

Europa war bisher stolz auf seine Geschlossenheit gegenüber Russland. Beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am Montag werden allerdings die Bruchstellen sichtbar. 

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Bis zum letzten Moment ringen die Diplomaten. Nachdem die EU-Botschafter am Sonntag keinen Durchbruch beim geplanten gemeinsamen Ölembargo erzielen konnten, treffen sich die Diplomaten am Montag erneut, um doch noch eine gemeinsame Position zu erarbeiten. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings hoch, dass die Einigung ausbleibt.

Wenn dann am Nachmittag die Staats- und Regierungschefs in Brüssel zum Sondergipfel zusammenkommen, dürfte Ungarn seinen Widerstand aufrechterhalten. EU-Ratspräsident Charles Michel dürfte das geahnt haben, als er vergangene Woche anregte, das Thema Ölboykott beim EU-Sondergipfel gar nicht zu behandeln.

Knapp vier Wochen nachdem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stolz das EU-Ölembargo im Europäischen Parlament ankündigte, steht die EU vor einem großen Problem. Die anfangs so hoch gelobte Geschlossenheit gegenüber Russland bröckelt. Der EU-Sondergipfel verdeutlicht das mehr, als den Verantwortlichen lieb sein kann. Das Treffen überhaupt einzuberufen, war ein Fehler: Ohne Not zeigt Europa der Welt seine Bruchlinien. Ende Juni findet der nächste Gipfel statt, bei dem sich die uneinigen Camps wieder begegnen werden.

Putins Wirtschaft hält trotz Sanktionen überraschend lange durch – doch sie dürfte auf den technischen Stand der Achtzigerjahre zurückfallen. Sogar erstaunliche Comebacks wären möglich.
von Malte Fischer, Henryk Hielscher, Bert Losse, Rüdiger Kiani-Kreß, Maxim Kireev, Dieter Schnaas, Martin Seiwert, Cornelius Welp

Fehler wurden beim Ölembargo jedenfalls genügend gemacht. Mittlerweile geben selbst Diplomaten zu, dass der Schritt nicht ausreichend analysiert wurde, ehe sich die EU auf Druck der baltischen Staaten und Polen im Grundsatz darauf einigte. Die komplexen Folgen für ein Land wie Ungarn wurden erst allmählich klar. Wobei Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán die Situation auch nutzte, um Maximalforderungen zu stellen. Aber selbst die Kompromissangebote an Ungarn wie eine Ausnahme für Öl, das durch Pipelines nach Europa fließt und eine extrem lange Übergangsfrist von fünf Jahren, haben Orbán nicht zum Einlenken bewegt. Er fordert zusätzlich Milliardensummen, um sein Land unabhängig von russischem Öl zu machen.

Besonders bedenklich an der aktuellen Uneinigkeit: Das Ölembargo galt als vergleichsweise leicht durchsetzbar. Bisher hat niemand ernsthaft über ein Embargo von russischem Gas in der EU diskutiert, weil die Folgen als zu weitreichend gelten. Eine schnelle Abkoppelung ist nicht abzusehen, weil auch Deutschland bisher zu stark abhängig von russischem Gas ist.

Die Probleme des Ölembargos kommen freilich nicht völlig überraschend. Die USA hatten den Europäern schon vor Wochen vor einem solchen Schritt abgeraten, obwohl sie ihn selbst gegangen sind. Der EU-Gipfel droht so zu einer Schau der Uneinigkeit zu werden, die nur einem gefällt: Wladimir Putin. Auch bei der Frage, wie schnell der Ukraine EU-Kandidatenstatus zu garantieren ist, liegen die EU-Mitgliedsstaaten weit auseinander.

Dasselbe gilt für den Wiederaufbau der Ukraine, der diskutiert werden soll. Im Vordergrund steht dabei die Einbindung internationaler Partner. Ein weiteres Thema mit Spaltpotenzial: Ein Waffenstillstand in der Ukraine. Italien, Zypern und Ungarn wollen dies als Priorität in den Gipfel-Schlussfolgerungen verankern. Osteuropäische Staaten sind strikt dagegen, weil sie davon ausgehen, dass dies Russlands Präsident in die Hände spielen würde.

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Insgesamt wird von diesem Gipfel nicht das Signal ausgehen, dass Europa den Druck auf Putin erhöht. In Brüssel wird zwar schon von einem siebten Sanktionspaket gesprochen. Doch mit jedem Tag, an dem das sechste Paket in der Schwebe hängt, schwindet die Schlagkraft der Europäer.

Und unter den Staats- und Regierungschefs der EU findet sich niemand, der die Debatte in Schwung bringen könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron genießen in Osteuropa wenig Vertrauen, weil sie sich bisher nicht nachdrücklich genug hinter die Ukraine gestellt haben.

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Dynamik in den Patt in Brüssel könnte als einziger der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bringen. Er wird zu Anfang des EU-Sondergipfels aus Kiew zugeschaltet. Kurz nach der russischen Kriegserklärung im Februar hatte er bereits einmal das Unwahrscheinliche möglich gemacht und die Staats- und Regierungschefs in einer emotionalen Ansprache zum Swift-Embargo bewogen. Seine Botschaft dürfte auch am heutigen Montag klar sein: Europa soll den Druck auf Russland aufrechterhalten – und Putins Krieg nicht mit Ölimporten finanzieren.


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