Frau Wagenknecht, wenn Sie sowohl niedrigere Löhne in Griechenland als auch die Wiedereinführung der Drachme ablehnen, heißt das im Umkehrschluss: Sie wollen den Staatsbankrott Griechenlands?
Wagenknecht: Man hätte Griechenland schon vor zwei Jahren ermöglichen sollen, den Schuldendienst einzustellen.
Sarrazin: In diesem Punkt sind wir uns ausnahmsweise einig. Wäre ich im Herbst 2009 in Griechenland Finanzminister gewesen, hätte ich gesagt: Leute, die Insolvenz ist die beste und sauberste Lösung. Ich verzichte gerne auf weiteren internationalen Kredit, wenn ich keine weiteren Zinsen zahlen muss. Allerdings hätte das auch bedeutet: der Austritt aus dem Euro.
Ein vollständiger Zahlungsausfall Griechenlands hätte das Vertrauen in das Land noch schwerer erschüttert, als es ohnehin der Fall ist. Möglicherweise hätte sich das Land auf Jahrzehnte nicht mehr am Kapitalmarkt verschulden können – oder nur zu astronomisch hohen Zinsen.
Wagenknecht: Durch einen Staatsbankrott hätten sich die Defizite ohne Zinsen auf einen Schlag radikal verringert. Das verbleibende Defizit wäre durch Direktkredite der EZB zu überbrücken gewesen. Das wäre ohnehin der beste Weg, um die Staaten von den Launen der Finanzmärkte unabhängig zu machen. Das derzeitige System ist doch absurd. Die EZB gibt den privaten Banken billiges Geld für einen Zins von einem Prozent – allein eine Billion im vergangenen halben Jahr. Die Banken nehmen das Geld und geben es beispielsweise an den spanischen Staat weiter – für aktuell über sechs Prozent. Wenn die Zentralbank das gleiche Geld direkt dem Staat geben würde, hätten die Spanier, Italiener oder Portugiesen weit geringere Defizite, weil sie nicht diese Horrorzinsen zahlen müssten.
Sie fordern ernsthaft, dass die EZB die Druckerpresse anwerfen und die Staatsdefizite Südeuropas finanzieren soll?
Wagenknecht: Die Druckerpresse läuft doch längst, und die Banken verdienen prächtig daran. Wenn die EZB Staatsanleihen kauft, dann allenfalls auf dem Sekundärmarkt.
Weil alles andere verboten ist.
Wagenknecht: Wenn die Staatsverschuldung nicht weiter eine risikolose Profitmaschine für die Banken sein soll, muss das heutige System verändert werden.
Sarrazin: Einspruch! Das wäre ein gefährlicher Dammbruch, der ein neues Inflationszeitalter einläuten würde. Was Sie da fordern, würde in fünf, sechs Jahren zu hoher Inflation im ganzen Euro-Raum führen. Außerdem überschreitet die EZB ihr Mandat, wenn sie ihre Geldpolitik von der Frage abhängig macht, ob Länder ihre Staatsschulden finanzieren können.
Wagenknecht: Wenn Gelddrucken die Inflationsgefahr erhöht, gilt das heute auch. Wenn die EZB das Geld den Staaten direkt gibt und nicht mehr den Umweg über die privaten Banken nimmt, muss sie weniger Geld in den Kreislauf pumpen als derzeit. Solange Europa von der Rezession geschüttelt wird, ist Inflation ohnehin unwahrscheinlich.