Herr Osbild, geht es Ihnen – ich formuliere es mal etwas vorsichtiger als Herr Schui – darum, dass die Auslöser der Krise erfahren sollen, was sie angerichtet haben? Wollen Sie den Südeuropäern für ihren hohen Konsum, für ihre hohen Ausgaben nun die Rechnung überreichen?
Osbild: Nein, das ist Unfug. Europa hat sich nicht auf eine Sparpolitik für die Südländer geeinigt, weil man jemanden bestrafen will. Vielmehr sind die entsprechenden Länder an den Kapitalmärkten ihre Staatsanleihen nicht mehr zu vertretbaren Renditen losgeworden. Das ist doch der Ausgangspunkt der Euro-Krise und der Rettungsmaßnahmen. Die Investoren hatten Zweifel, dass die enormen Defizite und Schulden, die verbucht wurden, je wieder ausgeglichen würden. Deswegen haben sie hohe Risikoprämien verlangt. Inzwischen musste schon die EZB eingespringen und ankündigen, zur Not auch Schrottpapiere zu kaufen, um die Investoren bei Laune zu halten. Das kann ja wohl nicht der richtige Weg sein. Die Schulden müssen abgebaut werden. Aus dem einfachen Grund: Wir müssen den südeuropäischen Ländern wieder den Zutritt zu den Kapitalmärkten ermöglichen.
Wo sich die Schuldensünder der Euro-Zone verbessert haben
Haushaltsdefizit (Anteil am Bruttoinlandsprodukt ohne Bankenhilfe)
Griechenland
2009: -15,7 % 2013: -2,1 %
Portugal
2009: -10,2 % 2013: -4,5 %
Spanien
2009: -11,1% 2013: -6,6 %
Irland
2009: -12,4 % 2013: -6,7 %
Eurozone
2009: -6,4 % 2013: -3,0 %
Leistungsbilanzdefizit*
Die Exporte von Portugal (+37 %) und Spanien (+35%) haben zwischen 2009 und 2013 schneller zugelegt als in Deutschland (+33%)
Griechenland
2009: -14,4 % 2013: -2,3 %
Portugal
2009: -10,8 % 2013: +0,4 %
Spanien
2009: -4,8 % 2013: +1,1 %
Irland
2009: -2,3 % 2013: +7,0 %
Eurozone
2009: +0,2 % 2013: +2,7 %
(*im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt)
Die Schuldenkrise bescherte Griechenland, Spanien, Portugal und Irland eine tiefe Rezession. In Spanien sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 7,5 Prozent, in Portugal um 8,5 Prozent und in Griechenland sogar um 20 Prozent. Für 2014 erwarten Analysten nach fünf Jahren endlich überall wieder Wachstum - wenn auch nur in vergleichsweise kleinem Umfang. Allerdings ist dabei auch der Abstand zwischen Peripherie und den Kernländern.
Wirtschaftsvertrauen der EU-Kommission.
Den Tiefpunkt erreichte die Stimmung 2009. Bei der Erhebung im April 2015 war der Wert nur noch in Griechenland leicht unterdurchschnittlich.
Griechenland
2009: 74,8* April 2014: 95,4
Portugal
2009: 75,4 April 2014: 100,6
Spanien
2009: 73,8 April 2014: 101,5
Eurozone
2009: 70,1 April 2014: 102,0
(100 Punkte = langfristiger Durchschnitt; keine Werte für Irland)
In den ersten Jahren nach der Euro-Einführung haben die Peripherieländer ihre Lohnstückkosten deutlich gesteigert. Seit 2010 gab es einen deutlichen Richtungswechsel. Nach den Berechnungen des Anleihenmanagers Bantleon ist der zuvor aufgebaute Wettbewerbsnachteil durch hohe Lohnstückkosten inzwischen verschwunden
Entwicklung der Lohnstückkosten seit Anfang 2009:
Griechenland -15,0 %
Portugal -6,6 %
Spanien -7,6 %
Irland -13,0 %
Eurozone +3,0 %
Auch wenn es in der Öffentlichkeit oft so ankommt, als würden würden die Krisenländer in der Euro-Peripherie sich mit der Umsteuerung schwertun, so wurden doch weitreichende Reformen am Arbeitsmarkt, in den Renten- und Steuersystemen sowie Verwaltungen vorgenommen. Das etwa der Arbeitsmarkt flexibler geworden ist, belegt der Employment Protection Index der OECD. Je niedriger sein Wert, um geringer die Regulierung am Arbeitsmarkt durch Kündigungsschutz, Abfindungszahlungen, Probezeiten, etc.) Bis auf Irland habe sich alle Krisenländer verbessert.
Griechenland
2008: 2,9 2013: 2,4
Portugal
2008: 3,5 2013: 2,7
Spanien
2008: 2,7 2013: 2,3
Irland
2008: 2,0 2013: 2,1
Eurozone
2008: 2,4 2013: 2,3
Schui: Absolut richtig. Die Schulden müssen gesenkt werden. Aber nochmal: Die Frage ist doch, wie das gelingen kann. Welche Ausgabenpolitik schafft das höchste Wachstum? Doch nicht eine rigide Sparpolitik! Diese vergrößert die Not, da sie die Wirtschaft abwürgt, die Steuereinnehmen reduziert und damit den Schuldenabbau blockiert.
Was haben Sie gegen Konjunkturpakete, Herr Osbild?
Osbild: Hier lohnt ein Blick auf John Maynard Keynes. Er hat in den Dreißigerjahren festgestellt, dass die damaligen Krisen in der geringen Nachfrage begründet liegen. Wenn die Nachfrage sinkt, so Keynes, muss der Staat die Wirtschaft stimulieren. Die zentrale Frage ist: Handelt es sich um Konjunkturausschläge, die wir mit staatlichen Konjunkturprogrammen oder einer Politik des billigen Geldes korrigieren können oder liegen die Ursachen woanders?
Sie lehnen Konjunkturpakete also nicht per se ab?
Osbild: Ich würde mich allenfalls für eine passive keynesianische Politik aussprechen. Das heißt: Wenn keine Strukturprobleme vorliegen und die Nachfrage sehr gering ist, sollten krisenbedingte Steuerausfälle und Ausgabensteigerungen für die Arbeitslosen durch öffentliche Kredite abgefangen werden. Allerdings müssen dann auch in den Boomjahren die Ausgaben gedrosselt und die Steuern wieder erhöht werden. Das ist aber in den sechs Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nur ganz vereinzelt geschehen. Keynesianismus wurde bisher immer nur als Einbahnstraße – als Freifahrtschein für höhere Ausgaben und Schulden – verstanden.
Ganz konkret: Waren die Konjunkturprogramme richtig, die die Bundesregierung auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 und 2009 aufgelegt hat?
Osbild: Sie waren unnötig. Die Abwrackprämie hat vor allem den Autobauern Kunden gebracht, die kleine Pkw bauen, das sind nicht unbedingt die deutschen Hersteller. Das Bildungspaket greift langfristig, hatte also keinen kurzfristigen Einfluss. Ich würde die Wirkung der Konjunkturprogramme also nicht überbewerten.