Szenarien für Großbritannien Wachstum in Sicht – bei weichem Brexit

Brexit: mögliche Szenarien für Großbritannien Quelle: AP

Die britische Wirtschaft steht vor einem „Wachstumsspurt“, verspricht eine Analyse der Privatbank Berenberg. Wenn nur der Brexit nicht hart ausfällt. Dafür gibt es mehrere Szenarien.  

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Für einen Ökonomen ist die Versuchung der Zahlen offenbar einfach zu groß, um ihr zu widerstehen. Der Londoner Chef-Analyst der hamburgischen Privatbank Berenberg, Kallum Pickering, hat sich den Brexit vorgeknöpft – und bietet pünktlich zur Unterhaus-Debatte in London für die fünf denkbaren Ergebnisse jeweils eine bezifferte Wahrscheinlichkeit an.

Mit 45 Prozent Wahrscheinlichkeit werde demnach „May’s Deal“ verwirklicht, also der mit der EU ausgehandelte Austrittsvertrag. Immerhin 20 Prozent räumt Pickering dem harten Brexit (also dem Ausstieg ohne Vertrag, „No Deal“) ein, jeweils 12,5 Prozent einem kompletten Verbleib und einem Beitritt Britanniens zum Europäischen Wirtschaftsraum (wie Norwegen), zehn Prozent einer „Zoll- und Güter-Markt-Union“. An der zentralen Stelle in dem Schaubild, dass die Entscheidungswege bei verschiedenen Abstimmungsergebnissen und möglichen Neuwahlen abbilden soll, kann Pickering allerdings nur eine „Black Box“ einzeichnen: eine undurchschau- und unvorhersagbare Entscheidungsfindung.

Es ist völlig offen, ob Premierministerin Theresa May bei der Abstimmung im Unterhaus am 11. Dezember eine Mehrheit für den Brexit-Vertrag erhält. Die Hardline-Brexiteers in ihrer eigenen Konservativen Partei und möglicherweise die zehn Abgeordneten des nordirischen Koalitionspartners DUP werden den Vertrag wohl ablehnen. Ob diese Ablehnungen durch Zustimmungen aus der Opposition der Labour-Partei, der schottischen Nationalisten und der Liberaldemokraten ausgeglichen werden können, ist ebenfalls unsicher.

Pickering erwartet allerdings, dass in einem zweiten Wahlgang der Druck sehr groß sein werde, einen harten Brexit zu verhindern, so dass es dann doch noch zu einer Mehrheit für den Vertrag kommen könnte. Für den Fall des Scheiterns sieht Pickering vier mögliche Szenarien:

  • Großbritannien stolpert in den harten Brexit: Es sei möglich, dass die „Hardline Remainers“ (die Anhänger des Verbleibs) und die Gemäßigten unter den Konservativen zwar die Regierung im Amt halten, aber keine eigenen Mehrheiten für jegliche neuen Brexit-Gesetze zustande bringen werden. Das würde zu einem völlig unregulierten Ausstieg und letztlich zu einer Staatskrise führen. Das wäre zweifellos das schlechteste Szenario auch für die Wirtschaft.
  • Eine Pro-EU-Mehrheit übernimmt: Aufgrund der knappen Parlamentsmehrheit der Konservativen und der DUP ist Mays Regierung auf beide angewiesen, Brexiteers und Remainers in ihrer Partei. So wie die Hardline Brexiteers den ausgehandelten Vertrag hintertreiben können, indem sie ihn am 11. Dezember ablehnen, könnten die Remainer unter den Konservativen Mays Regierung zwingen, auch nach der möglichen Ablehnung des Vertrags noch bis März Schritte gegen einen harten Brexit zu unternehmen. Das könnte bis zu der Drohung gehen, der Regierung komplett das Vertrauen zu entziehen und sie dadurch zu stürzen.

  • Ein zweites Referendum: Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Konservativen dafür entscheiden, weil es die über den Brexit zerstrittene Partei völlig zerreißen könnte. Für wahrscheinlicher halten die Berenberg-Analysten ein neues Referendum, wenn es zuerst Neuwahlen gäbe, die eine Koalitionsregierung von Labour, Liberaldemokraten und schottischen Nationalisten an die Regierung brächten. Vor allem die Liberaldemokraten und die schottischen Nationalisten machen sich für den Verbleib in der EU stark.

  • Vorgezogene Neuwahlen: Wenn die konservative Regierung auseinanderfiele und Neuwahlen nötig würden, stiege die Unsicherheit. Wenn die Labour-Partei unter ihrem linken Chef Jeremy Corbyn eine absolute Mehrheit gewönne – was eher unwahrscheinlich ist – würde dessen Regierung vermutlich einen noch weicheren Brexit verhandeln mit kompletten Verbleib in der Zollunion. Wenn sie die Unterstützung der Liberaldemokraten und schottischen Nationalisten nötig hätte, würden diese möglicherweise ein neues Referendum verlangen.

Aus seinen eigenen Vorlieben macht der Berenberg-Analyst keinen Hehl: Die langfristigen wirtschaftlichen Aussichten sieht er umso positiver, je weniger hart der Ausstieg ausfällt. „Wachstumsspurt in Sicht falls ein harter Brexit vermieden wird“, lautet die Überschrift seiner Studie. Bei einem Verbleib erwartet er mehr als zwei Prozent BIP-Wachstum in den kommenden Jahren, bei einem harten Brexit weniger als 1,5 Prozent.

Die Abhängigkeit der britischen Wirtschaft von der EU sei sehr viel größer als umgekehrt, so Pickering. Rund zwölf Prozent des britischen Bruttoinlandsprodukts beruhen auf Exporten in EU-Länder. „Nachdem Großbritannien durch das Brexit-Votum ans untere Ende der Wachstumsliga der G7-Staaten rutschte, kann es wieder einige Ränge gut machen, falls der harte Brexit vermieden wird“, schreibt Pickering. Denn die britische Realwirtschaft sei eigentlich in guter Verfassung.

Das Brexit-Votum von 2016 hat laut Pickering „einen langen Schatten des Zweifels auf die langfristigen Wachstumsaussichten des Vereinigten Königreichs geworfen“. Die Investitionen der Privatwirtschaft haben seither kaum zugenommen. Das werde sich ändern, so der Berenberg-Analyst, „wenn das Risiko des harten Brexit aus dem Weg geräumt wurde.“  Das britische Pfund werde „auf dem Rücken eines Brexit-Deals“ wieder steigen. Das schwache Abschneiden britischer Aktien im internationalen Vergleich, werde ab 2019 korrigiert.

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