Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel die neue britische Premierministerin Theresa May am Mittwoch Abend zu einem Antrittsbesuch in Berlin empfängt, ist die Aufmerksamkeit groß. Erstmals seit dem Votum für einen EU-Ausstieg werden sich die Kanzlerin und ihr britisches Pendant gegenüberstehen. Das Aufeinandertreffen wird ein erster Stimmungstest für das deutsch-britische Verhältnis im Schatten des Brexits sein.
Denn bei Höflichkeitsfloskeln wird es wohl nicht bleiben. Merkel erhofft sich von May erste Auskünfte, wie sie die Beziehungen zur EU künftig gestalten will. May wiederum wird abklopfen, ob Merkel nicht doch eine Hintertür für informelle Vorgespräche öffnet, bevor Großbritannien offiziell den einschlägigen Artikel 50 des EU-Vertrags auslöst.
Doch beide Spitzenpolitikerin wissen, dass viel von ihrem Geschick abhängen wird. Denn am Ende wird das Brexit-Duo May und Merkel in einer Brüsseler EU-Gipfelnacht eine Übereinkunft suchen müssen, die am besten keinen Verlierer haben sollte – und dafür gibt es zahlreiche Gründe.
Theresa May wird neue Premierministerin
Gegen May war zum Schluss nur noch eine einzige Konkurrentin bei den Konservativen im Rennen: Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom. Die zog sich aber am Montag plötzlich aus dem Rennen um die Nachfolge Camerons zurück. Ihre Begründung: Das Land brauche rasch eine neue Führung und keinen langen Wahlkampf vor einer Urwahl der Parteibasis. Noch am späten Nachmittag wurde May offiziell zur Chefin der Konservativen Partei ernannt.
Die Referenzen der 59-Jährigen sind ausgezeichnet: Die seit 2010 amtierende Innenministerin in zwei Cameron-Kabinetten verantwortet schwierige Themen wie Einwanderung und Terrorabwehr. Mitarbeiter beschreiben sie als kompetent, freundlich und sehr ehrgeizig. Damit stehen die Zeichen für eine Einigung der zerstrittenen Tories gut. May will die Rolle der Versöhnerin übernehmen.
Nein. May möchte als Premierministerin sicherstellen, dass Großbritannien die EU verlässt. Es soll keine Versuche geben, „durch die Hintertür“ doch in der Union zu bleiben. „Brexit bedeutet Brexit - und wir werden einen Erfolg daraus machen“, betonte sie. May plädierte während des Brexit-Wahlkampfs für den Verbleib in der EU - aber das tat sie derart diplomatisch geschickt, dass es kaum auffiel.
Viel schneller als gedacht - an diesem Mittwoch. Cameron hatte nach seiner Niederlage beim Brexit-Referendum seinen Rücktritt erst für September in Aussicht gestellt. Am Montagnachmittag kündigte er nun an, dass seine letzte Kabinettssitzung schon an diesem Dienstag sein werde - und er am Mittwoch Königin Elizabeth II. seinen Rücktritt anbieten wolle. Die Queen ist derzeit nicht in London und kommt erst Mittwoch wieder. Nur sie kann Cameron entlassen - eine reine Formsache.
Hier zeichnet sich ein Hauen und Stechen ab. Parteichef Jeremy Corbyn weigert sich zu gehen. Doch jetzt hat sich die Abgeordnete Angela Eagle bereit erklärt, den 67-Jährigen in einer Urwahl der Parteibasis herauszufordern. Doch das ist ein Risiko, Corbyn wurde erst im September 2015 von der Basis an die Macht gewählt, mit rund 60 Prozent der Stimmen. Der Altlinke Corbyn kann nach wie vor auf breite Unterstützung der Basis hoffen.
1. Die Wirtschaftsstärke der Briten
Großbritannien ist die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas. Ohne die Briten würde der EU-Binnenmarkt um 15 Prozent kleiner. Die Experten der DZ Bank haben ausgerechnet: Im schlimmsten Fall drohen der deutschen Wirtschaft wegen des Brexits allein bis 2017 Einbußen von bis zu 45 Milliarden Euro – was der exportstarken deutschen Industrie nicht gefallen dürfte.
Laut Statistischem Bundesamt ist Großbritannien im vergangenen Jahr mit rund 89,3 Milliarden Euro der drittwichtigste Exportmarkt für Deutschland gewesen. BMW unterhält beispielsweise mit Mini und Rolls Royce nicht nur zwei britische Marken auf der Insel – die Münchener lassen auch auf der Insel produzieren und betreiben dort vier Werke. Die Außenhandelsbilanz betrug 31 Milliarden Euro. Über 2500 deutsche Unternehmen haben eine Niederlassung im Vereinigten Königreich. Zusammen bilden sie dort einen Kapitalstock von etwa 130 Milliarden Euro und beschäftigen rund 400.000 Mitarbeiter.
2. Die Zahlkraft in der Insel in der EU
Margret Thatcher hat für Großbritannien in den 80er Jahren mit dem legendären Slogan „I want my money back“ einen Rabatt für ihr Land bei den EU-Beiträgen ausgehandelt. Auch mit Rabatt ist das Land jedoch bis heute ein Nettozahler der EU, weshalb ein Austritt die Lasten für die übrigen Mitglieder signifikant erhöhen könnte.
Sollte sich Großbritannien dagegen für ein Modell wie Norwegen entscheiden (Zugang zum EU-Binnenmarkt gegen Beitrag), würden die Briten weiter Milliarden Euro einzahlen. Für Deutschland allein stehen bei dieser Frage nach Schätzung der Bertelsmann Stiftung dadurch Mehrausgaben von 2,5 Milliarden Euro im Feuer - was auch ein Teil der Neugier von Merkel erklärt, möglichst bald von den Briten zu wissen, wie sie sich ihre Zukunft in Europa vorstellen.