Guy Verhofstadt, Chef der Liberalen im EU-Parlament, sagte es klipp und klar: Die britischen Parteien im Unterhaus müssen aus ihren Schützengräben herauskommen, endlich eine gemeinsame Position entwickeln und der EU deutlich machen, was sie eigentlich wollen. Bisher wisse man in Brüssel nämlich nur, was die Mehrheit ablehne. Neue Versuche, durch weitere Verhandlungen zwischen London und Brüssel aus der Sackgasse zu kommen, in die sich Großbritannien nach der Ablehnung des EU-Scheidungsabkommens hineinmanövriert hat, ergeben nur dann Sinn, so der Belgier. „Bitte, bitte, bitte, sagt uns endlich, was ihr erreichen wollt“, brachte es der CSU-Politiker und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, auf den Punkt.
Die Londoner „Times“ berichtete, in Brüssel würden Pläne geprüft, den Brexit um mehrere Monate zu verschieben. Voraussetzung sei aber: „Großbritannien muss mit einem Plan kommen“. Der Ball liegt also erst einmal in London. Denn nachdem das Unterhaus am Dienstag dem von Premierministerin Theresa May und der EU ausgehandelten Brexit-Abkommen den Todesstoß versetzt hatte und die Regierungschefin mit knapper Mehrheit Dienstagabend ein Misstrauensvotum für sich entschied, muss nun schleunigst eine konsensfähige Alternativlösung für den 585 Seiten dicken Vertragsentwurf her.
Bis Montag, 21. Januar, hat die Regierungschefin Zeit, um einen Plan B vorzulegen. Über den soll am 29. Januar im Parlament abgestimmt werden - nur zwei Monate vor dem vereinbarten Brexit-Termin. Somit bleiben May nur acht Tage, um eine Mehrheit der Abgeordneten für ihren Plan zu gewinnen.
Was also muss May jetzt tun, um einen Vorschlag zu konzipieren, der Chancen hat, angesichts der massiven Vorbehalte von Euroskeptikern und Europafreunden in ihrer eigenen Partei und bei der Opposition über die parlamentarischen Hürden zu kommen aber gleichzeitig auch den Ansprüchen der EU zu genügen? Leicht wird das nicht, schließlich hatte es 17 Monate und einige lange Verhandlungsnächte gedauert, bis im November der ursprüngliche Entwurf fertiggestellt war. Stein des Anstoßes ist vor allem die Grenzfrage in Nordirland und die umstrittene Auffanglösung, der „Backstop“, der Schlagbäume zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz im Norden der Insel verhindern soll.
„Wir müssen konstruktiv zusammenarbeiten, um abzustecken, was das Parlament will“, verkündete May am späten Mittwochabend vor ihrem Regierungssitz in der 10 Downing Street. Sie habe deshalb Politiker aller Parteien zu Beratungen eingeladen, um einen Weg für eine Lösung zu finden und mit einigen Oppositionspolitikern bereits Gespräche über den weiteren Brexit-Kurs geführt, sagte May. Auch Labour, die größte Oppositionspartei, sei aufgerufen, mit ihr zu diskutieren. Ihre Tür stehe offen. Und sofort wurde klar: es gibt ein riesiges Problem. Denn Labour-Chef Jeremy Corbyn macht seine Teilnahme davon abhängig, dass May die Option eines Ausstiegs ohne Abkommen, den sogenannten No-Deal-Brexit, von vornherein vom Tisch nimmt. May will das partout nicht. Ein schlechter Auftakt für Gespräche.
Um einen Kompromiss zu finden, der sowohl im britischen Unterhaus mehrheitsfähig als auch für die EU akzeptabel ist, wird also großes Verhandlungsgeschick erforderlich sein. Doch gerade das gehört nicht zu den Stärken der Regierungschefin. Zwar hat sie sich für ihre stoische Beharrlichkeit viel Anerkennung eingehandelt, gleichzeitig geht diese sture Haltung aber auch mit einem gewissen Mangel an Flexibilität und ihrem viel kritisierten roboterhaften Auftreten einher, das der Premierministerin den Spitznamen „Maybot“ eingetragen hat. Er stammt aus dem Wahlkampf von 2017, als sie gebetsmühlenartig die Floskel wiederholte, nur sie garantiere eine „starke und stabile Führung“ - ohne sich auf weitergehende Diskussion mit den Wählern einzulassen.