Herr Langen von der Goltz, seit Jahren lautet Ihre Parole: "Nur die EZB kann Europa retten." Wieso nehmen Sie die Nationalstaaten aus der Verantwortung?
Eckart Langen v. d. Goltz: Die Verschuldung der Nationalstaaten ist fast drei Mal so hoch wie vor der großen Depression Ende der Zwanzigerjahre. Wir müssen aus dem Würgegriff der enormen Verschuldung und der Konjunkturschwäche kommen; das wird uns nicht mit den gängigen Wirtschaftstheorien gelingen. Der Welt droht ein Flächenbrand. Den können nicht die Nationalstaaten allein durch ein paar Reformen hier, ein paar Anpassungen da löschen – sondern nur die EZB, die über grenzenlose finanzielle Möglichkeiten verfügt.
Polleit: Die Frage ist – bevor man eine Rezeptur erstellt – was die Ursache der Krise ist. Das Problem ist das ungedeckte Papiergeldsystem. Der Dollar, der Renminbi und auch der Euro sind ungedeckte Papiergeldwährungen. Sie führen zu spekulativen Blasen, zu Boom&Bust-Zyklen.
Zum Hintergrund
Eckart Langen v.d. Goltz ist Gründer und Mehrheitsgesellschafter der PSM Vermögensverwaltung GmbH in Grünwald bei München. Sein Unternehmen, das er 1965 gegründet hat, verwaltet ein Kundenvermögen von etwa 900 Millionen Euro. Ab einem Vermögen von einer Millionen Euro bietet PSM eine individuelle Verwaltung an. Eine standardisierte Vermögensverwaltung können Kunden ab 100.000 Euro eröffnen.
Dr. Thorsten Polleit ist Chefökonom bei Degussa Goldhandel in Frankfurt. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschafslehre an der Universität Bayreuth, Partner der Polleit & Riechert Investment Management LLP und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland.
Die Europäische Zentralbank kämpft gegen die Konjunkturschwäche in Europa. Die Notenbank versucht, mit einer Politik des billigen Geldes die Wirtschaft anzukurbeln. Der Leitzins wurde nahe Null heruntergesetzt, auch Staatsanleihenkäufe – die ihr laut Mandat verboten sind – werden nicht ausgeschlossen. Kritiker sprechen von einem Machtmissbrauch der EZB und warnen vor einer drohenden galoppierenden Inflation.
Eckart Langen v. d. Goltz: Unser ganzer Wohlstand beruht auf dem Papiergeldsystem. Hinter dem System, sei es Euro oder Dollar, stehen keine leeren Versprechungen, sondern eine enorme Kaufkraft und eine verlässliche Infrastruktur. Die Kaufhäuser quellen über vor Waren. Wir schwimmen nicht in Papiergeld, sondern in einem Meer von Schulden. Ohne neues Papiergeld, ohne Kredite, gibt es kein Wachstum. Die Industrie könnte keine Maschinen auf Pump anschaffen, Privatleute keine Immobilien auf Kredit kaufen.
Polleit: Es ist ein Fehler zu glauben, eine Volkswirtschaft brauche eine steigende Geldmenge, um wachsen zu können. Geld hat nur eine Funktion: die Tauschmittelfunktion. Wenn man die Geldmenge erhöht, bringt das keinen volkswirtschaftlichen Nutzen. Anders als die Ausweitung von Produktions- oder Konsumgütermengen.
Eckart Langen v. d. Goltz: Die Amerikaner haben in den letzten sechs Jahren 8000 Milliarden neue Schulden gemacht. Finanziert von der Notenbank Fed. Das ist der Grund, dass sich die USA heute in einem relativ guten Zustand befindet. Die Erhöhung der Geldmenge hat fundamentale Verbesserung gebracht: Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Wenn wir in Europa dasselbe getan hätten, gäbe es keine Euro-Krise.
Die Szenarien für den Euro-Raum
Was passiert: Alles bleibt beim Alten
Wahrscheinlichkeit: Hoch
Folgen: Instabile Konjunkturentwicklung und hohes Maß an Planungsunsicherheit für europäische Unternehmen
Was passiert: Griechenland verlässt die Euro-Zone
Wahrscheinlichkeit: Mittel
Folgen: Schwindendes Vertrauen in den Euro und Gefahr eines Dominoeffekts für Italien, Spanien, Portugal und Irland
Was passiert: Euro-Bonds mit gemeinsamer Schuldenhaftung
Wahrscheinlichkeit: Mittel
Folgen: Stabilisierung der Finanzmärkte, mehr Planungssicherheit für Unternehmen, aber mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung
Was passiert: Aufspaltung der Euro-Zone mit Nord- und Süd-Euro
Wahrscheinlichkeit: Gering
Folgen: Starker Nord-Euro gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der Nord-Zone und die Stabilität der innereuropäischen Lieferketten
Thorsten Polleit: Sie können per Kreditvergabe permanent neues Geld schaffen…
Eckart Langen v. d. Goltz: Gott sei Dank!
Thorsten Polleit: …, aber das löst die Krise nicht. Im Gegenteil: Irgendwann entsteht eine Überschuldungssituation. Und dann sind die Kreditgeber nicht mehr bereit, das Spiel mitzumachen. Das haben wir 2008/2009 fast gesehen. Dauerschuldner können ihre Zinsen nicht mehr bezahlen und das ganze System kollabiert. Die Verschuldung baut sich immer weiter auf im Papiergeldsystem.
Eckart Langen v. d. Goltz: Gott sei Dank, sage ich!
Thorsten Polleit: Eigentlich sind die Staaten doch schon insolvent. Der Kollaps wurde nur verhindert, indem Marktmechanismen außer Kraft gesetzt wurden. Der Zins ist von der EZB künstlich hergesetzt worden; man hat Garantien ausgesprochen für strauchelnden Schuldner. Nur so wird das potemkinsche Dorf über Wasser gehalten.
"Die EZB muss Staatsanleihen kaufen"
Wie kommen wir aus dem Teufelskreis der fortwährenden Verschuldung und Insolvenzverschleppung der Staaten heraus?
Thorsten Polleit: Wir brauchen einen Markt für Geld – wie es auch einen Markt gibt für Turnschuhe, Äpfel und Urlaubsreisen. Sie haben die Freiheit, für Supermarktkäufe, den Euro zu verwenden, aber auch den Yen oder einen Bitcoin.
Eckart Langen v. d. Goltz: Ich halte nichts von Bitcoins. Wo kommen die her? Wer garantiert ihren Wert? Wer produziert sie?
Thorsten Polleit: Der Bitcoin ist eine Entwicklung des freien Marktes. Es handelt sich um eine Cybereinheit. Sie wird produziert durch Computerberechnungen in einem Netzwerk von Menschen, die sich zusammengeschlossen haben.
Eckart Langen v. d. Goltz: Der freie Markt muss reguliert werden! Warum haben wir eine Bankenkrise erlebt? Weil sie unverantwortlich Kredite vermittelt haben. Da fehlten Kontrolle und Regularien.
Lassen Sie uns zurückkommen auf die Euro-Krise und die Rettungsprogramme. Herr Langen von der Goltz, stimmen Sie der Analyse zu, dass die EZB viel Geld in den Markt gepumpt hat, es den Wirtschaften in Südeuropa aber keinen Deut besser geht? Stattdessen erleben wir eine Blasenbildung: an den Aktienmärkten, bei den Immobilienpreisen.
Eckart Langen v. d. Goltz: Durch die Nullzinspolitik sind selbstverständlich Blasen aufgebaut worden, die nichts mit der Realwirtschaft zu tun haben. Das ist eindeutig richtig. Jetzt gilt es, die richtigen Schlüsse zu ziehen: Ja, die Nullzinspolitik trägt nicht mehr zur Lösung bei. Aber auch die Sparpolitik ist gescheitert. Kein Staat der Welt hat seine Schulden je durch Sparen abgebaut! Wir brauchen eine höhere Verschuldung; die EZB muss ABS-Papiere und Staatsanleihen aufkaufen.
Reaktionen auf EZB-Zinssenkung und Wertpapierkäufe
Die EZB senkt im Kampf gegen eine drohende Deflation ihren Leitzins überraschend auf das neue Rekordtief von 0,05 Prozent. Der Schlüsselsatz für die Versorgung des Bankensystems mit Zentralbankgeld lag seit Juni bei 0,15 Prozent. In der anschließenden Pressekonferenz kündigte Zentralbank-Chef Mario Draghi zudem an, dass die EZB sogenannte Kreditverbriefungen (ABS) sowie Pfandbriefe aufkaufen wird. Ökonomen und Händler sagten dazu in ersten Reaktionen:
"Die EZB hatte ihr Pulver schon viel zu früh verschossen und die Zinsen zu weit gesenkt. Jetzt ist sie in der Liquiditätsfalle. Sie kann an dieser Stelle kaum noch etwas tun. Bedauerlicherweise deutet sich auch der Kauf von Anleihen durch die EZB an. Damit würde sie das Investitionsrisiko der Anleger übernehmen, wozu sie nicht befugt ist, weil es sich dabei um eine fiskalische und keine geldpolitische Maßnahme handelt. Eine solche Politik ginge zulasten der Steuerzahler Europas, die für die Verluste der EZB aufkommen müssten."
"Die Notenbanker argumentieren mit den zuletzt schwachen Konjunkturdaten und der geringen Inflation. Auch die gesunkenen mittelfristigen Inflationserwartungen wurden thematisiert. In diesem Zusammenhang wurden auch die Projektionen für Wachstum und Inflation in diesem Jahr nach unten angepasst. Insofern bleibt die Tür für weitergehende Lockerungsschritte weit geöffnet."
"EZB-Chef Mario Draghi hat geliefert, warum auch immer. Für uns ist das nicht gerade eine glückliche Maßnahme. Alle Banken und Vermögensverwalter sind jetzt in noch größerer Not, ihre Liquidität irgendwo zu parken, ohne bestraft zu werden. Auch die Sparer dürften sich verraten fühlen und werden immer mehr ins Risiko gezwungen."
"Die ökonomischen Wirkungen der heutigen Zinssenkung sind vernachlässigbar. Die EZB hat sich im Vorfeld der Zinsentscheidung unnötig unter Zugzwang gesetzt. Die Gefahr, dass der Euro-Raum in eine gefährliche Deflationsspirale rutscht, ist nach wie vor gering. Auf der anderen Seite wächst mit den Aktivitäten der EZB die Gefahr, dass die in mehreren Euro-Ländern dringend erforderlichen Wirtschaftsreformen weiter verschleppt werden."
"Das ist überraschend. Eine Zinssenkung hatte niemand so richtig auf der Agenda - zumal sie konjunkturell nichts bringt und verpuffen wird. Die Deflationsgefahr lässt sich damit nicht vertreiben. Dazu bedarf es eher eines Anleihen-Kaufprogramms. Die EZB signalisiert mit ihrer Maßnahme aber, dass sie sehr weit zu gehen bereit ist. Das ist eher ein symbolischer Schritt. Die realwirtschaftlichen Folgen sind bescheiden."
"Beginnt jetzt auch EZB-Chef Mario Draghi damit, Geld aus dem Hubschrauber abzuwerfen? Wenn Draghi um 14.30 Uhr mit der Pressekonferenz beginnt, wissen wir mehr. Dann wird sich zeigen, ob die Zinssenkung nur das Vorspiel für weiteres geldpolitisches Feuerwerk sein wird oder er damit den bequemsten Weg wählte, um unkonventionelle Maßnahmen in großem Stil ohne Gesichtsverlust abzuwenden."
"Das war schon eine heftige Überraschung, mit einer Zinssenkung hat kaum einer gerechnet. Bei der Senkung der Zinsen handelt es sich zwar nur noch um Nuancen, aber das ist ein wichtiges Signal an die Kapitalmärkte, dass die EZB bereit ist, alles zu tun, was nötig ist."
Thorsten Polleit: Es gibt immer den Reflex, bei Krisen mehr Geld zu drucken. Geldmengenvermehrung schafft kein Wachstum. Es wird lediglich kurzfristig übertüncht, wie schlecht die Lage ist. Es gibt einen Scheinaufschwung, nicht mehr. Für mich sind die Programme der Notenbanken ein Akt der Krisenverschleppung.
Eckart Langen v. d. Goltz: Das ist Insolvenzverschleppung. Da stimme ich Ihnen zu! Aber es gibt keinen anderen Weg.
Thorsten Polleit: Ich habe 2008 die Meinung vertreten, den Finanzsektor nicht zu retten und etwa die US-Investmentbanken Lehman Brothers und Bear Stearns zusammensacken zu lassen.
Eckart Langen v. d. Goltz: Um Gottes Willen. Das hätte eine Katastrophe gegeben!
Thorsten Polleit: Die Problematik ist heute doch noch größer geworden. Die Schulden in den Wertpapiermärkten liegen bei 100 Billionen Dollar. 2008 waren es noch 70 Billionen. Das Schuldenmonster wird immer größer. Die Frage ist: Wie kann man dem noch begegnen? Ich glaube, wir brauchen einen Wettbewerb der Währungen, damit die Menschen der Missbrauchsmacht der Notenbanken ausweichen können.
"Die Fallhöhe der nächsten Krise wird noch größer sein"
Eckart Langen v. d. Goltz: Sie reden von Machtmissbrauch, dabei retten uns die Zentralbanken. Welchen Sinn macht es, die Leute auf die Straße zu schicken, unsere Demokratie zu gefährden, obwohl wir in Gütern schwimmen!? Es fehlt an Geld. Und es ist zum Glück nicht nur die Fed, sondern auch die japanische Notenbank, die Geld druckt. Die Bank of Japan geht hin und finanziert die Hälfte aller Staatsausgaben über die Notenpresse. Stellen Sie sich mal vor, was hier los wäre, wenn die EZB die Hälfte des Haushaltes von Frankreich, Italien und Deutschland finanzieren würde. Wir sind zu verkrampft, wir beharren auf eine angeblich stabilitätsorientierte Geldpolitik und gefährden damit unseren Wohlstand.
Herr Polleit, ist Japan ein nachahmenswertes oder ein mahnendes Beispiel?
Thorsten Polleit: Ich halte die japanische Geldpolitik für fatal. Ich wiederhole mich: Schulden werden mit neuen Schulden bekämpft, die Fallhöhe der nächsten Krise wird noch größer sein. Es wird irgendwann einen Zusammenbruch geben. Die Notenbanken versuchen, diesen Zeitpunkt hinauszuzögern. Aber der Kollaps wird kommen. Ich befürchte, dass Europa den japanischen Weg geht und schon in Kürze wieder Staatsanleihen der Euro-Krisenländer kauft.
Eckart Langen v. d. Goltz: Hoffentlich wird es so kommen!
Thorsten Polleit: Es wird Profiteure und Benachteiligte geben. Der Staat gehört sicher zu den Gewinnern einer Inflationspolitik. Und die Finanzmärkte auch. Der Rest aber gehört zu den Verlierern. Das ist eine Umverteilung von unten nach oben. Die Sparer bezahlen über die kalte Enteignung für diese Politik. Die Japaner haben bis Ende 2012 nicht monetisiert, sie haben auf keynesianische Politik gesetzt. Jetzt aber kauft die Notenbank Staatsanleihen vom Bankensektor. Bislang kommt das Geld nicht bei den Konsumenten an.
Löcher ins Vermögen
Niedrigzinsen fressen am Ersparten, Notenbanker denken über Minuszinsen nach, und die Merkel-Garantie gilt auch nicht mehr.
Forderung nach härterer Mietpreisbremse, Grund- und Grunderwerbsteuern steigen, historisch oft Zwangsabgaben.
In Krisenphasen oft verboten, Mehrwertsteuerpflicht und Abschaffung der Spekulationsfrist drohen.
Finanztransaktionsteuer drückt, Forderung nach Abgeltungsteuer von 25 auf 32 Prozent, Vermögensabgabe wird diskutiert.
Eckart Langen v. d. Goltz: Das ist das Problem. Wir müssen die Konsumenten stärken. Sie brauchen mehr Geld im Portemonnaie. Sie müssen Waren kaufen. Sonst liegt die Wirtschaft am Boden.
Thorsten Polleit: Im ungedeckten Papiergeldsystem lässt sich Inflation problemlos generieren, wenn die Notenbanken das wollen.
Eckart Langen v. d. Goltz: Schauen Sie dich die Daten an: Es gibt derzeit keine nennenswerte Inflation und es wird zu keiner Hyperinflation in den nächsten Jahren kommen.
Triebfedern für die Inflation
„Das Inflationsgespenst kehrt zurück“, schreibt Gottfried Heller in seinem Buch „Der einfache Weg zum Wohlstand“ und nennt sechs Triebfedern, die die Inflation verstärken.
Seit mehr als einem halben Jahrzehnt sorgen die Notenbanken der USA, der Euro-Zone, Großbritannien und Japan im Kampf gegen die Banken- und Schuldenkrise für sehr hohe Liquidität.
Sobald die Konjunktur anzieht, zeigt sich eine Nebenwirkung der Geldflut: Rohstoffe wie Kupfer, Öl, Weizen und Mais werden teurer. Das lässt auch die Lebenshaltungskosten steigen.
Inflation hilft den Regierungen beim Tilgen ihrer Schulden. Bei der Entschuldung profitiert der Staat also von der Inflation.
Längerfristig ist es unausweichlich, dass die Preise in den Schwellenländern, insbesondere China und Indien, steigen. Durch Importe aus diesen Ländern steigt auch die Teuerungsrate in den Industriestaaten.
Die Wachstums- und Kostentrends in den Süd- und Nordländern des Währungsraums sind sehr unterschiedlich. Das steigert die Inflation.
Steigt die Inflationsrate, verlangen auch die Gewerkschaften höhere Löhne. Das führt zu zusätzlicher Verteuerung.
Thorsten Polleit: Das kommt immer drauf an, worauf Sie schauen! Wir erleben derzeit eine Vermögenspreisblase. Schauen Sie sich an, wie sich die Hauspreise entwickeln, wie sie die Aktienmärkte entwickeln.
Eckart Langen v. d. Goltz: Ich sage ja nicht, dass die Politik der Notenbanken zu einem umfassenden Erfolg führt. Es führt nur dazu, dass das System am Leben bleibt. Die Lösung sieht ganz anders aus. Der Patient bleibt schwer krank. Es ist schlimm genug, dass Sparer mit einem Negativzins leben müssen. Noch schlimmer wäre es aber wenn er wie in den 1930er-Jahren einen Großteil seines Vermögens verliert, weil das System kollabiert. Das müssen wir verhindern. Hier geht es ums Ganze!
"Der Dax kann noch auf 12.000 oder mehr Punkte steigen"
Wenn ich zusammenfasse: Sie haben unterschiedliche Rettungsvorschläge, ähneln sich aber in ihrem – negativen – Ausblick. Was bedeutet das für den Investor: Was soll der Privatbürger mit seinem Ersparten machen?
Thorsten Polleit: Mein Rat ist: Investieren Sie in Aktien und Gold. Jeder Investor muss eine positive reale Verzinsung seines Kapitals anstreben. Das werden sie nur mit bestimmten Unternehmensmodellen schaffen. Von Anleihen würde ich abraten. Da werden sie kaum ein sicheres Papier finden, das die Inflation schlagen wird.
Eckart Langen v. d. Goltz: Ich halte das Investitionsumfeld für gefährlich. Vielen Firmen fehlt Kapital. Wir steuern auf eine deflationäre Phase zu. Deswegen: Vermeiden Sie größere Risiken und widerstehen Sie – zumindest für den Moment – dem Traum von der hohen Rendite.
So kommen Aktien-Anleger durch das Zinstal
Niedrige Zinsen machen Aktien attraktiv im Vergleich zu anderen Anlageformen, besonders Staatsanleihen
Vor allem Aktien mit attraktiven Dividendenrenditen profitierten in den letzten Jahren von der Zinsdürre, da kapitalkräftige Großanleger wie Pensionsfonds sie gerne kaufen
Der Kapitalmarkt billigt Aktien höhere Bewertungen zu
Wer Geld längerfristig anlegen kann, sollte einen Teil davon weiterhin in Aktien stecken, je nach Risikoneigung etwa 20 bis 40 Prozent seines Geldes
Zuletzt reagierte die Börse immer weniger auf neue Zinssenkungen durch die Notenbanken; die Notenbank-Munition für die Börse bleibt zwar erhalten, nutzt sich aber in ihrer Wirkung offensichtlich ab. Wer bis jetzt überhaupt nicht in Aktien war, sollte daher nicht auf einen Schlag sehr viele Papiere kaufen
Ideal für Aktien sind die Bedingungen der letzten vier Jahre: niedrige Zinsen, viel Notenbank-Geld und leichte Inflation
Steigende Zinsen bedeuten, dass Kredite und Investitionen teurer werden
Bisher ging noch jedem Crash eine Zinswende voraus. Daher reagiert die Börse sensibel auf die Andeutungen der US-Notenbank von Mitte Juni, 2014 die Gelddruckprogramme zurückzufahren und die Zinsen anzuheben
Dividendenstarke Aktien großer Konzerne haben am meisten von den Niedrigzinsen profitiert; Großanleger kauften sie teils als Ersatz für Zinspapiere. Sie dürften es auch sein, die bei strafferer Geldpolitik am stärksten leiden, zumal sie schon sehr teuer sind
Anleger sollten Aktien generell zunächst meiden, wenn sich stärkere Zinserhöhungen andeuten; Aktien verlieren im Vergleich zu Zinspapieren heftiger
Langfristig führt an einem breit gestreuten Depot kein Weg vorbei, dazu gehören auch Aktien. Doch die Geldpolitik war nun schon sehr lange ideal – besser kann es kaum werden
Thorsten Polleit: Es gibt zwei Szenarien: Entweder wir steuern auf eine deflationäre Phase zu, wie Sie, Herr Langen von der Goltz skizzieren, oder wir erleben in den kommenden Jahren eine kräftig wachsende Inflation. Schauen Sie nach Unternehmen, die Preismacht haben und in beiden Szenarien zu den Gewinnern gehören können. Es gibt Konzerne, die können in einem inflationären Umfeld die höheren Einkaufspreise weitergeben und Gewinn erzielen. Und gleichzeitig in einer Deflationsphase von den fallenden Preisen, etwa beim Einkauf von Öl, profitieren, in dem das Unternehmen seine Preise nicht in gleichem Maße senkt und so seinen Gewinn steigert. Diese Perlen gilt es zu suchen und zu finden.
Eckart Langen v. d. Goltz: Die Finanzblase nähert sich ihrem Höhepunkt. Wann der Knall kommt, wissen wir nicht. Der Dax kann noch auf 11.000 bis 12.000 oder mehr Punkte steigen, bevor es soweit ist. Wir wissen derzeit nur, ob es unterbewertete Aktien gibt. Wir werden immer in Aktien investieren. Aber derzeit gibt es wenige dieser Perlen. Das heißt: Seien Sie vorsichtig, warten Sie ab. Verausgaben Sie sich nicht, halten Sie den Großteil Ihres Geldes in sicherer Form trocken und warten Sie, bis sich wieder bessere Chancen ergeben.
Ist gut beraten, wer vor einem möglichen Crash noch Gold kauft?
Thorsten Polleit: Gold ist das ultimative Zahlungsmittel. Es steht nicht im Wettbewerb mit einem Haus oder einer Aktie. Es ist eine Währung. Man ist gut beraten, wenn man einen Teil seines Portfolios in physischem Gold hält, quasi als Versicherung. Das gilt aktuell mehr denn je.