Die Umverteilungs- und Transferunion gab es schon vor der Euro-Rettung. Treffen die Berechnungen des emeritierten Heidelberger VWL-Professors Franz-Ulrich Willeke zu, dann hat Deutschland zwischen 1991 und 2011 rund 45 Prozent der gesamten Nettobeiträge zum EU-Haushalt bezahlt. Inflationsbereinigt waren das fast 250 Milliarden Euro. Ausgemacht war eigentlich ein Anteil von 20 Prozent, entsprechend dem deutschen Anteil an der Wirtschaftsleistung aller EU-Länder.
Aber das ist Europa. Wen interessieren noch Absprachen und Verträge? Wie schon bei der Wiedervereinigung traut sich Berlin auch bei den Nettozahlungen zum EU-Haushalt nicht, eine längerfristige Bilanz aufzustellen. Geht es gar nach deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten, dann soll noch mehr Geld nach Brüssel gelenkt werden.
In einer vom Beratungsunternehmen PwC in Auftrag gegebenen Studie schlägt etwa das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) zur Lösung der Strukturprobleme in der Eurozone vor, eine einheitliche Eurosteuer einzuführen, die zehn Prozent des jeweils zu versteuernden Einkommens eines Mitgliedslandes entsprechen soll. Wünschenswert sei außerdem die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung mit einem Beitragssatz von zwei Prozent. Aus diesem Topf soll jeder Arbeitslose in der Euro-Zone über einen Zeitraum von einem Jahr etwa 30 Prozent des nationalen Durchschnittseinkommens erhalten. Insgesamt müsste Deutschland jährlich etwa 40 Milliarden Euro netto mehr aufbringen - das Vierfache des bisherigen (offiziellen) Nettobeitrages.
Was wie ein verfrühter Aprilscherz klingt, könnte bald Wirklichkeit werden. Brüssel hat sicher nichts gegen weitere Befugnisse. Die Idee einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung stand bereits auf der Tagesordnung bei einem Treffen zwischen dem französischen und dem deutschen Finanzminister.
Der EU-Soli aus Deutschland
Warum also nicht gleich Nägel mit Köpfen machen? Der Vorschlag des HWWI macht schließlich nur das offensichtlich, was vermutlich sowieso bald Realität sein wird: Die von der Bundesregierung zur Euro-Rettung eingegangen Verpflichtungen sind nichts anderes als zukünftige Steuerzahlungen. Die zehnprozentige Abgabe auf das zu versteuernde Einkommen wäre eine Art EU-Soli. Dass sich damit aber die strukturellen Probleme innerhalb der Euro-Zone nicht lösen lassen, zeigen die Erfahrungen mit der deutschen Wiedervereinigung und mit dem deutschen Länder-Finanzausgleich.
So viel zahlen oder bekommen die einzelnen Länder
Bayern zahlt am meisten in den Länderfinanzausgleich ein. Im ersten Halbjahr 2012 waren es insgesamt 2,05 Milliarden Euro. Pro Kopf ergibt das einen Beitrag von 163 Euro.
Auf Platz zwei der Geberländer steht Baden-Württemberg mit einem Gesamtbeitrag von einer Milliarde Euro. Umgerechnet musste jeder Einwohner im ersten Halbjahr 93 Euro zahlen.
Hessen ist das drittgrößte Geberland. Im ersten Halbjahr 2012 zahlte es 705 Millionen Euro in das föderale Umverteilungssystem. Auf jeden Hessen entfielen somit 116 Euro.
Mit großem Abstand folgt Hamburg als viertes Geberland: 87 Millionen Euro waren es im vergangenen Halbjahr. Pro Kopf macht das einen Beitrag von 48 Euro.
Der Beitrag ist vergleichsweise gering, doch mit 30 Millionen Euro gehört Nordrhein-Westfalen zu den fünf Geberländern. Je Einwohner ergab das im vergangenen Halbjahr einen Beitrag von knapp zwei Euro.
Saarland zählt zu den Profiteuren des Länderfinanzausgleichs. Das Land bekam im vergangenen Halbjahr 68 Millionen Euro, pro Kopf waren das 67 Euro.
Schleswig-Holstein kassierte zuletzt 101 Millionen Euro. Pro Einwohner waren dies knapp 36 Euro.
Rheinland-Pfalz gehört zu den elf Nehmerländern. Im ersten Halbjahr 2012 bekam es 129 Euro durch den Länderfinanzausgleich. Pro Kopf waren dies 32 Euro.
Auch Niedersachsen bekommt Unterstützung, zuletzt 146 Millionen Euro. Pro Einwohner sind das aber gerade mal 18 Euro.
Über 235 Millionen Euro durfte sich im vergangenen Halbjahr Mecklenburg-Vorpommern freuen. Pro Einwohner macht das immerhin 143 Euro.
Brandenburg bekam im ersten Halbjahr 2012 aus dem föderalen Umverteilungssystem 241 Millionen Euro, pro Kopf also knapp 97 Euro.
Auf Platz fünf der Nehmerländer liegt Bremen mit 272 Millionen Euro. Das sind pro Einwohner satte 412 Euro - die zweithöchste pro-Kopf-Förderung.
Mit Zuweisungen in Höhe von 289 Millionen Euro landete Thüringen im ersten Halbjahr 2012 auf Platz vier der Nehmerländer. Pro Kopf waren dies 130 Euro.
Platz drei der Nehmerländer belegt Sachsen-Anhalt. Es bekommt 292 Millionen Euro. Pro Kopf sind das 126 Euro.
Sachsen bekommt die zweithöchsten Zuweisungen aus dem föderalen Umverteilungssystem: 507 Millionen Euro. Umgerechnet erhielt jeder Sachse 123 Euro.
Der größte Profiteur des Länderfinanzausgleichs ist Berlin. Im ersten Halbjahr 2012 bekam das Land Zuweisungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro. Pro Berliner waren das 457 Euro.
Wenn es um Europa geht, dann produzieren Wirtschaftsforschungsinstitute und der Sachverständigenrat in der Regel ziemlich kostspielige Ideen. Noch gut in Erinnerung ist die Forderung des Sachverständigenrates, die Euro-Krise durch eine zeitweise Vergemeinschaftung der Schulden zu lösen. In die Kategorie geistige Totgeburt gehört auch das Konzept des HWWI. Die Höhe der deutschen Netto-Transferzahlungen lässt sich damit nicht kontrollieren, wie schon in der EU-Agrarpolitik nicht.
Einige Länder werden mit Sicherheit Einnahmen aus der Einkommensteuer zur Mehrwertsteuer verlagern und den Bezug von Arbeitslosengeld erleichtern. In Frankreich etwa hat ein Arbeitnehmer schon nach viermonatiger Beschäftigungszeit einen Anspruch auf bis zu zwei Jahre Solidarität. Ein System, das zum Missbrauch geradezu einlädt. Ob der deutsche Steuerzahler diesen Luxus mitfinanzieren will ohne selbst in den Genuss solcher Leistungen zu kommen? Das darf bezweifelt werden, aber darauf läuft es hinaus. Und nicht vergessen: Ist ein Transfersystem in Europa erst einmal etabliert, dann gilt für Deutschland - wie immer – die Nachschusspflicht.