




Die kollektive Haftung für die Staatsschulden der europäischen Krisenländer zeigt Wirkung: Die Anleihezinsen der überschuldeten Staaten in der Euro-Zone sind dramatisch gefallen. Doch ein Grund zur Freude ist das nicht, denn nun lässt sich die Schuldenlawine überhaupt nicht mehr stoppen.
Blicken wir zurück: Zum Ausgleich für die Euro-Rettungspakete hatte Deutschland 2012 den Fiskalpakt durchgesetzt. Zusätzlich zur Einhaltung der Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mussten sich die Schuldenländer verpflichten, ihre Schulden pro Jahr um ein Zwanzigstel des jeweiligen Abstandes zu einer Schuldenquote von 60 Prozent zu senken.
Was die Kritiker der Sparpolitik sagen
"Wachstum und Beschäftigung müssen an erster Stelle kommen, und das, indem wir alle Spielräume des Stabilitätspakts nutzen."
François Hollande, französischer Staatspräsident
"Seit Beginn der Krise haben die Konservativen Europa mit einem Kürzungsfeldzug nach dem anderen überzogen."
Udo Bullmann, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im Europaparlament
"Unsere Regierung will unterstreichen, dass die Politik des Rigorismus und der Austerität nichts gebracht hat und für beendet erklärt werden muss."
Matteo Renzi, italienischer Ministerpräsident
"Bisher haben wir für Krisenländer Rettungsprogramme gemacht, aber wenn man aus der Intensivstation herauskommt, muss eine Reha-Phase folgen."
Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser
"Das Setzen auf reine Sparpolitik ist gescheitert."
Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und Vizekanzler
"Sparmaßnahmen von einem Prozent des BIPs reduzieren das Produktionspotenzial der Wirtschaft um rund ein Prozent. Das zeigt: Austeritätspolitik ist in höchstem Maße kontraproduktiv."
Paul Krugman, US-Ökonom und Nobelpreisträger
Davon ist nun keine Rede mehr, denn bei niedrigen Zinsen ist es verlockend, mehr Schulden zu machen. Nachdem die Zwanzigstel-Regel faktisch gekippt ist, wollen europäische Politiker jetzt sogar an die Drei-Prozent-Grenze heran. Man will sie aushöhlen, indem etwa Ausgaben für Militär, Bildung und Forschung nicht mehr bei den Staatsausgaben mitgerechnet werden.
Derartige Tricksereien sind kein Einzelfall. Schon seit Längerem wird rund um die Schuldenfrage manipuliert. So behauptete die EU-Kommission kürzlich, Griechenland habe 2013 einen Primärüberschuss von 0,8 Prozent vom BIP erzielt – während die EU-Statistikbehörde Eurostat ein Primärdefizit von 8,7 Prozent auswies. Das Primärdefizit wird von allen Ämtern der Welt als jenes Haushaltsdefizit definiert, das entsteht, wenn die Zinszahlungen des Staates nicht in die Rechnung einfließen.
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Die EU-Kommission benutzte aber ihre eigene Definition und ließ als einmalig deklarierte Ausgaben auch noch weg. Als das ifo Institut die unterschiedlichen Definitionen öffentlich machte, entfernte Eurostat noch am gleichen Tag die Variable „Primärdefizit“ sämtlicher EU-Länder aus seiner Datenbank. Pech nur, dass der Anhang der Frühjahrsprognose der EU-Kommission, die Anfang Mai herauskam, noch immer die Eurostat-Zahlen zum Primärdefizit enthielt.
Die Schulden des ersten Rettungsschirms EFSF, der 2010 installiert worden war und drei Jahre lief, wurden den Euro-Ländern korrekterweise anteilig angerechnet. Für Deutschland entstand dadurch bis Dezember 2013 eine zusätzliche Staatsschuld von 52 Milliarden Euro – umgerechnet rund 1,9 Prozent vom BIP. Beim zweiten (permanenten) Rettungsschirm ESM war man schlauer. Dieser wurde als Schattenhaushalt konstruiert, dessen Schulden den Mitgliedsländern nicht zugerechnet werden – obwohl sie dafür haften. Bei voller Ausnutzung des ESM-Finanzrahmens darf Deutschland 168 Milliarden Euro an Staatsschulden verstecken. Auf ähnliche Weise wurde Deutschlands Anteil (rund neun Milliarden Euro) an den 46 Milliarden Euro Schulden verborgen, die die EU für ihren Rettungsschirm EFSM hat machen können.