




Die Bundesregierung lehnt eine Debatte über zusätzliche Hilfen für das hochverschuldete Griechenland wenige Monate vor der Bundestagswahl ab. Die erst im Herbst 2012 vereinbarten neue Rettungsmaßnahmen würden derzeit umgesetzt, betonte der Sprecher des Finanzministeriums, Martin Kotthaus. Er könne nicht erkennen, warum sechs Monate später über irgendwelche weiteren Schritte geredet werden sollte. Aus den Reihen des Internationalen Währungsfonds (IWF) war in den vergangenen Tagen erneut ein zusätzlicher Schuldenerlass für Athen ins Gespräch gebracht worden.
Die Chronik der Schuldenkrise
Um die Schuldenkrise einzudämmen, spannen die Finanzminister und der IWF einen Rettungsschirm (EFSF) für pleitebedrohte Euro-Mitglieder. Insgesamt 750 Milliarden Euro sollen im Notfall fließen. Der damalige Kanzleramtsminister Thomas de Maizière resümiert, jetzt komme „Ruhe in den Karton“.
Als erstes EU-Land schlüpft Irland unter den EFSF. Europäer und IWF schnüren ein Hilfspaket von 85 Milliarden Euro. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hält Sorgen vor einem Überschwappen auf Portugal für unbegründet: „Gerede über eine Ansteckung hat keine wirtschaftliche oder rationelle Grundlage.“
Nach einem Hilferuf aus Lissabon setzt die EU ein Rettungspaket für Portugal in Gang. Höhe: Rund 80 Milliarden Euro. Schäuble sieht die Gefahr einer Ausbreitung der Krise zunächst als gebannt an: „Die Ansteckungsgefahr ist geringer geworden.“
Die EU-Finanzminister beschließen eine Ausweitung des EFSF. Deutschlands Anteil steigt von 123 auf 211 Milliarden Euro. Damit bis zu 440 Milliarden Euro an Krediten gezahlt werden können, müssen die Euro-Länder ihre Garantien auf 780 Milliarden Euro erhöhen. Merkel verteidigt das: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“
Athen beantragt ein zweites Hilfspaket. Es beläuft sich schließlich auf 159 Milliarden Euro. Erstmals beteiligen sich auch private Gläubiger Athens, ihr Anteil beträgt rund 50 Milliarden Euro.
Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft nun auch Staatsanleihen von Italien und Spanien auf, um beide Länder zu stützen.
Nach einem Doppelgipfel beschließen die Euro-Länder das bislang dickste Paket zur Eindämmung der Krise: Griechenlands Schulden werden um 50 Prozent gekappt. Das im Juli beschlossene 109-Milliarden-Programm wird modifiziert: Nun soll es zusätzliche öffentliche Hilfen von 100 Milliarden Euro geben, sowie Garantien von 30 Milliarden Euro, mit denen der Schuldenschnitt begleitet wird. Die Schlagkraft der EFSF soll auf rund eine Billion Euro erhöht werden. Zudem müssen Europas Banken ihr Kapital um mehr als 100 Milliarden Euro aufstocken. „Ich bin sehr zufrieden mit den Ergebnissen“, bilanziert Merkel. Und Frankreichs Finanzminister François Baroin sagt erleichtert: „Es gab ein Explosionsrisiko. Das Abkommen von heute Nacht ist eine freundschaftliche, globale und glaubwürdige Antwort.“
Silvio Berlusconi steht vor dem Aus. Bei der Abstimmung über den Rechenschaftsbericht 2010 verfehlt er im italienischen Parlament die absolute Mehrheit. Am Abend kündigt er seinen Rücktritt an. Zuvor sollen aber noch die Brüssel zugesagten Reformen beschlossen werden.
Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou kündigt in Athen seinen Rücktritt an.
Nahezu alle Mitgliedstaaten einigen sich beim EU-Gipfel in Brüssel nach zähen Verhandlungen auf eine Fiskalunion. Großbritannien steht im Abseits. Eine Spaltung der EU wird abgewendet.
Die Eurogruppe gibt ein zweites Griechenland-Paket frei. Der IWF beteiligt sich daran mit 28 Milliarden Euro.
Spaniens Regierung kündigt an, zur Sanierung der maroden Banken ein Rettungspaket "light" zu beantragen. Die Eurogruppe sagt Madrid bis zu 100 Milliarden Euro zu.
Nach langem Zögern flüchten Spanien und auch Zypern unter den Euro-Rettungsschirm. Der Finanzierungsbedarf beider Länder zur Rekapitalisierung ihres Bankensektors ist noch unklar.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe genehmigt den ESM-Rettungsschirm unter Vorbehalten. Die Bedingung: Es müsse sichergestellt werden, dass die Haftung Deutschlands auf die vereinbarten 190 Milliarden Euro beschränkt bleibe. Ohne erneute Zustimmung Deutschlands - und damit des Bundestags - dürfen keine höheren Zahlungsverpflichtungen begründet werden. Damit kann Deutschland dem permanenten Euro-Rettungsschirm ESM beitreten. Bis zur Entscheidung aus Karlsruhe hatte Deutschland bislang als einziges Euro-Land den Vertrag über den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ ESM noch nicht ratifiziert. Erst mit der Beteiligung des größten Mitgliedsstaats kann der Rettungsschirm in Kraft treten.
„Ich erkenne nicht, dass der IWF irgendeinen weiteren Schuldenschnitt fordert“, meinte Kotthaus. Im vergangenen Jahr sei auch vereinbart worden, bei Bedarf weitere Hilfen zu prüfen. Dazu müsse Griechenland 2014 unter anderem einen sogenannten Primärüberschuss erzielen - einen mindestens ausgeglichenen Haushalt ohne Berücksichtigung von Zins- und Tilgungszahlungen für seine hohen Staatsschulden. Es sei wichtig, dass keine falschen Anreize gesetzt würden, betonte Kotthaus.





Anlass für die Diskussion waren vermutlich Hochrechnungen in einem IWF-Papier, die trotz Fortschritten in Athen auf eine mögliche Finanzierungslücke des Hilfsprogramms in der zweiten Jahreshälfte 2014 hinwiesen. Der Griechenland-Missionschef des IWF, Poul Thomsen, hatte öffentlich darauf verwiesen, dass sich die Europäer bereits zu zusätzlichen Erleichterungen für Griechenland bekannt hatten, falls diese erforderlich seien. Der IWF hatte in einer kritischen Zwischenbilanz der Griechenland-Rettung zugestanden, dass die Erwartungen zur Wirkung des ersten Hilfsprogramms im Frühjahr 2010 viel zu optimistisch gewesen seien.
Europa
Athen könnte unter Umständen mit einer weiteren Streckung von Rückzahlungsfristen und niedrigeren Zinsen für Hilfskredite rechnen - unter der Voraussetzung, dass Griechenland bei seinen Sparprogrammen auf Kurs bleibt. Als rotes Tuch gilt in Berlin hingegen ein erneuter Schuldenschnitt, bei dem auch staatliche Gläubiger Athens Einbußen hinnehmen müssten. Denn in diesem Fall würde vermutlich auch der deutsche Steuerzahler die Griechenland-Rettung zu spüren bekommen. Am ersten Schuldenschnitt im Frühjahr 2012 waren nur private Gläubiger wie Banken und Hedgefonds beteiligt.





Die „Troika“ der internationalen Geldgeber kehrte am Montag nach Athen zu routinemäßigen Kontrollen zurück. Die Experten von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF trafen sich mit dem griechischen Finanzminister Ioannis Stournaras. Wie aus Kreisen des Finanzministeriums verlautete, sollen die Kontrollen bis zum 20. Juni dauern. Es geht um die Freigabe einer weiteren Tranche aus dem Hilfspaket in Höhe von 3,3 Milliarden Euro für das pleitebedrohte Euro-Land. Im Mittelpunkt der Kontrollen stehen unter anderem die Einschnitte im öffentlichen Sektor. Bis Ende 2013 müssen insgesamt 15.000 Staatsbedienstete entlassen werden. Athen will um einen kleinen Aufschub bei den Entlassungen der ersten 2000 Staatsbediensteten bis zum Herbst bitten. Damit sollen soziale Spannungen mitten in der Tourismussaison vermieden werden.
Rückschläge drohen laut einem Zeitungsbericht bei der Privatisierung von Staatsunternehmen. Wie das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf Insider berichtete, hat die griechische Regierung bisher kein Gebot von Investoren für den Gaskonzern Depa erhalten. Das Privatisierungsprogramm ist ebenso wie die Stellenstreichungen und die Haushaltskonsolidierung eine der Auflagen, die Athen erfüllen muss, um weitere Hilfskredite zu erhalten.