Die britische Premierministerin Theresa May will noch am Freitagmittag bei Königin Elizabeth II. um die Erlaubnis für eine Regierungsbildung bitten. Das teilte ein Regierungssprecher mit. Sie strebe eine konservative Minderheitsregierung mit Duldung der nordirischen Protestanten der DUP (Democratic Unionist Party) an, hieß es in britischen Medien. Eine Absprache mit der DUP gebe es dafür bereits.
Das ist in Großbritannien üblich; über mögliche Koalitionen oder der Bildung einer Minderheitsregierung wäre damit noch keine Entscheidung gefallen.
Nach der Auszählung fast aller Stimmen hatten weder die Konservativen noch Labour eine Chance, die Mehrheit der 650 Wahlkreise für sich zu gewinnen. May hatte die Neuwahl im April ausgerufen - mit der Absicht, ihre Regierungsmehrheit zu vergrößern.
Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei hatte May auffordert, ihren Posten zu räumen und brachte eine eigene Minderheitsregierung ins Spiel.
Die Wahl in Großbritannien hat ein „hung parliament“ hervorgebracht - ein „Parlament in der Schwebe“, in dem keine Partei eine absolute Mehrheit hat.
Was ist das "hung parliament"?
Die Wahl in Großbritannien hat ein „hung parliament“ hervorgebracht - ein „Parlament in der Schwebe“, in dem keine Partei eine absolute Mehrheit hat. In Deutschland ist das ganz normal, im Vereinigten Königreich dagegen die Ausnahme. Was nun passiert, ist nicht in der Verfassung festgeschrieben, denn die haben die Briten in der klassischen Form nicht, dafür aber viele Traditionen. So geht es jetzt - sehr wahrscheinlich - weiter:
Premierministerin Theresa May (oder auch ein möglicher Nachfolger an der Spitze der Konservativen) muss für ihre Partei eine Mehrheit organisieren. Entweder über eine formale Koalition oder über einen „Deal“ mit anderen Parteien, etwa der nordirischen DUP, die eine konservativ geführte Minderheitsregierung unterstützen würden.
Die Zusammenarbeit von Tories und DUP gilt aktuell als wahrscheinlichste Option. Rein rechnerisch braucht eine Regierung mindestens 326 der 650 Sitze im Parlament. In der Praxis sieht das aber anders aus. Die nordirisch-republikanische Sinn Fein hat 7 Sitze gewonnen, schickt jedoch traditionell keine Abgeordneten nach London. Also reichen schon weniger Mandate als die genaue Hälfte der Sitze für eine „Arbeits-Mehrheit“ aus. Eine Möglichkeit wäre auch, für jede Abstimmung einzeln eine Mehrheit zu organisieren.
Wenn May keine Chance auf eine Regierung unter ihrer Führung sieht, geht sie zu Königin Elizabeth II. und reicht dort ihren Rücktritt ein. In diesem Fall dürfte die Queen Oppositionsführer Jeremy Corbyn auffordern, mit seiner Labour-Partei eine Regierungsbildung zu versuchen und ein Regierungsprogramm zu zimmern.
Die Queen mischt sich in all das übrigens nicht ein, sie ist politisch neutral. Egal, von wem es am Ende kommt: Das Regierungsprogramm liest die Königin als Staatsoberhaupt in der sogenannten Queen's Speech vor. Geplant ist das bisher für den 19. Juni. Es folgt eine rund fünf Tage dauernde Debatte darüber im Unterhaus. Dann wird abgestimmt - hierbei handelt es sich de facto um eine Vertrauenserklärung für die neue Regierung, also die Nagelprobe.
Sollte sie scheitern, hätte die Gegenseite das Recht auf den nächsten Versuch. Die Abstimmung gilt aber als reine Formsache, weil die Mehrheiten vorher feststehen sollten. Kann sich also niemand sicher sein, ein Regierungsprogramm durchs Parlament zu bekommen, dann müssen die Briten möglicherweise ein weiteres Mal wählen gehen.
Der komplizierte Wahlausgang ist auch wichtig für die anstehenden Brexit-Verhandlungen zwischen London und Brüssel. May hatte den zweijährigen Austrittsprozess im März formell eingeleitet. Die hoch komplizierten Verhandlungen sollten nach der vorgezogenen Wahl noch in diesem Monat beginnen und müssen bis Ende März 2019 abgeschlossen sein. Sonst scheidet Großbritannien ohne Vertrag oder Übergangsregelung aus der EU aus. Die Folgen für die Wirtschaft und die Bürger wären in dem Fall kaum absehbar.
EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier hat am Freitagmittag bereits Bereitschaft angedeutet, London Zeit zur Neuformierung zu geben. Die Verhandlungen über den britischen Austritt sollten „beginnen, wenn das Vereinigte Königreich bereit ist“, sagte Barnier. Er schrieb im Kurzmitteilungsdienst Twitter: „Zeitplan und EU-Standpunkte sind klar. Lasst uns nun darüber nachdenken, ein Abkommen zu erreichen.“
EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte dagegen, Großbritannien sollte die Brexit-Verhandlungen beschleunigen, um ein „No Deal“-Szenario zu vermeiden.