Türkei Erdogan macht alles schlimmer

Kapitalabfluss aus den Schwellenländern – das weltweite Phänomen trifft die Türkei besonders hart, weil gleichzeitig das Vertrauen in die Politik schwindet. Ministerpräsident Erdogan tut alles, um diese Entwicklung zu verschärfen.

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Tayyip Erdogan Quelle: REUTERS

Eigentlich kann man dem türkischen Ministerpräsidenten verzeihen, dass er nicht weiß, wovon er spricht. Die Lage ist unübersichtlich: Die Zentralbank in Ankara hat vorgestern Nacht angesichts des fortschreitenden Währungsverfalls die Reißleine gezogen und den wichtigsten Leitzins von 4,5 auf 10 Prozent angezogen. Die Folgen für den Devisenmarkt sind noch keineswegs klar.

Unmittelbar vor der Notenbankentscheidung hatte ein US-Dollar in türkischer Währung mehr als 2,32 Lira gekostet. Am Mittag darauf waren es 2,18 Lira, dann ging es wieder nach oben, und seitdem pendelt der Kurs mit vergleichsweise schnellen Ausschlägen in beide Richtungen zwischen 2,20 und 2,25. Offenbar haben nur hartgesottene Spekulanten ihre Freude an diesem Auf und Ab. Die hohen Zinsen mögen die Währung des Landes stützen – sie sind aber selber ein Zeichen dafür, mit wieviel Misstrauen türkische und ausländische Anleger auf die Volkswirtschaft des bis zur kurzer Zeit so erfolgreichen Schwellenlandes schauen. „Die Zinserhöhungen werden sich auf die inländische Nachfrage auswirken und Sorgen vor einer ‚harten Landung‘ der türkischen Wirtschaft wieder aufkommen lassen“, analysieren die Türkei-Fachleute der Ratingagentur Fitch und verbinden das gleich mit einer Hoffnung: „Andererseits eröffnen der Absturz der Lira und die Aussichten auf eine Erholung der Weltwirtschaft die Möglichkeit steigender Exporte und einer schnelleren Verbesserung der Zahlungsbilanz“ – ein vorsichtiges Lob für Notenbankpräsident Erdem Basci.

Fragt sich nur, wie so ein Lob in Ankara ankommt. Tagelang hatte Ministerpräsident Erdogan in seltsamer Verkennung von Ursache und Wirkung lautstark verkündet, Befürworter einer Leitzinserhöhung seien von bösen ausländischen Mächten gesteuert, denen nur am ökonomischen Abstieg der Türkei gelegen sei. Dass die Türkei wie fast alle wichtigeren Schwellenländer von Argentinien über Südafrika bis Indonesien unter Kapitalabfluss leiden, weil Amerikas Notenbank Fed einen vorsichtigen Politikwechsel begonnen hat, interpretieren Erdogan und seine engsten Berater wahrscheinlich als bewusst antitürkische Maßnahme Washingtons. Türken wie die Sprecher des Unternehmerverbandes Tüsiads, die in den vergangenen Wochen vor den wachsenden Krisenzeichen der Wirtschaftsentwicklung warnten, bezichtigte der Regierungschef ausdrücklich des Landesverrats.

Das war vorgestern früh. Dann verschwand Erdogan für einen Tag aus Ankara zu einem Kurztrip beim schwierigen und wichtigen Nachbarn Iran, und am selben Abend noch verkündete die Notenbank ihre Entscheidung. Erdogans Finanzminister Simsek, der im Gegensatz zum Regierungschef etwas von Geldpolitik und Finanzmärkten versteht, lobte die Zinserhöhung. Und der Ministerpräsident selber? Landete am nächsten Tag in Ankara und ließ sich zur neuesten Entwicklung befragen. Waren die Spitzen der Notenbank jetzt auch Landesverräter in seinen Augen? Nein, nein “ich muss jetzt eine Weile geduldig sein”, teilte Erdogan fragenden Reportern mit: “Wir müssen unseren guten Willen behalten – wenn die hohen Zinsen eine Verbesserung der Wechselkurse oder steigende Kurse an der Istanbuler Börse bringen. Wenn das Gegenteil passiert, können wir aber unseren guten Willen nicht aufrecht erhalten.“

Jetzt dürfen Unternehmer, Politiker und Anhänger rätseln, was passiert, wenn Erdogan seinen “guten Willen” verliert? Wird Notenbankpräsident Basci dann zum Leiter eines Zollamts an der bulgarischen Grenze degradiert nach dem Muster der Staatsanwälte, die Regierungsmitglieder der Korruption beschuldigen? Kommen Istanbuler Journalisten in Haft, die schon lange einen geldpolitischen Kurswechsel gefordert haben? Oder führt Ankara ganz einfach Kapitalverkehrskontrollen ein, um den weiteren Abfluss von Geldern zu stoppen.

Das wäre natürlich die rationalste Möglichkeit. Sie ins Gespräch zu bringen, ohne irgend etwas gleichzeitig zu unternehmen, ist natürlich ganz irrational. Erdogans Worte klingen wie eine Aufforderung an Investoren, ihr Kapital aus der Türkei abzuziehen, bevor es zu spät ist. Beruhigend für Anleger kann da allenfalls sein, dass das Ansehen des Premierministers auch in seiner eigenen Partei sich in letzter Zeit ungefähr parallel zum Außenwert der türkischen Währung bewegt.

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