Türkischer Minister Ömer Çelik "Sich gegen die Türkei zu stellen, wäre ein historischer Fehler"

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"Das Resultat wird eine neue Migrationswelle sein"

Die EU sorgt sich derzeit eher um die Annäherung zwischen der Türkei und Russland. Ist Russland eine Alternative zur EU?

Wir wollen gute Beziehungen zu beiden Partnern - zum Wohle der Region. Die Türkei ist kein Land in einer normalen geographischen Lage. Wir liegen zwischen den Welten, und brauchen daher multilaterale Beziehungen. Wir haben mit einer äußerst komplizierten Lage in Syrien und dem Irak zu tun. Wann immer wir gute Beziehungen zu anderen Nachbarn haben, beschwert sich die EU, die Türkei würde den Westen verlassen.

Wie sicher ist das Flüchtlingsabkommen noch?

Wir stehen zu den Vereinbarungen vom 18. März. Dank der Aufnahmekapazität der türkischen Institutionen war Rückführungsabkommen sehr erfolgreich. Die täglichen Grenzübertritte fielen von 7000 im vergangenen Jahr auf unter 100. Ohne das Abkommen stünde Europa vor einer weiteren Flüchtlingskatastrophe. Zudem hat das Abkommen die Demokratien in Europa geschützt, da es den Aufstieg rechter Partien verhinderte.

Was passiert, wenn die syrische Stadt Aleppo fällt und sich 300.000 Menschen auf den Weg machen?

Dann stünden wir vor einer Krise, die weitaus größer wäre als die heutige.

Das ist die Gülen-Bewegung

Wird das Abkommen in diesem Fall noch funktionieren?

Die vereinbarten Mechanismen werden dann nicht mehr ausreichen.

Wollen Sie dann mehr Geld von der EU?

Wir haben bis heute 20 Milliarden Dollar für Flüchtlinge ausgegeben. Von den versprochenen drei Milliarden Euro, die die EU versprochen hat, haben wir nur 106 Millionen erhalten. Das ist absolut nicht ausreichend. Doch nicht der Betrag selbst ist wichtig, sondern die Einhaltung von Versprechen. Wir aber hören nur negative Kritik, besonders von Österreich. Unsere Bürger fragen: Warum tragen wie die Lasten der EU und müssen uns das anhören? Kommt die Visa-Freiheit nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, müssen wir das Abkommen aufkündigen.

Wann ist Ihre Deadline?

Sie war bereits im Juni.

Wie lange wollen Sie noch warten?

Nicht mehr lange. Von jetzt an fällt unsere Antwort negativ aus, wenn es darum geht, einen neuen Mechanismus zu installieren. Und das Resultat dann wird eine neue Migrationswelle sein.

Und das geschieht, wenn Aleppo fällt, das gerade von Russland bombardiert wird?

Das ist nur ein Beispiel. Es gibt auch im Irak Krisen. Migranten kommen von überall her. Deshalb brauchen wir Mechanismen zwischen Europa und der Türkei. Österreich will die Grenzen mit NATO-Soldaten schützen - doch niemand kann Grenzen schützen vor Menschen, die dem Tod entkommen wollen.

Die Türkei hätte längst die Visa-Freiheit, wenn sie ihre Anti-Terror-Gesetze angepasst hätte.

Jede Anpassung unserer Gesetze, die den Kampf gegen den Terrorismus schwächt, schadet auch der Sicherheit Europas.

Schlüsselstaat Türkei

Warum hat die Türkei denn dann das Abkommen unterzeichnet?

Seitdem haben sich die Umstände und der Terrorismus verändert. Wir sagen: Sobald sich die Situation verbessert hat, können wir bilateral mit der EU über eine Anpassung reden.

Sie möchten also mehr Zeit?

Wir können einen Konsens erreichen, wenn sich die Umstände geändert haben.

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