
WirtschaftsWoche Online: Die deutsch-türkischen Beziehungen haben einen Tiefpunkt erreicht. Laut eines internen Berichts des deutschen Innenministeriums ist die Türkei eine "zentrale Plattform für terroristische Aktivitäten im Nahen Osten".
Ömer Çelik: Diese Berichte entbehren jeder Grundlage. Mehr als 50 Länder kämpfen gemeinsam gegen den Islamischen Staat und schaffen es doch nicht, ihn völlig zu besiegen. Wir kämpfen gleichzeitig gegen die PKK, ISIS, die DHKP/C und die Gülen-Organisation. Wir tun das aus unserem eigenen Interesse heraus, aber natürlich auch für unsere Verbündeten. Wie können Sie die Türkei da eine "Plattform für Terrorismus" nennen? Wenn die Türkei nicht diese Gruppen bekämpfen würde, stünde Europas Sicherheit auf dem Spiel.
Seit dem gescheiterten Putsch haben sich die Türkei und die EU entfremdet. Was für eine Reaktion aus Europa hätte sich die türkische Regierung gewünscht?
Das war ein Test für die Demokratie und Europa hat schlecht abgeschnitten. Vergleichen Sie die Reaktionen auf den gescheiterten Coup doch mal mit denen nach den Attentaten auf die Satire-Zeitung Charlie Hebdo in Paris. Damals reiste der türkische Premierminister sofort nach Paris, um an einem Gedenkmarsch teilzunehmen. Von den EU-Staatschefs aber hat sich nach dem Putschversuch kein einziger bei uns blicken lassen.

Sie wollen von Deutschland auch mehr Unterstützung, um die Gülen-Bewegung zu bekämpfen?
Seit Jahren bekämpfen wir die PKK und wir haben der deutschen Regierung Dokumente übermittelt, die klar bewegen, welche Unternehmen und Organisationen mit der PKK verflochten sind. Nichts ist passiert! Jetzt stehen wir vor einer ähnlichen Situation und wir wollen eine schnelle und konkrete Zusammenarbeit.
Was erwarten Sie konkret von der Bundesregierung?
Es gibt Imame in Deutschland, die mit der Bewegung in Verbindung stehen. Wir fordern deren sofortige Ausweisung in die Türkei. Wir erwarten auch ein Verbot der Unternehmen und Organisationen, die Gülen nahe stehen.
Zur Person
Ömer Çelik ist seit Mai dieses Jahres Minister für europäische Angelegenheiten in Ankara. Der 48-Jährige Politologe und ehemalige Journalist ist seit 2013 im türkischen Kabinett. Zuvor war er Minister für Kultur und Tourismus.
Sind Sie sicher, dass sie genug Beweise präsentieren, dass die Gülen-Bewegung hinter dem Putsch steht?
Der Beweis ist doch der Putsch selbst! Das ist ja wie, wenn mich jemand mit einer Pistole bedroht, es jeder sieht, aber dann noch Fotos sehen will.
Die meisten Europäer sind vor allem darüber schockiert, dass Präsident Erdoğan die Wiedereinführung der Todesstrafe erwägt.
Diesen Wunsch hat das Volk auf der Straße geäußert.
Warum aber hat Erdoğan es aufgegriffen?
Wir haben ja noch keine Schritte unternommen. Wir haben gesagt, wir respektieren den Willen des Parlaments. Es gibt viele demokratische Länder mit Todesstrafe.
Nur ist keines dieser Länder in der EU.
Wir sind auch kein Mitglied der EU.
Wenn die Türkei die Todesstrafe wieder einführt, wird sie auch nie Mitglied werden.
Die Verhandlungen sollten auf den Kapiteln und objektiven Kriterien basieren. Politiker wie Sigmar Gabriel oder Frank-Walter Steinmeier sagen, die Türkei werde in 20 Jahren nicht Mitglied der EU sein. Das zeigt: Da ist eine Agenda hinter den Kriterien.
Die Türkei und Deutschland hatten immer sehr enge Beziehungen, die bis ins Osmanische Reich zurückreichen. Diese ausschließende Politik ist neu. Während der Verhandlungen über den Flüchtlingsdeal hatten wir mehrere hochrangige Staatsbesuche in einem Monat - jetzt kam niemand.
Sie klingen wie ein verschmähter Liebhaber. Fühlt sich die Türkei so im Moment?
Einseitige Liebe gibt es nicht, und in internationalen Beziehungen gibt es überhaupt keine Liebe. Aber wir können sagen, es gibt wenige Länder, die sich gegenseitig so gut kennen wie Deutschland und die Türkei. Die EU-Mitgliedschaft der Türkei ist gut für die Türkei und die EU - aus strategischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen. Wir arbeiten dafür, aber die EU sollte auch ihren Teil dafür tun.