Ukraine-Invasion Putin lässt den Traum von der deutschen Energiewende platzen

Putin lässt den Traum der Energiewende platzen Quelle: imago images

Nord Stream 2 ist politisch tot, die Gaspreise sind außer Kontrolle – und die ganze Strategie der deutschen Transformation steht plötzlich in Zweifel. Der Ökonom Lars Feld mahnt: Außen- und Wirtschaftspolitik werden für lange Zeit nicht zu trennen sein.

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Es gibt keine Energiewende mehr. Jedenfalls keine, die man noch allein als klima- und industriepolitisches Großprojekt begreifen und betreiben könnte. Die Transformation der deutschen Wirtschaft, schon vor der Kriegszäsur des gestrigen Tages die wohl ehrgeizigste wirtschaftspolitische Herausforderung des Landes, ist endgültig in die volle Härte und die Wirren der Weltpolitik hineingezogen worden.

Dass Gaskraftwerke in den kommenden zehn, fünfzehn Jahren das flexible - und vor allem: verlässliche wie preiswerte - Rückgrat der deutschen Energieversorgung bilden sollen, erscheint derzeit illusorisch. Atomausstieg, Kohleausstieg, dazu die immense Abhängigkeit von russischen Gasimporten – alles zusammen wirkt spätestens im brutalen Licht des russischen Angriffskrieges in der Ukraine wie Schönwetter-Regieren aus vergangenen Zeiten.

Noch fließt Gas über Pipelines aus dem Osten nach Europa und Deutschland. Noch sind heftige Ausschläge auf den Rohstoffmärkten, bei Gas insbesondere, das gravierendste energiepolitische Problem, mit dem die Bundesregierung im Zuge der Ukraineinvasion umzugehen hat. Letzteres wird bleiben – und mit einiger Sicherheit wachsen. Aber vielleicht ist es erst der Anfang von etwas viel Größerem. Der politische Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 wäre dann kaum mehr als ein Vorspiel zu buchstäblich bitterkalten Zeiten.

„Außenpolitik wird in naher Zukunft einer der wichtigsten Bereiche der Wirtschaftspolitik überhaupt“, sagt der Ökonom Lars Feld, ehemaliger Chef der Wirtschaftsweisen, im Podcast Chefgespräch mit Beat Balzli. „Expansionsdrang und Nationalismus“ würden den Westen „unmittelbar herausfordern“. Was er damit sagen will: rüdeste Machtausübung ist wieder ein geopolitisches Mittel der Wahl.

Ist Deutschland darauf, wenn schon nicht militärisch, wenigstens wirtschafts- und energiepolitisch halbwegs vorbereitet? Das Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck hatte die „fossile Inflation“ schon vor der jüngsten Eskalation adressiert. Er will die Energiewende, natürlich, massiv beschleunigen. Die Regierungskoalition verabschiedete zudem noch am Vorabend der russischen Invasion in Berlin ein Entlastungspaket gegen steigende Energiepreise. Es enthält zehn Einzelmaßnahmen, mit einiger Mühe kommunikativ zwischen SPD, FDP und Grünen zusammengebunden, die Linderung verschaffen sollen: sie reichen von der Abschaffung der EEG-Umlage für Stromkunden über eine höhere Pendlerpauschale bis zu Zuschüssen für ärmere Haushalte.

So weit, so Kompromiss. Es war ein Papier, das schon Stunden danach wie aus der Zeit gefallen wirkte, als gäbe es noch Regierungsbusiness as usual. Deutschland befände sich in der „energiepolitischen Abhängigkeit von einem Despoten“, sagt Habeck mittlerweile in aller Deutlichkeit. Und ja, es gäbe eine „Einschränkung der Souveränität“. Was all das für die Zukunft der deutschen Energiewende, den Dreh-, Angel- und Fixpunkt der eigenen Klimapolitik, bedeutet? Sie ist offener, wichtiger und bedrohter denn je.

„Ich stehe voll hinter dem Ziel“, sagt der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Feld, „aber wir müssen es auch wirklich erreichen.“ Die Deindustrialisierung sei eine „reale Gefahr“. Die Transformation könne nur mit der Wirtschaft erreicht werden.

Die finanziellen Mittel der Bundesregierung waren allerdings schon vor der Renaissance der Rüstungsdebatte limitiert. Der Energie- und Klimafonds, der zahlreiche Maßnahmen hin zur Klimaneutralität finanzieren soll, gilt bereits als vielfach überzeichnet. Nun tritt eine Stärkung des Verteidigungsetats in den Kreis der konkurrierenden Haushaltsinteressen hinzu. Gleichzeitig kann es für die Umsetzung der Energiewende, verstanden als strategischer Prozess zum Lösen aus fossiler Abhängigkeit, nur einen Weg geben: schneller und konsequenter.

Nur wie? Er habe die „Sorge, dass über Subventionen versucht wird, die Transformation zu erreichen“, mahnt Feld im Podcast Chefgespräch. Denn natürlich sei Geldausgeben politisch weiterhin der attraktivere Weg. Ökonomisch klüger wäre es gleichwohl, auf konsequente Bepreisung von CO2-Emissionen zu setzen und für sozialen Ausgleich zu sorgen. Und dann die Anstrengungen für einen internationalen Klimaclub voranzutreiben.

In einer Erklärung am Donnerstag verurteilten die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen nicht nur die russische Invasion scharf. Sie bekräftigten auch tapfer, dem „Wandel hin zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft und der Klimaneutralität“ verpflichtet zu bleiben und die Möglichkeit zu prüfen, „einen offenen und kooperativen internationalen Klimaclub ins Leben zu rufen“.

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