Als Ben Wallace am Mittwoch vor die Öffentlichkeit tritt, klingen seine Worte beinahe wie ein Rückzug. Der britische Verteidigungsminister kommt gerade von einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen im Berliner Bendlerblock. Es ging um den Sudan, um die Luftsicherung im Baltikum, auch um den europäischen Raketenschirm gegen Russland. Aber die Fragen der Presseleute drehen sich an diesem Tag nur um eine Angelegenheit: Was ist mit der Kampfjet-Koalition für die Ukraine, die der Regierungschef des Vereinigten Königreichs Rishi Sunak und die Niederlande nur einen Tag zuvor angekündigt hatten? Anders gefragt: Eskaliert der Krieg jetzt also auf die nächste Stufe?
Nein, stellt Wallace klar: Es gehe seiner Regierung keineswegs um die direkte Lieferung von F-16-Flugzeugen. Weder besitze das Vereinigte Königreich diese Mehrzweck-Kampfjets, noch sei die Entsendung von britischen Eurofightern eine Option. Nur bei der Grundausbildung wolle man helfen. Großbritannien habe Russland mit seinem Vorstoß eine Botschaft senden wollen, „dass wir keine philosophischen oder moralischen Einwände gegen die Lieferung von Kampfjets haben“, beteuert Wallace. Und auch Pistorius betont mit Blick auf Deutschland: „Diese Entscheidungen werden im Weißen Haus gefällt, abgesehen von Finanzierungsfragen können wir keine aktive Rolle in einer solchen Koalition übernehmen.”
Also alles nur ein Missverständnis?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte erst vergangene Woche kurz vor einem Besuch in Berlin betont, er wolle eine solche „Kampfjet-Koalition“ bilden und darüber auch mit dem Bundeskanzler sprechen. Schon da hatte Olaf Scholz eigentlich abgewunken. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius verfestigt diese Botschaft nun: Deutschland sei Experte für die Bodenluft-Verteidigung und Instandsetzung. Nicht mehr und nicht weniger.
Und auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann betonte gegenüber der WirtschaftsWoche: „Deutschland hat keine F-16-Kampfjets“. Eine Rolle in der Koalition ergebe daher kaum Sinn. Nichts Neues. Debatte beendet. Würde man denken.
Trotzdem wirken Selenskyjs Worte bis jetzt nach. Längst fordert auch die die deutsche Opposition, die Regierung solle an einer „F-16-Allianz mitwirken und Staaten unterstützen, die ihre Kampfjets abgeben.“ So betonte es der außenpolitische Sicherheitsexperte der CDU, Roderich Kiesewetter.
Auch der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn sagte gegenüber der WirtschaftsWoche: „Die Lieferung von Kampfjets könne entscheidend für den Kriegsausgang sein. Warum sollten wir nicht als Gastgeber-Nation wenigstens logistische Unterstützung für die Ausbildung der ukrainischen Jet-Piloten leisten?“, fragt Hahn. Über die Bereitstellung von Infrastruktur, Flugplätzen und Trainingsräumen müsse die Regierung zumindest nachdenken, fordert der CSU-Politiker. „Immerhin sind drei US-Geschwader in Deutschland mit F-16 ausgestattet.”
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Hinter den Kulissen reagieren Ampel-Fachleute verschnupft auf solche Forderungen. Von sinnlosen Phantomdebatten ist die Rede. „Weder Tornado noch Eurofighter kommen technisch für den Einsatz in der Ukraine in Frage“, erklärt ein Ampel-Sicherheitspolitiker. Die Frage nach deutscher Schützenhilfe bei einer möglichen Lieferung einer Staffel F-16-Jets stelle sich überhaupt nicht, auch weil „das System eine eigene Logistik und Ausbildung verlangt, die Deutschland schlicht nicht liefern kann“. Nicht einmal die nötige Zustimmung der USA zur Auslieferung der dort hergestellten Maschinen sei gegeben. „Was soll das alles also jetzt auf einmal, vor allem nachdem wir gerade ein Waffenpaket für 2,7 Milliarden Euro für die Ukraine auf den Weg gebracht haben?“
Warum die Kampfjet-Debatte bisher stecken blieb
Gefordert hat die Ukraine westliche Kampfflugzeuge eigentlich schon lange. Doch dazu kam es bislang nicht, weil die politischen Hürden zu hoch schienen. „Mit der Lieferung von Jets bekäme das Land erstmals Systeme, die eindeutig als Angriffswaffe einsetzbar wären“, so ein hochrangiger Rüstungsmanager. „Und das Signal will bisher kein Land geben, vor allem Deutschland nicht.“
Wie Kampfjets der Ukraine im Krieg gegen Russland helfen würden
Die Ukraine hat im Gegensatz zu der klaren Forderung bei Kampfpanzern keine einheitliche Linie, wenn es um die Kampfjets geht. Vizeaußenminister Andrij Melnyk erwähnte faktisch alle bekannten Flugzeugtypen wie die US-amerikanischen F-16, F-35, die europäischen Entwicklungen des Eurofighters und der Tornados, die französischen Rafale und schwedische Gripen. Vor allem aber dürfte es um die F-16 gehen.
Die USA haben umfangreiche und überzählige Bestände an älteren Kampfflugzeugen - inklusive eines großen Flugzeug-Schrottplatzes auf der Luftwaffenbasis Davis-Monthan in Arizona, wo Militärmaschinen ausgeschlachtet werden. Bei den älteren Flugzeugtypen wie F-15 oder F-16 sowie F-10 („Warzenschwein“) könnte es wohl möglich sein, die Instandsetzung auf dem freien Markt einzukaufen. Ersatzteile sind in großer Zahl vorhanden. Grundvoraussetzung ist die Ausbildung.
Kriegsziel der Ukraine ist die komplette Befreiung des von Russland besetzten Staatsgebiets – einschließlich der bereits 2014 annektierten Halbinsel Krim. Für einen effektiven Vormarsch der demnächst von westlichen Kampfpanzern gestärkten Bodentruppen müssen diese idealerweise von der Luftwaffe unterstützt werden. Aufgrund der weiter funktionierenden ukrainischen Flugabwehr setzt Russland eigene Jets nur begrenzt in Frontnähe für Bombardements ein.
Im Krieg gelingt es beiden Seiten immer wieder, gegnerische Flugzeuge abzuschießen. Berichte über direkte Luftkämpfe zwischen ukrainischen und russischen Kampfjets gab es nur in den ersten Kriegstagen. Westliche Jets könnten hier vor allem Lücken schließen helfen. Doch die Rückerlangung der Lufthoheit wäre auch nach der Lieferung Dutzender Kampfjets aus dem Westen nicht zu erwarten. Das wäre nur möglich, wenn die russischen Flugabwehrsysteme komplett ausgeschaltet werden.
Vor dem Krieg hatte die Ukraine den Londoner Analysten des International Institute for Strategic Studies zufolge etwa 110 einsatzfähige Kampfflugzeuge. 70 davon Jagdflugzeuge des sowjetischen Typs Mig-29 und Suchoi 27. Dazu noch 45 Suchoi 25 und 24 zur Bekämpfung von Bodenzielen. Während des Krieges soll Kiew den Waffenanalysten der Investigativgruppe Oryx zufolge weitere 18 Suchoi 25 aus verschiedenen Quellen erhalten haben. Polen lieferte zudem Medienberichten nach bereits Mig-29 in Einzelteilen, und auch die Bundesregierung steuerte Mig-29-Ersatzteile bei. Das russische Militär will dabei bereits mehr als das Dreifache aller real vorhandenen ukrainischen Flugzeuge abgeschossen haben.
Die westlichen Unterstützer der Ukraine haben inzwischen umfangreiche und schwere Waffen für den Kampf am Boden und zur Flugverteidigung geschickt. Abwehrsysteme wie Patriot und Iris-T wirken überaus effektiv gegen feindliche Flugzeuge, Raketen und Drohnen und dies 24 Stunden am Tag - und schützen doch nur auf einen gewissen Umkreis des eigenen Standortes. Anders Kampfflugzeuge, die zum Schutz großer Regionen geeignet sind, wenn auch nur für beispielsweise eineinhalb Stunden pro Flug.
Mehr noch als zur Überwachung und dem Schutz gegen Angriffe können Kampfflugzeuge als sogenannte Luftnahunterstützung in Kämpfe am Boden eingreifen. Und mehr noch: Sie ermöglichen es, die Kraftquellen („center of gravity“) des Gegners anzugreifen. Die Ukraine wäre befähigt, Nachschubwege, Aufmarschgebiete, Treibstofflager und strategische Ziele Russlands zu zerstören. Spätestens da – so befürchten einige – wird politisch gefährlich, was im Sinne der Selbstverteidigung nicht verboten scheint.
Russland würde die Lieferung von Kampfjets als weiteren großen Schritt sehen für die von Moskau ohnehin seit langem behauptete direkte Beteiligung des Westens an dem Konflikt in der Ukraine. Der für Rüstungsfragen zuständige russische Diplomat Konstantin Gawrilow sagte im russischen Staatsfernsehen, dass die Jets das Kampfgebiet geografisch vergrößern würden. Das bedeute „nichts Gutes“ für Russland, sei aber auch keine Katastrophe.
Mehrere Länder, darunter die USA und Polen, schließen die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine nicht aus. In der Bundesregierung will man dieses Signal nicht setzen. Weder als Vorhaben noch als Option akzeptieren derzeit Politiker der Ampel-Koalition diesen Schritt, ganz vorn Kanzler Olaf Scholz (SPD). Aber auch die Vorkämpfer der Leopard-Lieferung, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und der Grüne Anton Hofreiter, machten deutlich, dass sie gegen eine Lieferung von Kampfjets sind.
Russland hat zwar schon jetzt keine Luftüberlegenheit über der Ukraine – allerdings auch seine Kampfjet-Verbände noch nicht im vollen Umfang im Einsatz. Das russische Staatsfernsehen zeigt fast täglich voller Stolz die zerstörerische Kraft russischer Raketen, die von Flugzeugen abgeschossen werden. Der General und Militärpilot Wladimir Popow sagte in einem Interview der Moskauer Zeitung „MK“, dass Russland die Kampfjets mit Luft-Luft-Raketen abschießen würde. Wenn das nicht gelinge, müssten sie auf den Luftwaffenstützpunkten durch Hochpräzisionswaffen zerstört werden.
Dabei wies auch das Verteidigungsministerium in Moskau zuletzt Angaben des Westens zurück, Russland könnten die Raketen und die Munition ausgehen. Von ihren Zielen der Besetzung der vier ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson will Russlands Machtführung nicht ablassen. Kremlchef Wladimir Putin hat immer wieder betont, dass die Atommacht Russland ihre Interessen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen werde.
Auch ist eine Lieferung von Kampfflugzeugen technisch schwerer umsetzbar als etwa bei Panzern und Flugabwehr. Die europäischen Nato-Länder können ihre Flieger schlicht noch weniger entbehren als ihre Bodensysteme. „Schließlich kostet jeder Jet so viel wie ein paar Dutzend Panzer“, sagt der Rüstungsmanager. Dazu brauchten die europäischen Hightech-Geräte mehr Wartung. „Auf eine Stunde in der Luft kommen schnell zehn oder mehr in der Werkstatt“, sagt Michael Santo, Vorstand der in der Verteidigungsindustrie starken Unternehmensberatung H & Z und ehemaliger Luftwaffenoffizier. Darum galt eine Lieferung von Kampfflugzeugen bisher als hohle Drohung.
Zumindest das scheint sich mit dem Vorstoß Großbritanniens jetzt zu ändern – auch wenn das Land selbst ja gar nicht liefern kann.
Experten sehen zwei Perspektiven in Bezug auf die vorgeschlagene Koalition: Zum einen dürfte die stärker werdende Erkenntnis im Vordergrund stehen, dass die Ukraine langfristig aufgerüstet werden muss. „Wir tendieren dazu, Strategien in diesem Krieg als Sprint zu begreifen“, sagt Rüstungsforscher Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Stattdessen aber würden Kampfjets auf der Zeitachse wohl erst in rund zwei Jahren relevant werden. „Für die aktuell anstehende Offensive der Ukraine spielen die Flugzeuge kaum eine Rolle, sondern es geht um die darauffolgende Abschreckung“, erklärt Mölling.
Zum anderen demonstriert vor allem Großbritannien mit der Forderung sein militärisches Commitment zum westlichen Bündnis. „Man will die nötigen Schritte auf den Weg bringen, um die Strukturen für Ausbildung, Logistik und Lieferketten zu schaffen“, sagt Mölling. Und das hat wiederum starke politische Auswirkungen auf den zukünftigen Verlauf des Konflikts.
Der schrittweise Umstieg von der sowjetischen Mig-29 auf den F-16 bedeutet für die Ukraine nicht weniger als einen militärischen Systemwechsel. Und dieser Wechsel würde das Land wesentlich tiefer in die westliche Sicherheitsinfrastruktur der Nato einbetten, ohne dass das Land selbst Mitglied werden muss. „Es geht der Allianz hier um einen langfristigen Strukturaufbau und nicht um die aktuellen Kriegswirren“, betont Mölling.
Von einem realistischen, weil umsetzbaren Szenario spricht auch ein deutscher Rüstungsmanager.