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Ukraine-Krise Deutschland übernimmt Verantwortung

Die in Berlin vereinbarte Deeskalation in der Ukraine-Krise ist ein Etappensieg für das Auswärtige Amt, wo Außenminister Steinmeier hartnäckig eine diplomatische Lösung forciert. Scheitert dieser Dialog, werden die Hardliner harte Sanktionen durchsetzen.

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Frank Walter Steinmeier Quelle: dpa

Für den nach Außen so besonnen wirkenden Frank-Walter Steinmeier ist die Ukraine-Krise eine wahnsinnige Geduldsprobe. Nimmermüde sucht der Bundesaußenminister Kompromisse zur Lösung des immer blutigeren Konflikts zwischen der ukrainischen Truppen und pro-russischen Separatisten – doch ständig grätscht jemand dazwischen: Mal stört Amerika die zarten Pflänzchen der europäischen Diplomatie, indem Waffenlieferungen an die Ukraine versprochen werden. Mal schießen hirnlose Separatisten trotz Waffenruhe mit offenbar russischem Militärgerät einen ukrainischen Hubschrauber ab. Schließlich war es der ukrainische Präsident selbst, der den Waffenstillstand diesen Monat beendete.

Ukraine in Zahlen

Steinmeiers Schreikrampf gegen irrlichternde Verschwörungstheoretiker, die ihn jüngst auf dem Berliner Alexanderplatz angriffen, ist sicherlich ein Ausdruck der Frustration angesichts der ständigen Rückschläge. Umso mehr ist es dem SPD-Politiker hoch anzurechnen, dass er stoisch an seiner auf Kompromisse und Dialoge zielenden Diplomatie festhält. Mit der Waffenruhe, die er in Berlin im Beisein des Pariser Amtskollegen Laurent Fabius zwischen mit Ukraine-Außenminister Pawlo Klimkin und dem russischen Chefdiplomaten Sergej Lawrow vermittelte, ist ein wichtiger erster Schritt zur Deeskalation getan. Wenn spätestens ab Samstag die Waffen ruhen, sollen Russen und Ukrainer jene gemeinsamen Grenzen sichern, deren weite Felder und Wälder zu Einfallstoren für Lieferungen russischer Waffen an Separatisten geworden sind.

Natürlich ist der Weg noch weit, der Frieden mehr als brüchig. Offen bleibt die Frage, ob die pro-russischen Separatisten überhaupt noch kontrollierbar sind. Wie Quellen der WirtschaftsWoche per WhatsApp berichten, knöpfen die Freischärler an ihren Kontrollposten den Flüchtlingen horrende Schmiergelder ab – nur weil sie vor Angst um ihr Leben die Städte in Richtung Kiew oder Rostow am Don verlassen wollen. Überdies boomt der Waffenschmuggel. In der still stehenden Industrieregion „Donbass“ geht es nicht mehr um Politik – vielmehr ist ein Konflikt entstanden, an dem einige so genannte Separatisten gut Geld verdienen. Trotzdem wäre es ein wichtiger erster Schritt, wenn sich Russland endlich von den Marodeuren distanziert statt den Zustrom von Waffen und Kaukasus-Terroristen zuzulassen. Klar, zugleich muss die ukrainische Armee das Feuer einstellen!

Selbst wenn die Waffen ruhen, ist noch viel zu tun. In der Ukraine gibt es kein Konzept, wie das nach viel Blutvergießen gespaltene Land vereint werden soll. Weiterhin ist offen, wie der Staat mit über 40 Millionen Einwohnern durch die daraus folgende Wirtschaftskrise kommen soll.

Im Westen fehlen selbst Ansätze einer schlüssigen Russlandpolitik, die die Interessen des Landes berücksichtigt – aber auch zulässt, dem sich vom Westen abgrenzenden Nachbarn im Osten bei Bedarf auch mal Zähne zu zeigen. Es darf weiterhin bezweifelt werden, ob es im Berliner und Brüsseler Politikbetrieb genug Fachleute gibt, die Osteuropa und insbesondere Russland analytisch scharf sezieren können – ohne gleich Schaum vor den Mund zu kriegen.

Mit dem Berliner Kompromiss geht Deutschland in Verantwortung. Steinmeiers Vermittlung zeigt, wie die im Februar versprochene aktivere deutsche Außenpolitik in der Praxis ausschauen kann – auch wenn die Strategie dahinter noch fehlt. Es ist gut, dass Steinmeier den gleichgesinnten französischen Kollegen einbindet, nicht aber die Amerikaner oder pro-amerikanische Kräfte in der EU. Europa muss in diesem Konflikt ohne Washington vermitteln, um sich so Respekt auf internationalem Parkett zu verschaffen. Mit dem Vorstoß in der Ukraine-Krise geht Steinmeier auch ins Risiko: Wenn seine Diplomatie scheitert, könnten künftig die Hardliner in Brüssel und Washington das Sagen haben – und Wirtschaftssanktionen durchsetzen, die eine kooperative Politik mit dem schwierigen Nachbarn Russland auf Jahre hinaus unmöglich macht.

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