
Nach fünf Jahren Rettungspolitik sind viele Bürger über das Krisenmanagement in Europa enttäuscht. Laut einer Umfrage unter west- und südeuropäischen Ländern sagen 62 Prozent, dass die griechische Schuldenkrise schlecht gehandhabt worden ist. Lediglich 12 Prozent meinen das Gegenteil.
Die Italiener kritisieren die Griechenlandpolitik der EU am heftigsten. 76 Prozent sagen, diese habe nicht funktioniert, gefolgt von Frankreich (66), Portugal (65) und Spanien (63). In den Südstaaten der EU, die die Auswirkungen der Krise am deutlichsten spüren, ist die Ablehnung also überproportional ausgeprägt. Bei den Briten sind 57 Prozent der Bürger mit der Griechenlandpolitik nicht einverstanden. In Deutschland halten sie 56 Prozent für falsch, in den Niederlanden 53 Prozent.
Neun Klischees über die EU – und die Wahrheit dahinter
Die EU gilt vielen als Verwaltungsmoloch. Mit rund 33.000 Mitarbeitern beschäftigt die EU-Kommission in etwa so viele Menschen wie die Stadtverwaltung München.
Seit der Einführung direkter Europawahlen 1979 hat das EU-Parlament deutlich mehr Einfluss gewonnen. Die Abgeordneten bestimmen über die meisten Gesetze mit, haben das letzte Wort beim Haushalt und wählen den Kommissionspräsidenten.
Deutschland leistet den größten Beitrag zum EU-Haushalt. 2012 zahlte Berlin netto 11,9 Milliarden Euro. Gemessen an der Wirtschaftsleistung sind Dänemark oder Schweden aber noch stärker belastet.
Zehn Jahre nach der Osterweiterung erweist sich die Angst vor dem „Klempner aus Polen“ als unbegründet. Stattdessen wächst die Wirtschaft in den neuen Mitgliedstaaten.
Neue Sanktionen gegen Russland beweisen: Die EU spielt eine Rolle in der Ukraine-Krise - ebenso wie bei anderen Krisenherden in aller Welt. Den EU-Staaten fällt es dennoch oft schwer, in der Außenpolitik mit einer Stimme zu sprechen.
Bereits seit 2009 abgeschafft, lastet die „Verordnung (EWG) Nr. 1677/88“ noch wie ein Fluch auf Brüssel. Die Vorschrift setzte Handelsklassen für das grüne Gemüse fest und gilt als Paradebeispiel für die Regulierungswut von Bürokraten.
In diesem Jahr verfügt die EU insgesamt über mehr als 130 Milliarden Euro. Das ist viel Geld, entspricht aber nur rund einem Prozent der Wirtschaftsleistung der Staaten.
Die Landwirtschaft macht einen sehr großen, aber kleiner werdenden Teil des EU-Haushalts aus. Der Agrar-Anteil am Budget ist in den vergangenen 30 Jahren von 70 auf 40 Prozent geschrumpft.
Die EU-Abgeordneten erhalten monatlich zu versteuernde Dienstbezüge von 8020,53 Euro. Hinzu kommen stattliche Vergütungen etwa für Büros, Mitarbeiter und Reisen. Ein Bundestagsabgeordneter erhält 8252 Euro, ebenfalls plus Zulagen.
Das britische Meinungsforschungsinstitut „Opinium Research“ hatte über 7.000 Bürger im vergangenen Juli repräsentativ befragt. Die vollständige Studie ist hier erhältlich.
Für Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik sind die schlechten Bewertungen eine logische Folge aus den harten Verhandlungen zwischen Griechenland und den Gelgebern. „Jede Seite hat daheim seine Maximalforderungen gut verkauft. Für die Bürger war der Kompromiss dann umso enttäuschender.“ Er fürchtet, dass langfristig Vertrauen in die politischen Institutionen auf europäischer Ebene verloren geht.
Laut dem jüngsten Eurobarometer, welches regelmäßig von der EU-Kommission veröffentlicht wird, war das Vertrauen in die EU zuletzt wieder leicht gestiegen. Im vergangenen Herbst hatte noch 50 Prozent gesagt, dass sie Brüssel nicht vertrauen. In diesem Frühjahr ist dieser Wert auf 46 Prozent zurückgegangen. Zugleich stieg die Zahl der EU-Befürworter um drei Punkte auf 40 Prozent an.
Von Grexit bis Graccident - die wichtigsten Begriffe zur Schuldenkrise
Der Kunstbegriff wurde aus den englischen Worten für „Griechenland“ (Greece) und „Ausstieg“ (Exit) gebildet - gemeint ist ein Ausstieg oder Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone. So etwas ist in den EU-Verträgen allerdings gar nicht vorgesehen. Die Idee: Würde Griechenland statt des „harten“ Euro wieder eine „weiche“ Drachme einführen, könnte die griechische Wirtschaft mit einer billigen eigenen Währung ihre Produkte viel günstiger anbieten.
Neuerdings wird auch vor einem unbeabsichtigten Euro-Aus der Griechen gewarnt. Das Kunstwort dafür besteht aus Greece und dem englischen Wort für „Unfall“ (Accident) - wobei das Wort im Englischen auch für „Zufall“ stehen kann. Gemeint ist ein eher versehentliches Schlittern in den Euro-Ausstieg, den eigentlich niemand will - der aber unvermeidbar ist, weil Athen das Geld ausgeht. Mittlerweile taucht die Wortschöpfung auch als „Grexident“ auf.
Staaten brauchen Geld. Weil Steuereinnahmen meist nicht ausreichen, leihen sie sich zusätzlich etwas. Das geschieht am Kapitalmarkt, wo Staaten sogenannte Anleihen an Investoren verkaufen. Eine Anleihe ist also eine Art Schuldschein. Darauf steht, wann der Staat das Geld zurückzahlt und wie viel Zinsen er zahlen muss.
Im Grunde handelt es sich ebenfalls um Anleihen - allerdings mit deutlich kürzerer Laufzeit. Während Anleihen für Zeiträume von fünf oder zehn oder noch mehr Jahren ausgegeben werden, geht es bei T-Bills um kurzfristige Finanzierungen. Die Laufzeit solcher Papiere beträgt in der Regel nur einige Monate.
Manchmal hat ein Staat so viel Schulden, dass er sie nicht zurückzahlen kann und auch das Geld für Zinszahlungen fehlt. Dann versucht er zu erreichen, dass seine Gläubiger auf einen Teil ihres Geldes verzichten. Das nennt man Schuldenschnitt. Dieser schafft finanzielle Spielräume. Allerdings wächst auch das Misstrauen, dem Staat künftig noch einmal Geld zu leihen.
Seit 2010 hatten immer mehr Staaten wegen hoher Schulden das Vertrauen bei Geldgebern verloren. Für sie spannten die Europartner einen Rettungsschirm auf. Er hieß zuerst EFSF, wurde später vom ESM abgelöst. Faktisch handelt es sich um einen Fonds, aus dem klamme Staaten Kredithilfen zu geringen Zinsen bekommen können.
In der Euro-Schuldenkrise wurde der Begriff für das Trio aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission gebraucht. Sie kontrollieren die verlangten Reformfortschritte. Im Euro-Krisenland Griechenland ist die Troika deswegen zum Feindbild geworden. In seinem Schreiben an die Eurogruppe spricht Athen nun von „Institutionen“. Auch die Europartner wollen das Wort „Troika“ nicht mehr verwenden. In offiziellen Dokumenten war ohnehin nie die Rede von der „Troika“.
Ob die Europäische Union als Institution langfristig Vertrauen zurückgewinnen kann, hängt maßgeblich von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. In der Opinium-Umfrage haben die befragten Europäer die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone allerdings negativ bewertet. 48 Prozent sagen, die Europäische Union habe diese schlecht gehändelt. Nur 14 Prozent meinen das Gegenteil. 38 Prozent sind unentschieden oder haben keine Meinung dazu.
Griechenland muss zur Erfolgsgeschichte werden
Auch bei dieser Frage gibt es deutliche Unterschiede zwischen den West- und Südeuropäern. Mit 65 Prozent sind die Italiener erneut am skeptischsten, gefolgt von Frankreich (58), Portugal (55) und Spanien (52). Im Vereinigten Königreich meinen noch 45 Prozent, die wirtschaftliche Erholung sei schlecht gehandhabt worden, in den Niederlanden 35 Prozent und in Deutschland nur 24 Prozent. 26 Prozent der Bundesbürger sagen das Gegenteil. Eine Mehrheit von 51 Prozent hat hingegen keine Meinung oder ist unentschieden.
Die deutsche Sonderrolle erklärt sich SWP-Experte von Ondarza mit der guten wirtschaftlichen Entwicklung hierzulande. „Viele Bundesbürger bewerten nicht insgesamt die Lage in der Eurozone, sondern wie es ihnen selbst in Deutschland geht.“
Bei der Frage, welche Lehren die Europäer aus der aktuellen Misere ziehen sollten, sind sich die Bürger uneins. Über alle Ländergrenzen hinweg wollen 45 Prozent die europäische Integration vertiefen und mehr Macht nach Brüssel abgeben. 20 Prozent wollen es beim aktuellen Integrationsniveau belassen. Weitere 29 Prozent sagen, die europäische Einigung sei zu weit gegangen und müsse zurückgeschraubt werden.





Besonders bei den Südländern ist der Wunsch nach mehr gemeinsamer europäischer Politik ausgeprägt. In Spanien wünschen sich 56 Prozent eine stärkere Integration, gefolgt von Portugal (54) und Italien (47). „Die Südländer hoffen auf mehr Solidarität aus dem Norden“, erklärt von Ondarza.
In Deutschland können sich noch 30 Prozent mehr Europa vorstellen, Frankreich (24), Niederlande (17) und in Großbritannien gerade noch 14 Prozent. „Diese Gruppe von Ländern hat Angst, dass sie noch mehr zahlen müssen als bislang.“
Knapp die Hälfte der Briten sowie über 40 Prozent der Niederländer wollen zugleich Brüssel in seinen Kompetenzen beschneiden. In Frankreich sind es 32 Prozent, in Italien 25 und in Deutschland 24 Prozent. Für Nicolai von Ondarza ist klar: „Wenn die wirtschaftliche Misere in Griechenland weitergeht, verfestigt sich der Eindruck, dass die europäische Rettungspolitik hier gescheitert ist. Nur wenn aus Griechenland doch noch eine Erfolgsgeschichte wird, steigt auch die Akzeptanz bei der Bevölkerung.“