Das nächste deutsche Wirtschaftswunder bescheren uns hunderttausende Flüchtlinge. Diese Hoffnung formulierte Daimler-Chef Dieter Zetsche im September letzten Jahres. Wer sein komplettes Leben zurücklasse, sei schließlich hoch motiviert. „Genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land“, sagt der CEO damals. Knapp ein Jahr später zeigt eine FAZ-Umfrage unter Deutschlands 30 größten Unternehmen, dass nur wenige Flüchtlinge eingestellt wurden. Die Deutsche Post beschäftigt demnach 50 Flüchtlinge, SAP und Merck je zwei, bei Daimler sind es aktuell neun.
Bei den Spitzen von Wirtschaft und Politik ist die Anfangseuphorie längst verflogen. Und die Bevölkerung? Die ist weiterhin optimistisch, dass die Flüchtlinge dem Land ökonomisch gut tun werden. 59 Prozent der Deutschen sagen, dass die Neuankömmlinge das Land mit ihrer Arbeit und ihren Talenten stärker machen werden. 31 Prozent der Bundesbürger glauben das nicht.
Asylanträge nach Bundesländern 2017
Nirgendwo sonst wurden so vielen Asylanträge gestellt wie in Nordrhein-Westfalen. In der ersten Jahreshälfte 2017 waren es bisher 32.122 Menschen.
Hinweis: Alle Daten beziehen sich auf Erst- und Folgeanträge in den Monaten Januar bis Juni 2017.
Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge / Statista
Stand: August 2017
12.921 Menschen haben in der ersten Hälfte des Jahres 2017 in Bayern einen Asylantrag gestellt.
In Baden-Württemberg wurden 2017 bisher 11.290 Asylanträge gestellt.
In Niedersachsen stellten 10.003 Menschen im Januar bis Juni 2017 einen Antrag auf Asyl.
In Rheinland-Pfalz beantragten 2017 bislang 7.610 Menschen Asyl.
In Hessen stellten in den ersten sechs Monaten 2017 7.508 Bewerber einen Asylantrag.
In Berlin wurden von Januar bis Juni 2017 5.535 Anträge auf Asyl gestellt.
Bis Mitte 2017 stellten 4.205 Menschen einen Asylantrag in Sachsen.
3.346 Asylanträge verzeichnet Schleswig-Holstein für die ersten sechs Monate 2017.
Einen Asylantrag in Sachsen-Anhalt stellten bis Juni 2017 3.304 Menschen.
Asyl in Brandenburg beantragten in der ersten Jahreshälfte 3.162 Menschen.
In Thüringen wurden in den Monaten Januar bis Juni 2017 3.049 Asylanträge gestellt.
In Hamburg stellten bis Ende Juni 2017 2.633 Menschen einen Antrag auf Asyl.
In Mecklenburg-Vorpommern stellten 2.104 Menschen einen Asylantrag (Januar bis juni 2017).
Bis Juni 2017 stellten im Saarland 1.538 Menschen einen Asylantrag.
In Bremen beantragten bis Ende Juni 1.192 Menschen Asyl.
Bei 94 Asylanträgen bis Mitte 2017 ist das Bundesland, in dem der Antrag gestellt wurde, anscheinend unbekannt.
Die Zahlen gehen aus einer europaweiten Befragung des Pew Research Center hervor, einem US-amerikanischen Think Tank mit Sitz in Washington DC. In zehn europäischen Ländern hatte das Pew Research Center knapp 11.500 Menschen befragt – in Italien, Griechenland, Frankreich, Spanien, Ungarn, Polen, dem Vereinigten Königreich, Schweden, Deutschland und den Niederlanden. Die Auswahl der Länder steht für etwa 80 Prozent der EU-Bevölkerung sowie 82 Prozent der Wirtschaftskraft innerhalb der Europäischen Union.
Noch optimistischer als die Deutschen sind die Schweden. 62 Prozent glauben, dass ihr Land ökonomisch von den aufgenommenen Flüchtlingen profitieren wird, in Spanien meint das die Hälfte der Befragten. In anderen EU-Ländern überwiegt hingegen die Skepsis. 82 Prozent der Ungarn sagen, Flüchtlinge nehmen der einheimischen Bevölkerung Jobs weg. Auch in Polen (75 Prozent), Griechenland (72 Prozent) und Italien (65 Prozent) überwiegt die Skepsis.
Beim Thema Innere Sicherheit sind die Europäer mehrheitlich besorgt. Durchschnittlich 59 Prozent der Befragten in Europa stimmen der Aussage zu, dass die Terrorismusgefahr wachse, weil Flüchtlinge im Land sind. In Ungarn schließen sich drei von vier dieser Einschätzung an, in Polen 71 Prozent. Deutschland und die Niederlande teilen sich den dritten Platz, hier halten 61 Prozent der Menschen die Terrorismusgefahr im Zuge der Flüchtlingskrise für erhöht.
Skeptisch sind die Deutschen auch bei der Integrationsfrage. Ein Viertel der Befragten stimmt der Aussage zu, dass Deutschland ein besserer Ort werde, weil die ethnische und kulturelle Vielfalt zunehme. Knapp ein Drittel glaubt hingegen, dass diese Entwicklung schlecht für das Land ist. 40 Prozent, eine relative Mehrheit, rechnet mit keinem großen Einfluss.
Das Ergebnis deckt sich mit einer Befragung der Stiftung Mercator, deren Ergebnisse kürzlich veröffentlicht wurden. Demnach sank die Zustimmung zur Willkommenskultur bei den befragten Deutschen ohne Migrationshintergrund von knapp 40 Prozent im letzten Jahr auf 32 Prozent in diesem Jahr. Vor einem Jahr sagte zudem eine klare Mehrheit von knapp 55 Prozent, dass sie sich darüber freuen, wenn sich immer mehr Migranten in Deutschland zuhause fühlen. Im Jahr 2016 stimmen dieser Aussage noch 43 Prozent der Deutschen ohne Migrationshintergrund zu.
Kulturelle Angst vor Flüchtlingen in Südeuropa am größten
Und selbst in Schweden, das neben Deutschland am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, ist die Skepsis groß, ob die Flüchtlinge das Land kulturell bereichern. 36 Prozent sind laut Pew Research Center dieser Überzeugung, 26 Prozent sind anderer Meinung, 38 Prozent rechnen mit keiner Veränderung.
Am größten ist die kulturelle Angst vor Flüchtlingen nicht etwa in Ungarn oder Polen, deren Regierungen in der Krise vor allem auf Grenzsicherung und Abschottung gesetzt hatten. Jeder vierte Bürger glaubt hier nicht, dass sich ihr Land durch Flüchtlinge und Einwanderer zum Besseren verändert. Noch höher sind die Werte aber in südeuropäischen Ländern. In Griechenland (63 Prozent) und Italien (53 Prozent) ist die kulturelle Sorge vor Flüchtlingen am größten – beides Länder, die Flüchtlingen eine schlechte ökonomische Zukunft prophezeien.
Zusammengefasst: Die Angst vor Terrorismus, bedingt durch die Flüchtlingskrise, ist in Europa hoch. Zudem bezweifeln viele Europäer, dass die Flüchtlinge Europa kulturell bereichern werden. In den meisten Ländern rechnet zumindest eine relative Mehrheit aber mit keinen großen Verwerfungen bei der Integration der Flüchtlinge.
Je schlechter die ökonomischen Chancen von Einwanderern und Flüchtlingen gesehen werden, desto größer wird die Gefahr eingeschätzt, die Integration könnte scheitern. Immerhin: In Deutschland haben nach Angaben von Frank-Jürgen Weise, Chef der Arbeitsagentur und der Flüchtlingsbehörde, etwa 30.000 Flüchtlinge seit Frühjahr vergangenen Jahres einen Job gefunden. Aus den acht wichtigsten Asyl-Herkunftsländern arbeiteten im April rund 96 000 Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs – ein Anstieg um 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Für deutsche und europäische Unternehmen ist das erst der Anfang. Nur wenn es gelingt, möglichst viele Flüchtlinge in Arbeit zu bekommen, kann die ökonomische und kulturelle Integration gelingen.
Hinweis: In einer ersten Version des Artikels hatten wir berichtet, dass Daimler bislang keine Flüchtlinge beschäftigt. Diese Information war falsch, Daimler beschäftigt aktuell (11. Juli 2016) neun Flüchtlinge. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.