Umstrittene Reformen in Polen Wie Jarosław Kaczyński den Rechtsstaat abschafft

Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verstaatlicht, das Verfassungsgericht ausgehebelt: Jarosław Kaczyński krempelt Polen um. Die Bevölkerung will er mit sozialpolitischen Wohltaten besänftigen. Was steckt hinter Kaczyńskis Plan?

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Jaroslaw Kaczyńskis Plan gefährdet den Wirtschaftsstandort Polen. Quelle: REUTERS

Die Nachrichten im polnischen Radio beginnen mit einer Warnung des Intendanten: "Seid wachsam, was geschieht, wenn das neue Mediengesetz in Kraft tritt." Zu jeder vollen Stunde erleben das derzeit polnische Bürger, wenn sie den ersten Rundfunksender einschalten. Er wehrt sich damit gegen das neue Mediengesetz der nationalkonservativen Regierung, mit dem öffentlich-rechtliche Sender zu einem Staatsrundfunk umgebaut werden.

Ist Polen noch ein Rechtsstaat?

Diese Frage stellen sich in Polen und Europa viele, nachdem das umstrittene Mediengesetz und die Entmachtung des Verfassungsgerichtes auf den Weg gebracht wurden. Für Dieter Bingen, Direktor des Deutschen Polen-Instituts (DPI), ist Polen zwar weiterhin eine Demokratie. „Die Gewaltenteilung ist durch die Reform des Verfassungsgerichts aber faktisch ausgehebelt worden. Das Verfassungstribunal wird zum Instrument der jeweils regierenden Parlamentsmehrheit degradiert“, sagt Bingen. Die Unabhängigkeit der Judikative werde damit und mit weiteren Rechtsreformen eingeschränkt und geschwächt.

Das EU-Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit

Nach ihrem Wahlsieg Ende letzten Jahres hatte die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die Regierungsgeschäfte in Polen übernommen und unmittelbar mit dem Umbau des politischen Systems begonnen. Der frühere deutsche Verfassungsrichter Dieter Grimm wies zwar kürzlich in der "FAZ" darauf hin, dass es durchaus funktionierende Rechtsstaaten ohne Verfassungsgericht geben kann. Aber: „Im Allgemeinen lehrt die Erfahrung, dass Verfassungen auf schwachen Füßen stehen, wenn ihnen eine gerichtliche Durchsetzungsinstanz fehlt.“

Für Klaus Ziemer, früher Politikwissenschaftler an der Universität in Trier und heute in Warschau, ist PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński der entscheidende Mann. „Das Verfassungsgericht wurde von Kaczyński schon vor zehn Jahren als dritte Kammer wahrgenommen, die immer mit der Opposition stimmt. Deswegen hat er jetzt gleich zu Beginn der Wahlperiode das Gericht ausgehebelt“, sagt Ziemer. Kaczyński hat zwar kein Amt in der neuen Regierung inne, gilt aber als Strippenzieher.

Das zweite große Projekt des früheren Ministerpräsidenten, der zwischen 2005 und 2007 im Amt war: Das Mediengesetz. „In den öffentlich-rechtlichen Medien will sich PiS ein freundlicheres Umfeld schaffen. Rundfunk, Fernsehen und die polnische Presseagentur werden in nationale Medien umgewandelt“, erklärt Ziemer.

Laut Polen-Experte Bingen gab es schon früher nach Regierungswechseln politische Einmischung und Austausch des Personals im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen. „Nur sind die jetzt durch das neue Gesetz viel weiter reichende Eingriffe legitimiert.“ Allerdings werde es in Polen weiterhin eine große Medienvielfalt durch starke private Sender und Printmedien geben, die nicht staatlich kontrolliert sind.

Welches Ziel verfolgt Kaczyński?

Aus Sicht Kaczyńskis hat Polen 1989 die Revolution nicht richtig durchgeführt. Die neuen Eliten haben sich seiner Meinung nach mit den alten verbündet, wodurch Postkommunisten, alte Geheimdienstler und Kriminelle an die Macht kamen. Seinem eigenen Verständnis nach ist er derjenige im Land, der nun für Ordnung sorgt.

Was Polen und Ungarn gemeinsam haben

„Kaczyńskis eigentliches Ziel ist eine Verfassungsänderung. Er will eine zentralistische Staatsorganisation mit einem starken Präsidenten an der Spitze, der sehr umfangreiche Kompetenzen erhält“, sagt Ziemer. Zwar regiert die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ mit absoluter Mehrheit im Parlament. Für eine derartige Verfassungsänderung reicht die Mehrheit aber nicht aus.

Dieter Bingen geht davon, dass Kaczyńskis Plan mindestens zwei Phasen haben wird. „In der ersten Phase, die wir aktuell erleben, baut er das politische System um, um die Macht für seine Partei auf längere Zeit zu sichern. In der bald folgenden zweiten Phase wird er die Mehrheit in der Gesellschaft mit einem sozial fürsorglichen Staat für seine Sache zu gewinnen suchen“, sagt der Politikwissenschaftler.

Wie geht es mit der polnischen Wirtschaft weiter?

Die PiS hatte bereits im Wahlkampf eine Reihe von sozialpolitischen Wohltaten angekündigt. Die Regierung will nun unter anderem das Kindergeld, Renten und den Mindestlohn erhöhen. „Die Wirtschaftskraft ist in Polen sehr ungleich verteilt. Es gibt große Einkommensunterschiede zwischen arm und reich“, sagt Ziemer.

Der Osten sei zudem deutlich schwächer als der Westen. „Die sozialen Wohltaten sollen mit höheren Steuern für Banken und Supermärkte bezahlt werden. Ob diese Rechnung aufgeht, ist offen.“ Polen will zwar in absehbarer Zeit nicht der Eurozone beitreten. Eine höhere Verschuldung dürfte aber auf mittlere Sicht die Gestaltungsspielräume der Regierung einschränken.

Wie hoch die Folgekosten aus dem derzeitigen Imageschaden sind, lässt sich bislang zwar nicht abschätzen, wie Bingen erklärt. „Im Augenblick baut sich in Deutschland, Westeuropa und in Nordamerika aber das Bild Polens als eines unverständlichen und reaktionären osteuropäischen Landes auf, obwohl das überhaupt nicht der bunten gesellschaftlichen Wirklichkeit entspricht und Polen in Mitteleuropa liegt. Das schadet dem Wirtschaftsstandort Polen“, sagt der Chef des Deutschen Polen-Instituts.

Geht Polen nun den ungarischen Weg?

Ungarns nationalkonservativer Ministerpräsident Viktor Orbán gilt vielen nationalkonservativen Kräften in Osteuropa als Vorbild. Zuletzt kündigte er an, Sanktionen der Europäischen Union gegen Polen nicht mittragen zu wollen. Orbán sieht sich als Speerspitze der Nationalkonservativen.

Aus Sicht von Bingen gibt es Gemeinsamkeiten in den Fällen Ungarn und Polen. „Den früheren Ostblockstaaten fehlt eine jahrzehntelang erprobte demokratische politische Kultur“, analysiert der Politikwissenschaftler. Viele der Gesellschaften hätten Defizite beim Aushandeln von Kompromissen. Zudem gibt es viele Verlierer der politischen und wirtschaftlichen Transformation nach 1989. „Ein Teil der Bevölkerung, vor allem die gut ausgebildete junge Generation, leidet unter hoher Arbeitslosigkeit und fühlt sich abgehängt.“ Ähnlich wie in Spanien oder Griechenland gibt es also auch in Polen eine junge Generation, die keine Perspektive im Lande sieht.

Der große Unterschied zwischen Polen und Ungarn liegt für Klaus Ziemer aber im Widerstand der Bevölkerung. „Die Ungarn sind bis heute nicht in der Art auf die Straße gegangen, wie die Polen nach drei Wochen unter der neuen Regierung“, sagt Ziemer. Die Zivilgesellschaft sei in Polen viel stärker ausgeprägt. Sie wird entscheiden, wie lange sie die Pläne Kaczyńskis unterstützt.

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