Unesco-Status ungleich verteilt „Es gibt tolle Orte, die nie Welterbe werden“

Die Santa Maria delle Grazie in Mailand ist eines von vielen Unesco Welterben in Italien. Quelle: imago images

Im Juli entscheidet das Welterbe-Komitee der Unesco über die Neuaufnahmen der Welterbeliste. Die Ökonomin Ann-Katrin Voit rügt die inflationäre Vergabe des Siegels und sieht eine Benachteiligung von Entwicklungsländern.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ann-Katrin Voit, 34, ist Professorin an der privaten FOM-Hochschule für Ökonomie und Management und wissenschaftliche Gesamtstudienleiterin am Hochschulzentrum Bochum. Sie hat über das Welterbe-Projekt ihre Dissertation geschrieben. 

Frau Voit, Anfang Juli entscheidet die Unesco darüber, welche neuen Stätten auf dem Globus den begehrten Welterbe-Status erhalten.  Ein guter Tag für Natur und Kultur?
Wie man`s nimmt. Natürlich ist das Konzept richtig, herausragende Natur- und Kulturstätten für künftige Generationen zu erhalten und die Politik auf deren Schutz zu verpflichten. Das Welterbe hat aber auch eine ökonomische Dimension, es ist ein Qualitätssiegel, das Touristenströme lenken und umlenken kann. Als Marketinginstrument funktioniert das Siegel hervorragend. Der Welterbe-Status kann zudem gerade in weniger entwickelten Ländern ein Katalysator für bessere Infrastruktur sein. Richtig ist aber auch: Es gibt eine Reihe negativer Punkte und Kollateralschäden, die man bisher zu wenig beachtet und diskutiert.

Zum Beispiel?
Es gibt zum Beispiel einen inflationären Effekt, denn immer mehr Kultur- und Naturdenkmäler erhalten den Welterbe-Status. Hinzu kommt, dass das Siegel so gut wie nie wieder aberkannt wird. Ein weiteres Problem ist die Übernutzung.

Was meinen Sie damit?
Der Welterbe-Status, der einen besonderen Ort schützen soll, kann derart viele zusätzliche Besucher anziehen, dass er dem Ort am Ende schadet. Sehenswürdigkeiten wie die Inkastadt Machu Picchu in Peru etwa werden von Touristen geradezu überrannt, seit sie Welterbe sind. Jetzt trampeln da jeden Tag Tausende von Menschen über das empfindliche Areal. Für Peru wirtschaftlich eine tolle Sache, für den Zustand der Ruinen weniger.

Nach den Regeln der Ökonomie müsste bei einer stark steigenden Nachfrage, die auf ein konstantes Angebot trifft, der (Eintritts-)Preis stark steigen.
Oder man führt eine Besucher-Quote ein. Beides wird die lokalen Akteure aber nicht begeistern. Vielleicht muss der Staat daher über temporäre Kompensationszahlungen an Kleinunternehmen nachdenken, um Akzeptanz zu schaffen.

Konkret: Was bringt der Welterbe-Titel wirtschaftlich?
Das ist schwer zu messen. Natürlich kommen mehr Touristen und es entsteht eine Wertschöpfungskette im Dienstleistungsbereich mit Hotels, Gastronomie, Guides und Transportunternehmen. Aber wie wollen Sie messen, welcher Tourist auch ohne Welterbe-Status gekommen wäre? Forscher haben das mal am Beispiel von Macau untersucht. Dort gab es früher für Besucher vor allem einen Anziehungspunkt: das Glücksspiel. Dann wurde die Altstadt zum Welterbe erklärt, und man konnte in den Jahren danach einen signifikanten Anstieg der Touristenzahlen beobachten. Aber das ließ später wieder nach.

Die mit Abstand meisten Welterbe-Stätten liegen in Europa. Ist es auf unserem Kontinent so viel schöner als im Rest der Welt?
Drücken wir es ökonomisch aus: Europa dominiert den Welterbe-Markt. Das Land mit den meisten Welterbe-Stätten ist Italien. China holt zwar stark auf, das Land stellt unfassbar viele Anträge und beschäftigt ein Heer externer Experten, um die umfangreichen Antragsunterlagen zusammenzustellen. Doch insgesamt sehe ich beim Welterbe-Konzept ein massives Verteilungsproblem. In den Entwicklungsländern, vor allem in Afrika, gibt es nur wenige Welterbe-Stätten. Und da muss man schon nach den Ursachen fragen: Gibt es da nichts Schönes – oder hat die Unterrepräsentanz vielleicht andere Gründe? 

Die Deutsche Bahn will den Unkrautvernichter Glyphosat nicht länger nutzen und sucht Alternativen. Doch die könnten das Ökosystem am Eisenbahndamm stören – es geht um Eidechsen, wieder einmal.
von Christian Schlesiger, Jürgen Salz

Sie meinen: Es geht ums Geld.
Exakt. Die UNESCO zahlt in der Regel nichts, die Finanzierung der Bewerbung und der Erhalt der Stätten liegt bei den Staaten. Hier kommt ins Spiel, was Ökonomen Opportunitätskosten nennen. Ein armes Land mit marodem Gesundheits- und Bildungssystem hätte extrem hohe Opportunitätskosten, wenn es aus seinem knappen Budget Geld für den Erhalt von Baudenkmälern abzwackt, während es an Schulen und Krankenhäusern fehlt. Anders ausgedrückt: Es gibt auf der Welt tolle Orte, die den Status Welterbe verdienen, aber nie bekommen werden – weil das Geld fehlt. Das ist touristische Marktverzerrung, und man darf in Frage stellen, ob das UNESCO-Welterbe eine objektive Liste der schönsten und wertvollsten Stätten der Welt darstellt. 

Wie lässt sich das ändern?
Wir brauchen ein anderes Finanzierungsmodell. Am besten wäre es, die UNESCO-Mitglieder zahlten in einen gemeinsamen Topf ein, aus dem der Erhalt der Stätten mitfinanziert würde. Über die Verteilung der Mittel müsste dann ein unabhängiges Expertengremium entscheiden.

Welches Welterbe werden Sie als nächstes besuchen?
Ich möchte in den USA im Yosemite-Nationalpark wandern gehen. Hier gibt es übrigens die Besucherquote schon: Auf dem Berg, zu dem ich will, sind nur 300 Touristen pro Tag erlaubt. Jetzt muss ich an einer Art Lotterie teilnehmen.  

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%