




Zehntausende Menschen gingen auf die Straße, um gegen eine geplante Internet-Steuer zu protestieren. Sie hielten ihre Handys in die Luft und sorgten für imposanten Bilder, die um die Welt gingen. Am Ende zog der ungarische Premierminister Viktor Orbán den Vorschlag, von dem es heißt, dass es seine Idee war, mit den Worten zurück: "Wenn das Volk etwas nicht nur nicht mag, sondern es auch für unvernünftig hält, sollte es nicht gemacht werden." Es ist symptomatisch für das Agieren des rechtskonservativen Ministerpräsidenten, dem es immer wieder gelingt, gegen das Ausland Stimmung zu machen, gleichzeitig aber Stimmungen der Ungarn zu erkennen - und sich damit populistisch in Szene zu setzen. Deshalb sind öffentliche Proteste wie der gegen die Internet-Steuer selten - und wird oft vor allem von Studierenden und Intellektuellen getragen. Die Landbevölkerung im Westen und ganz im Osten unterstützen die Politik Viktor Orbáns - und haben bei zwei Wahlen in Folge den Wahlsieg des Ministerpräsidenten maßgeblich bestimmt.
Ungarn galt nach der Wende als Musterland des Demokratisierungsprozesses. Unter dem jetzigen Ministerpräsidenten Viktor Orbán hat sich das geändert. Alleine in der ersten Hälfte seiner ersten Amtszeit zwischen 2010 und 2012 wurden mit der Mehrheit der rechtskonservativen Orbán-Partei Fidesz 300 Gesetze und eine neue Verfassung verabschiedet, der größte Teil des Personals in Staatsverwaltung und öffentlichem Dienst ausgetauscht, Bürgerrechte und Pressefreiheit eingeschränkt, und der Kurs gegenüber der Europäischen Union ist von anti-europäischen Tendenzen durchzogen.
Das ist Viktor Orbán
Viktor Orbán, 1963 geboren, wuchs in bescheidenen Verhältnissen in einem Dorf bei Szekesfehervar - 70 Kilometer südwestlich von Budapest - auf. Im ländlichen Umfeld seiner Kindheit galt er als schwer erziehbar.
Als Jurastudent in der Hauptstadt Budapest rebellierte Orbán mit Gleichgesinnten gegen den geistlosen Obrigkeitsstaat im späten Kommunismus. Der Fidesz, den er mitbegründete, war die erste unabhängige Jugendorganisation dieser Zeit.
1998 übernahm Orbán erstmals die Regierungsgeschäfte. Mit 35 Jahren war er damals der jüngste Ministerpräsident der ungarischen Geschichte.
Als Orbán 2002 überraschend die Wahl und damit die Regierungsmacht verlor, wollte er sich damit nicht abfinden. Er ließ seine Anhänger aufmarschieren und reklamierte auf "Wahlbetrug". Die regierende Linke setzte der Oppositionsführer immer wieder mit Straßenkundgebungen und Volksabstimmungen unter Druck.
Die Wahlen im Frühjahr 2010 brachten Orbán die langersehnte Rückkehr an die Macht, noch dazu mit der verfassungsrelevanten Zweidrittelmehrheit für seine Fidesz-Fraktion.
Nach seiner Rückkehr sprach Orbán umgehend von einer "Revolution der Wahlkabinen" und von der Ankunft eines neuen "Systems der nationalen Zusammenarbeit".
Das bedeutete in der Praxis die Aushöhlung demokratischer Institutionen. Kritiker zufolge ordnet Orbán seine ganze Politik seinen Machtbedürfnissen unter. So würden auch die kürzlich verabschiedeten Verfassungsänderungen vor allem dazu dienen, dass Orbán noch mehr schalten und walten kann, wie er will.
Für die nächsten 15 bis 20 Jahre, so erklärte Orbán vor Partei-Intellektuellen, müsse "ein einziges politisches Kraftfeld die Geschicke der Nation bestimmen".
„Viktor Orban hat das Potential eines Zündlers“, sagt Ulf Brunnbauer, Direktor des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung der Universität Regensburg. Er sei von seiner nationalistischen Position schon so eingenommen ist, dass er die politische Realität nicht mehr klar sehe. „Er ist ein Meister darin für alle Probleme, die es in Ungarn gibt, das Ausland, üblicherweise Brüssel, verantwortlich zu machen.“
Viktor Orbán gilt als das politische Talent seiner Generation: charismatisch, ein begnadeter Redner und Machtmensch. Er ist einer der Gründerväter des Bundes Junger Demokraten, bekannt unter dem ungarischen Namen Fidesz, deren Vorsitzender er heute ist und jener Partei, die 2014 die Wahlen zwei Mal in Folge gewonnen hat. Aus einer einst liberalen Studentenbewegung gelang es ihm eine rechtskonservative Partei zu formen – gemäßigte Kräfte drängte er aus der Partei: „Schon als junger Politiker bezog Orbán eine sehr radikale Position“ sagt Brunnbauer.
Ungarns Schwächen
Einzelne Sektoren wie Banken oder Energie haben in Ungarn mit extremen steuerlichen Belastungen zu kämpfen.
Vor allem in technischen Berufen herrscht in Ungarn Fachkräftemangel.
Trotz des günstigen Investitionsumfelds fiel die Investitionsquote Ungarns auf nur noch 17 Prozent.
Durch das schwindende Vertrauen Ungarns im Ausland sinkt der FDI-Zufluss (Foreign Direct Investment, ausländische Direktinvestitionen)
Durch die Zuspitzung der Kreditklemme im Land drohen Insolvenzen und Zahlungsausfälle.
„Er war gegen eine verhandelte Wende und wollte einen radikalen Bruch. Aber in Ungarn gab es keine Revolution.“ Der kurzen Freude über das Ende des Kommunismus und damit der Diktatur folgte schon bald die Ernüchterung: 1991 brach Ungarns Wirtschaft zusammen, Hunderttausende wurden arbeitslos. Die alten Eliten regierten immer noch – und mit ihr Korruption und Misswirtschaft.